Artenschutzfachlich unterscheidet der Leitfaden Vogelschutz an Windenergieanlagen einen sog. Nahbereich, einen sog. Regelabstand und einen sog. Prüfbereich um Windenergieanlagen. Allerdings betont der Leitfaden ausdrücklich, dass nicht einmal der Nahbereich eine Tabuzone ist, wenngleich es, so der Erlassgeber, „in den meisten Fällen nicht möglich sein wird, das signifikant erhöhte Tötungsrisiko durch Schutzmaßnahmen zu vermeiden, so dass regelmäßig die Ausnahmeregelung anzuwenden sein wird.“
Neuartige Vermeidungsmaßnahmen im Leitfaden Vogelschutz
Zu eben jenen Vermeidungsmaßnahmen zählt der der Leitfaden einmal altbekannte Maßnahmen, wie die Einhaltung des jeweiligen Mindestabstandes, die unattraktive Gestaltung der Mastfußumgebung oder kurzzeitige Abschaltungen bei Bewirtschaftungsereignissen wie Mahd und Ernte. Zur Sicherstellung dieser Mahd-Abschaltungen akzeptiert der Leitfaden künftig auch sog. „Windparkpaten“. Als weitere Vermeidungsmaßnahme kommt eine Rotorhöhe über 80m hinzu, bei den Milan-Arten sei diese aber „in der Regel mit weiteren Maßnahmen zu kombinieren„. Die technikgestützte Vogelerkennung hält Sachsen jedenfalls perspektivisch für geeignet, artenschutzrechtliche Konflikte zu reduzieren. Dennoch soll zunächst noch im Einzelfall, u.a. anhand der Checkliste der KNE, über die Vermeidungswirksamkeit dieser Technik entschieden werden.
Schließlich findet sich die Abschaltung von Windenergieanlagen während der kompletten Balz-, Brut- und/oder Zugzeit. In der Anlage zum Leitfaden werden zudem Windgeschwindigkeiten für die jeweiligen Vogelarten festgelegt. Diese Maßnahme wurde bislang oftmals nicht von den Genehmigungsbehörden akzeptiert, zumeist mit der fadenscheinigen Begründung, man wolle und könne keine unwirtschaftlichen Anlagen genehmigen. Solange die Anlage nicht im Nahbereich liegt, ist die (vorläufige) Brutzeitabschaltung nun eine überlegenswerte Option, zumal bei ausbleibender Brut in den Folgejahren die Abschaltung wieder aufzuheben ist.
Hingegen will Sachsen in ausgewiesenen Vorranggebieten die Reduzierung der WEA-Anzahl künftig nur für ganz bestimmte Vogelarten und nur als allerletzte Vermeidungsmaßnahmen akzeptieren, da „die möglichst vollständige Ausnutzung der WEA-Vorranggebiete zur Erreichung der energiepolitischen Ziele erforderlich ist„.
Besonders neuartig ist der generelle Hinweis darauf, dass man verbleibenden Unsicherheiten über die zukünftige Wirksamkeit von Maßnahmen „in begrenztem Maße durch ein adäquates Monitoring“ begegnen kann, ggf. kombiniert mit „Korrekturmaßnahmen“. Bislang praktizierten die Genehmigungsbehörden flächendeckend allein das Fledermausmontoring. Berechtigterweise verlangt der Leitfaden aber, den Grund für die Annahme einer Prognoseunsicherheit und die Maßnahme zur Gegensteuerung im Genehmigungsbescheid festzulegen. Diese Vorgabe ist hilfreich, sie dürfte zur Rechtssicherheit einer Genehmigung beitragen. Dies gilt ebenso für die durchaus umfangreichen Klarstellungen zu den Voraussetzungen einer artenschutzrechtlichen Ausnahme.
Sonderregeln für Repowering
Daneben bemüht sich der Leitfaden, die Neuregelung des § 16b BImSchG für Repoweringvorhaben zu konkretisieren. Der Leitfaden betitelt seine Ausführungen in aller Vorsicht selbst als „vorläufige Vollzugshinweise“, die nur bis zum Vorliegen einer bundeseinheitlichen Vollzugshilfe ein sachsenweit einheitliches Vorgehen gewährleisten sollen. Weniger vorsichtig erscheint demgegenüber die Aussage, Bestandsanlagen minderten „die Schutzwürdigkeit der Belange des Artenschutzes“. Demnach hängt die Annahme eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos davon ab, ob sich ein Repoweringvorhaben im Nahbereich, Regelabstand oder Prüfbereich befindet. Im Nahbereich soll für Repoweringvorhaben zwar nichts Abweichendes gelten. Aber eine nur durchschnittliche Raumnutzung im Regelabstand begründet demnach noch kein erhöhtes Tötungsrisiko. Bei Lage im Prüfbereich sei dies zumindest „im Regelfall“ genauso anzunehmen.
Mit 74 Seiten gibt der Leitfaden Vogelschutz den Behörden sicherlich umfangreiche und teilweise neuartige Hinweise an die Hand. Das zuständige Umweltministerium sah sich daher veranlasst, „zur Einführung des Leitfadens in die Praxis“ Fortbildungen für die Naturschutzbehörden zu planen. Projektierer werden daher abwarten müssen, ob und wann dieser Leitfaden tatsächlich für eine einheitliche und rechtssicherere Genehmigungspraxis sorgen kann.
Quelle: prometheus Rechtsanwaltschaft mbH
Autoren: Helga Jakobi, Christian Falke