Im Dezember 2022 verabschiedete der Rat der Europäischen Union die EU-NotfallVO.[1] Hierin machte der Verordnungsgeber deutlich, dass das Repowering bereits bestehender Windenergieanlagen eine ganz wesentliche Säule des Ausbaus der Erneuerbaren Energien zur Erreichung des Ziels der Treibhausgasneutralität darstellt.[2] Die EU-NotfallVO sieht aus diesem Grund Verfahrenserleichterungen für das Repowering von Windenergieanlagen vor. In Kraft getreten sind kurz danach u.a. die Neuregelungen des BauGB, mit denen der deutsche Gesetzgeber das Repowering von Bestandsanlagen erleichtern möchte.[3]

 
I Neues im Baugesetzbuch: Superprivileg für das Repowering?

Gem. § 245e Abs.3 bzw. § 249 Abs. 3 BauGB können Repowering-Vorhaben im Sinne des § 16b Abs. 1 und Abs. 2 BImSchG unter bestimmten Voraussetzungen auch außerhalb ausgewiesener Windenergiegebiete planungsrechtlich zulässig sein. Hierdurch soll das Repowering von Bestandsanlagen gerade auf bauplanungsrechtlicher Ebene eine deutliche Erleichterung erfahren. Das klingt für die Anlagenbetreiber*innen, denen bisher die Ausschlusswirkung einer Planung viel Kopfzerbrechen bereitet hat, zunächst nach einem „Freifahrtschein“ im Bauplanungsrecht. Doch handelt es sich bei den gesetzlichen Neuregelungen im BauGB tatsächlich um ein „Superprivileg“ für Repowering-Vorhaben? Die Anwendungsmöglichkeit sollte im Einzelfall genauer beleuchtet werden:

  1. Vor und nach Erreichen der Teilflächenziele: § 245e Abs. 3 oder § 249 Abs. 3 BauGB?
    Für die planungsrechtliche Begünstigung eines Repowering-Vorhabens ist zunächst nicht von Relevanz, ob die Teilflächenziele der jeweiligen Region bereits erreicht worden sind. Vor Erreichen der Teilflächenziele bestimmt § 245e Abs. 3 BauGB, dass der Realisierung eines Repowering- Vorhabens außerhalb ausgewiesener Windenergiegebiete die Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 S.3 BauGB nicht entgegengehalten werden. Sobald die Teilflächenziele erreicht sind, ordnet § 249 Abs. 3 BauGB an, dass Repowering-Vorhaben außerhalb ausgewiesener Windenergiegebiete bis zum Ablauf des 31.12.2030 weiterhin privilegiert sind. Beide Vorschriften verhelfen damit Repowering-Vorhaben – unter bestimmten Voraussetzungen und über das Erreichen der Teilflächenziele hinaus – zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit, zunächst jedoch befristet bis zum 31.12.2030.

  2. Werden die Grundzüge der Planung berührt?
    So weit, so einfach. Jetzt wird es jedoch komplizierter: Die Zulässigkeit von Repowering-Vorhaben außerhalb von Windenergiegebieten gilt nach der Maßgabe des § 245e Abs. 3 BauGB und damit vor Erreichen der Teilflächenziele nur dann, wenn durch die Umsetzung des Vorhabens die Grundzüge der Planung, von der abgewichen wird, nicht berührt werden. Doch was heißt das genau?

    Der Begriff „Grundzüge der Planung“ ist gesetzlich nicht definiert, ebenso gibt es bisher keinen klarstellenden Erlass zur Neuregelung des § 245e Abs. 3 BauGB und damit zur Auslegung des Begriffs „Grundzüge der Planung“. Zudem findet sich bislang keine einschlägige Rechtsprechung zu der gesetzlichen Neuregelung. Hilfreich ist hier zunächst nur der Vergleich zu bereits länger existierenden Vorschriften. Stellt man so z.B. auf die Rechtsprechung zu § 6 ROG (Abweichungen von den Zielen der Raumordnung) ab, wäre die Frage, ob die „Grundzüge der Planung“ berührt werden, unter anderem nach dem „im Plan zum Ausdruck gebrachten planerischen Wollen“[4] zu ermitteln.

    Doch was ist das „planerische Wollen“ bei einer Ausschlussplanung, die dem Grunde nach dazu dienen soll, die Windenergienutzung an bestimmten Standorten zu bündeln und an anderen auszuschließen? Ist es nicht die vom Plangeber gewollte Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB selbst, die die „Grundzüge der Planung“ darstellt? Würde man folglich Vorhaben außerhalb von Windenergiegebieten errichten, wären die Ausschlusswirkung und damit die Grundzüge der Planung in jedem Fall berührt. Die Ausschlusswirkung allein kann damit nicht die „Grundzüge der Planung“ darstellen. Denn dann würde das hoffnungsvolle „Superprivileg“ für Repowering- Vorhaben dem Grunde nach leerlaufen. Es müssen damit wohl noch andere planerischer Erwägungen neben der außergebietlichen Ausschlusswirkung herangezogen werden.

    Die FA Wind hat zu dieser Frage zuletzt ein Rechtsgutachten veröffentlicht, in welchem der Frage nachgegangen wurde, wann ein Repowering-Vorhaben die Grundzüge der Planung berührt.[5] Zusammengefasst werden kann hierzu, dass es bei der Beurteilung der Frage darauf ankommen dürfte, welche Bedeutung der Plangeber den planerischen Erwägungen zumisst, von denen abgewichen werden soll, und welche Bedeutung der Abweichung durch die Realisierung des Repowering-Vorhabens zukommt würde (z.B. nur geringfügige Abweichung oder drohende Bezugsfallwirkung[6]). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber selbst kein Interesse daran haben dürfte, dass der Begriff der „Grundzüge der Planung“ allzu weit ausgelegt wird. Vielmehr streitet der Wille des Gesetzgebers, der zügige Ausbau der erneuerbaren Energien, im Ergebnis für eine restriktive Auslegung[7] und damit eine erleichterte Realisierung von Repowering-Vorhaben.

  3. Vorhaben im Sinne des § 16b Abs. 1 und 2 BImSchG
    Für die Anwendung des § 245e Abs. 3 bzw. § 249 Abs. 3 BauGB muss es sich zudem um ein „Vorhaben im Sinne des § 16b“ handeln. Welche Vorhaben fallen hierunter? Dies könnten zum einen nur solche Vorhaben sein, für die ein Änderungsgenehmigungsverfahren nach § 16b Abs. 1 BImSchG durchgeführt wird. Allerdings würden hierdurch ggf. Repowering-Vorhaben von der Begünstigung ausgeschlossen, für die keine BImSch-Genehmigung erteilt wurde und deren Baugenehmigung auch nicht gem. § 67 BImSchG als solche fort gilt. Dies würde vor allem Altanlagen unter 50 m Gesamthöhe treffen.

    Naheliegend ist jedoch, dass all die Repowering-Vorhaben umfasst sein sollen, die unter die Legaldefinition des § 16b Abs. 1 BImSchG fallen und zusätzlich die Voraussetzungen nach § 16b Abs. 2 BImSchG erfüllen. Ob im Ergebnis ein Änderungsgenehmigungsverfahren nach § 16b Abs. 1 BImSchG für das Repowering durchgeführt wird, könnte somit für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit dahinstehen.

  4. Wie hilfreich ist das Privileg am Ende wirklich? Festzuhalten ist, dass es der Privilegierung von Repowering-Vorhaben auf der Ebene des Bauplanungsrechts wohl am Ende an gesetzgeberischer Bestimmtheit fehlt, um tatsächlich ein „Superprivileg“ zu sein. Denn die Begünstigung gem. § 245e Abs. 3 BauGB gilt nur, soweit die Grundzüge der (jeweiligen) Planung nicht berührt werden. Welche das sind und ob sie berührt werden, ist eine Frage des Einzelfalls. Dennoch sollten Anlagenbetreiber* innen vor einer Planung außerhalb ausgewiesener Gebiete nicht zurückschrecken und alle Optionen prüfen, um im Ergebnis, ggf. sogar mit nur geringen (Standort-)Veränderungen, die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit für das eigene Repowering-Vorhaben zu erreichen.
20240322_BWE-Informationspapier_Rueckbau_und_Recycling_von_Windenergieanlagen.pdf
Der BWE analysiert die Zusammensetzung und Recyclingoptionen moderner Windenergieanlagen. Zudem werden Herausforderungen und regulatorische Verbesserungen ...
II Flächensicherung

Der durch die o.g. Gesetzesänderungen intendierte Schwung ist auch in der Flächensicherung für Repowering-Projekte angekommen. Bestandsanlagenbetreiber*innen und Dritte gehen in diesem Sinne vermehrt auf Eigentümer*innen zu. Ziel ist immer eine möglichst langfristige Sicherung, da die Restlaufzeit der Bestandsanlagen mit einbezogen werden muss. Hierfür gibt es verschiedene Möglichkeiten – das Spektrum reicht von dem langfristigen Vollvertrag über Vorverträge und aufschiebend bedingte Verträge bis zu reinen Reservierungsvereinbarungen. Zu allen Vertragsarten sind Besonderheiten zu beachten, um sie – mit Blick auf die gesetzlich geregelten Grenzen und die einschlägige Rechtsprechung – so rechtlich belastbar wie möglich zu gestalten. Weitere rechtliche Herausforderungen sind u. a. der Wechsel des Vertragssystems (z. B. wenn Altanlagenbetreiber*innen bisher die Anlagen einzeln gesichert hatten und das Repowering als Poolmodell gestalten möchten oder umgekehrt) oder das Repowering von Windparks, in denen Bestandsanlagen mehrerer Betreiber*innen stehen.

Zu berücksichtigen ist zudem, dass sich die Anforderungen der Finanzierungsbanken zur Grundstückssicherung im Vergleich zur Situation bei Errichtung der Bestandsanlagen maßgeblich geändert haben.

In der Praxis stellt sich auch oft die Frage, ob Flächen von Eigentümer*innen, die für den Bestandswindpark Flächen zur Verfügung gestellt hatten und zu einem Vertragsschluss für das Repowering nicht bereit sind, auch auf der Grundlage der bestehenden Verträge/Grundbucheintragungen genutzt werden können. Immer wieder relevant ist zudem die Prüfung, ob/inwieweit Flächen aufgrund gesetzlicher Duldungsansprüche für das Repowering genutzt werden können. Diesbezüglich beabsichtigt der Bundesgesetzgeber derzeit, den Betreiber*innen durch die geplanten §§ 11a, 11b EEG unter die Arme zu greifen und ihnen den Zugriff auf Flächen für Leitungen, Wege und Überschwenken zu erleichtern.

Insgesamt ist festzuhalten, dass die rechtlichen Herausforderungen in der Grundstückssicherung für Repowering-Vorhaben anspruchsvoll sind und nicht unterschätzt werden sollten. Auch beim Repowering sind rechtssichere Grundstücksnutzungsverträge DIE Basis des Projekts.

 

Über die Autorinnen

Dr. Julia Rauschenbach ist Rechtsanwältin bei der prometheus Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Den Schwerpunkt ihrer anwaltlichen Tätigkeit bildet die Betreuung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren zur Errichtung von Anlagen zur Erzeugung von Erneuerbaren Energien, insbesondere in Hinblick auf bauplanungsrechtliche Fragestellungen sowie zum Natur- und Artenschutzrecht.

Antje Böhlmann-Balan ist Rechtsanwältin bei der prometheus Rechtsanwaltsgesellschaft mbH und dort spezialisiert auf das Zivil- und Wirtschaftsrecht. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte sind Erneuerbare-Energien-Projekte.

 

[1] Verordnung (EU) 2022/2577 v. 22.12.2022 zur Festlegung eines Rahmens für einen beschleunigten Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien.
[2] Vgl. Ziff. 5 der Präambel der Verordnung (EU) 2022/2577.
[3] Gesetz zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land, BGBl. 2022 I Nr. 28 v. 28.07.2022, S. 1353.
[4] OVG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 16.11.2017 (OVG 10.B 1.17), juris, Rn. 49.
[5] Fachagentur Windenergie an Land: Rechtsgutachten zur Frage „Berühren der Grundzüge der Planung“ bei Repoweringvorhaben, Dezember 2023.
[6] Vgl. ebenda, S.6.
[7] Vgl. ebenda, S. 24 sowie: BT-Drs. 20/2355, S. 32, wonach durch § 245e Abs. 3 BauGB eine Erleichterung des Repowerings erreicht werden soll.

Dieser Beitrag erschien im BWE-BetreiberBrief 1-2024.

 


Das könnte Sie interessieren:

📌 Konferenz in Hamburg: Service – Instandhaltung – Betrieb (14. und 15. Mai)
📌 WebSeminar: Repowering von Windparks (19. und 20. Juni)

Konferenz
BNK Update | TR10 aktuell | Schäden an Rotorblättern aus Sicht der technischen Betriebsführung | Risiko Blattlagerrisse | Erfahrungsbericht Schäden an Hybridtürmen von WEA | Schäden an ...
WebSeminar
Repowering in der Bauleitplanung - unter Berücksichtigung aktueller Auswirkungen des WaLG | Verfahren zur Genehmigung von Repoweringvorhaben | Genehmigungsrechtliche Anforderung an die ...