Einleitung
Im Rahmen der Verbändeanhörung übermittelte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) dem BWE am 5. Mai 2023 den Entwurf eines Vollzugsleitfadens zu § 6 Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG) mit Frist zur Stellungnahme bis zum 16. Mai 2023 (nachfolgend: Vollzugsleitfaden oder Leitfaden). Der BWE bedankt sich für die Möglichkeit der Stellungnahme.
Am 3. März 2023 beschloss der Bundestag § 6 WindBG als Teil der Novelle des Raumordnungsgesetzes (ROG). Hierzu hat der BWE bereits im Februar Stellung genommen.[1] Mit § 6 WindBG wurde eine nationale Regelung zur Umsetzung des Art. 6 der EU-Notfallverordnung ((EU) 2022/2577) des Rates vom 22. Dezember 2022 zur Festlegung eines Rahmens für einen beschleunigten Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien für Windenergieanlagen (WEA) an Land geschaffen. § 6 WindBG sieht zwecks Ausbaubeschleunigung artenschutzrechtliche Erleichterungen von Genehmigungsverfahren für WEA an Land vor, die in ausgewiesenen Windenergiegebieten realisiert werden sollen.
Im Wesentlichen gibt der vorliegende Entwurf des Vollzugsleitfadens Auslegungshinweise zu § 6 WindBG, um die Anwendung des Gesetzes in der Praxis zu erleichtern. Der BWE begrüßt das Bestreben des BMWK, durch einen solchen Leitfaden eine ordnungsgemäße und einheitliche Anwendungspraxis zu gewährleisten. Insbesondere dürfte der Leitfaden eine gute und wichtige Unterstützung für die Behörden sein. Bisher hakt die Umsetzung der Vorschrift vielerorts massiv, obwohl sie bereits seit dem 29. März 2023 gilt und zwingend zu beachten ist. Es ist äußert wichtig, die „Notfall-Vorschrift“ jetzt schnell in die Anwendung zu bringen, soll der Beschleunigungszweck tatsächlich erreicht werden.
Nach Ansicht des BWE bietet der Entwurf des Leitfadens bereits eine gute Grundlage für die Anwender*innen. Es bestehen aber weitere Unsicherheiten, die im Leitfaden geklärt werden sollten. Dazu gehört insbesondere Folgendes:
- Um den Spielraum der EU-Notfallverordnung weitestmöglich auszunutzen, bedarf es folgender Klarstellungen:
- Planreife gem. § 245e Absatz 3 Baugesetzbuch (BauGB) reicht für die Anwendung des § 6 WindBG aus; Windenergiebiet gilt dann als ausgewiesen
- auch Nebenanlagen (insb. Zuwegung) und Vorbescheide gehören zum Anwendungsbereich des § 6 WindBG
- weiterhin mögliche freiwillige Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) zwecks Absicherung bei möglichem Fall eines Regionalplans
- Den Kern der Wirkung von § 6 klarer herausstellen: die Prüfung der Zugriffsverbote dient allein der Prüfung der Erforderlichkeit von Minderungsmaßnahmen bzw. ggf. der Anordnung erforderlicher Minderungsmaßnahmen
- Aufnahme einer Empfehlung für die Länder zur Vorgabe einer pauschalen Abschaltvorgabe für Fledermäuse
- mehr Klarheit in einigen Formulierungen der Rechte und Pflichten der Beteiligten, z.B.:
- Vorhabenträgerinnen[2] können freiwillig artenschutzrechtliche Untersuchungen vorlegen und diese müssen dann auch berücksichtigt werden (auch im zentralen Prüfbereich muss eine vorhandene/freiwillig vorgelegte Habitatpotenzialanalyse (HPA) oder Raumnutzungsanalyse (RNA) berücksichtigt werden)
Die Formulierung der konkreten BWE-Änderungsvorschläge im Entwurf des Leitfadens sind im Entwurf direkt im Änderungsmodus kenntlich eingearbeitet und Anlage dieser Stellungnahme.
Der BWE schlägt darüber hinaus vor, den Vollzugsleitfaden zu § 6 WindBG für mehr Durchsetzungskraft und einheitliche Verwaltungspraxis auf den Rang einer normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift gem. Artikel 84 Absatz 2 Grundgesetz zu heben.
1 Zu Punkt 2: sachlicher Anwendungsbereich
Der sachliche Anwendungsbereich des § 6 ist in Absatz 1 Satz 1 und Satz 2 WindBG geregelt.
1.1 Zu Punkt 2.1: Antrag auf Errichtung und Betrieb oder Änderung der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer WEA
Unter Punkt 2.1 führt der Leitfaden zwar aus, dass nach § 6 Absatz 1 Satz 1 WindBG das Verfahren nach § 6 nicht nur bei der Neugenehmigung Anwendung findet, sondern auch bei der Änderungsgenehmigung von WEA an Land in einem zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung ausgewiesenen Windenergiegebiet. Bisher nicht adressiert werden aber erforderliche Klarstellungen zum Umgang mit Nebenanlagen und Vorbescheiden.
Der BWE sieht es für WEA in Waldgebieten als unerlässlich an, klarzustellen, dass auch Nebenanlagen, worunter insbesondere die Zuwegung zur Erschließung der WEA fällt, von den Erleichterungen des § 6 umfasst sind, anderenfalls würde § 6 WindBG in diesen Gebieten konterkariert. Es ist nicht Sinn und Zweck der Regelung in § 6 WindBG, die WEA von der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) freizustellen und die UVP dann im Zuwegungsgenehmigungsverfahren nachzuholen. Für die Zuwegungsgenehmigung im Wald ist die Erforderlichkeit der UVP im Anhang 1 Nr. 17 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) geregelt. Die Zuwegungsgenehmigung wäre in diesen Fällen also ohne Einbezug in § 6 in Waldgebieten viel aufwändiger als die WEA-Genehmigung und die Projektrealisierung würde sich in vielen Fällen noch weiter verzögern, wenn die Zuwegungsgenehmigung eine UVP (einschließlich der Betrachtung der Kumulation mit den Rodungen) für die WEA erfordert. Allein mit der (beschleunigten) WEA-Genehmigung ist also noch keine beschleunigte Projektrealisierung erreicht, wenn noch nicht klar ist, unter welchen Umständen und wann die Zuwegung gebaut werden kann.
In Hessen ist es so, dass die Vorlage der Annexgenehmigungen (hierunter fällt die Zuwegungsgenehmigung) von der BImSch-Behörde zeitlich so gefordert wird, dass BImSch- und Annexantrag „zusammen“ entschieden werden können. Insofern kann in Hessen ohne die genehmigten Annexanträge (u.a. der Zuwegung) auch nicht in die Ausschreibung gegangen werden, da die BImSch-Genehmigung noch nicht erteilt wird. Das Verfahren mit UVP dauert viel länger und hat viel mehr Unsicherheiten – auch im Rechtsschutz – als ohne UVP. Eine vielleicht erteilte WEA-Genehmigung wird also mit Ungewissheiten einer Zuwegungsgenehmigung belastet und verzögert die Projektrealisierung.
Bei Windenergie im Wald handelt es sich auch nicht um einen Ausnahmefall, der ggf. zu vernachlässigen wäre, wenn es in der aktuellen Situation zur Errichtung der Klimaschutz- und Ausbauziele für die erneuerbaren Energien nicht ohnehin auf jeden einzelne WEA ankäme. Beispielsweise in Hessen befinden sich 86 Prozent der Windenergiegebiete im Wald; und auch in Bayern, Niedersachsen und Thüringen gibt es viele Waldgebiete.
Nach Ansicht des BWE entspricht die Inkludierung der Nebenanlagen auch einer europarechtskonformen Auslegung von § 6 WindBG. Art. 6 der EU-Notfallverordnung (VO (EU)) ermöglicht den Mitgliedstaaten das Vorsehen von Ausnahmen von der UVP und den Bewertungen des Artenschutzes für „Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien“, also für die Vorhaben insgesamt und nicht nur für die einzelne WEA. Zudem gilt die VO (EU) „für alle Verfahren zur Genehmigungserteilung“, vgl. Art. 1. Und gemäß Art. 2 Abs. 1a VO (EU) sind hierunter „alle einschlägigen behördlichen Genehmigungen für den Bau“ zu fassen.[3] Dieser Auslegung steht auch nicht der Umstand entgegen, dass die Zuwegung ggf. teilweise außerhalb der Windenergiegebiete liegt, da die Erleichterung im Sinne der Beschleunigungswirkung der Vorschrift alle einschlägigen Genehmigungen erfassen soll und das Projekt (wenn auch nicht vollständig) weiterhin im Windenergiegebiet liegt.
Sollte diese Auslegung keinen Einzug in den Leitfaden finden, kann auch unproblematisch zwischen Zuwegung innerhalb und außerhalb des Windenergiegebietes im behördlichen Verfahren differenziert werden (auch wenn dies nicht dem Ziel entspricht).
Wichtig ist auch die klarstellende Ergänzung der Geltung von § 6 WindBG im Rahmen der sog. Vorbescheidsverfahren. Auf Antrag entscheidet die Behörde über einzelne Genehmigungsvoraussetzungen durch Erteilung eines sog. Vorbescheids, vgl. § 9 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG). Diese Möglichkeit kann von den Vorhabenträgerinnen genutzt werden, um einen bestimmten Prüfungspunkt (z.B. Fragen im Zusammenhang mit dem Naturschutz) vorab und für das Vollverfahren verbindlich zu klären und so die Erfolgsaussichten eines späteren Genehmigungsverfahrens abschätzen zu können. Dies fördert Investitionsentscheidungen und die Antragstellerin kann vor dem Genehmigungsverfahren ggf. Anpassungen vornehmen und so den Verfahrensaufwand möglichst geringhalten. Auch im Rahmen eines Vorbescheidsverfahrens ist aufgrund des Erfordernisses der vorläufigen Gesamtprognose z.B. ab drei WEA eine UVP-Vorprüfung erforderlich. Der klarstellende Einschluss von Vorbescheiden in den § 6 WindBG würde somit auch diese Verfahren und damit letztlich auch die sich anschließenden Vollgenehmigungsverfahren beschleunigen. Wenn schon das Vollgenehmigungsverfahren von den Erleichterungen des § 6 WindBG profitiert, muss dies erst recht für die behördliche Entscheidung über Einzelfragen einer Genehmigung gelten. Dies sollte in dem Vollzugsleitfaden klargestellt werden.
1.1.1 Zu Punkt 2.1.1 Windenergiegebiet
Der Begriff der „Windenergiegebiete“ wird in § 2 Nummer 1 WindBG legaldefiniert; Bezüglich der spezifischen Einzelfragen dazu, ob und wann eine planerische Ausweisung einem Windenergiegebiet im Sinne des § 2 Nummer 1a und b WindBG entspricht, wird nach dem Leitfaden auf den „Mustererlass zum Wind-an-Land-Gesetz“ verwiesen. Dem BWE ist nicht klar, was mit dem Mustererlass zum Wind-an-Land-Gesetz gemeint ist. Es wäre hilfreich dies zu spezifizieren.
Im Leitfaden heißt es weiter, dass § 6 WindBG damit in allen wirksam als Vorrang-, Eignungs- und Vorbehaltsgebiete, Sonderbauflächen oder Sondergebiete für die Windenergie an Land ausgewiesenen Flächen, die die Anforderungen des § 6 Absatz 1 Satz 2 WindBG erfüllen, Anwendung findet.
Nach Ansicht des BWE muss das Wort „wirksam“ gestrichen werden. Eine wirksame Ausweisung sieht § 6 WindBG gerade nicht vor. Der Anwendungsbereich des § 6 ist vielmehr entsprechend der nun festgelegten Planreife in § 245e Absatz 4 BauGB auch im Leitfaden zu konkretisieren. Somit wäre § 6 in Planentwurfsgebieten für Windenergieflächen unmittelbar anwendbar, wenn für den Planentwurf bereits eine Beteiligung nach § 3 Absatz 2, § 4 des Baugesetzbuchs oder § 9 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes durchgeführt wurde. Dies entspricht dem Beschleunigungszweck und damit der teleologischen Auslegung der Vorschrift.[4]
1.1.2 Zu Punkt 2.1.2: Rechtlicher Status der Windenergiegebiete
Im Leitfaden wird erläutert, dass nur im Falle einer rechtskräftig gerichtlichen oder behördlichen Feststellung der Unwirksamkeit der positiven Ausweisung einer Windfläche – nicht allein der Ausschlusswirkung des Plans – eine Anwendung von § 6 WindBG ausscheidet. Eine gerichtliche Inzidentkontrolle ist in keinem Fall ausreichend.
Anzumerken ist hier folgender Punkt: Es ist nicht ersichtlich, was unter einer „behördlichen Feststellung der Unwirksamkeit der positiven Ausweisung“ zu verstehen ist. Die Aufhebung des Plans durch die Planungsträgerin (Leitfaden Punkt 2.1.2.5) kann nach dem Wortlaut nicht gemeint sein und der Genehmigungsbehörde steht keine Verwerfungskompetenz im engeren Sinne zu; eine behördliche Normnichtanwendung[5] lässt die formale Existenz des Plans stets unberührt und tangiert daher die weiterhin bestehende positive Ausweisung der Windfläche gemäß § 6 WindBG nicht. Der BWE regt daher an, zwecks Rechtsklarheit die „behördliche Feststellung“ an dieser Stelle zu streichen.
Der Leitfaden listet in Bezug auf den rechtlichen Status der ausgewiesenen Windenergiegebiete außerdem verschiedene Entscheidungsvarianten hinsichtlich der Unwirksamkeitsfeststellung von Plänen auf. Hier stellt der Leitfaden klar, dass § 6 WindBG in den ausgewiesenen Gebieten anwendbar bleibt, wenn der Plan nur insoweit für unwirksam erklärt wird, als mit ihm die Ausschlusswirkung herbeigeführt werden sollte. Klarzustellen ist hier, dass dies auch für Fehler bei der Bekanntmachung der Genehmigung eines Flächennutzungsplanes gilt, die sich lediglich auf die Darstellung der Ausschlusswirkung auswirken.
Die im Leitfaden unter Punkt „Entscheidungen mit neuer Tenorierung“ angesprochene Tenorierungsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) bezieht sich ausdrücklich nur auf Flächennutzungspläne, welche nach dem Urteil nur insoweit für unwirksam erklärt werden dürfen, als dass mit ihnen die erforderliche Ausschlusswirkung herbeigeführt werden sollte. In Bezug auf Regionalpläne wird der Plan (leider) immer noch oft insgesamt für unwirksam erklärt und eine Anwendung von § 6 WindBG scheidet dann aus.[6] Dies ist im Leitfaden entsprechend zu unterscheiden und anzupassen.
In diesem Zusammenhang regt der BWE außerdem an, auch die Anwendbarkeit des § 6 WindBG auf wiederauflebende Vorgänger-Regionalpläne in den Leitfaden aufzunehmen. Es kann den Fall geben, dass ein Regionalplan von einem Gericht für unwirksam erklärt wird und ein Vorgänger-Regionalplan wieder auflebt. Sofern auch bei diesem eine Strategische Umweltprüfung (SUP) durchgeführt wurde, sollte der Anwendungsbereich des § 6 auch für dort aufgeführten Windflächen eröffnet sein. Hierdurch wird ein zusätzlicher Anwendungsfall der Norm klargestellt und der gewünschte Beschleunigungszweck weiter konsequent durchgesetzt.