Der Einbruch war extrem: Entwickelte sich der Windenergieausbau an Land in Deutschland in den 2010ern dynamisch, so stagnierte der Ausbau ab 2018. Im Jahr 2019 gingen nur 282 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 958 Megawatt ans Netz. Zum Vergleich: In den Jahren 2014 bis 2017 wurden jährlich circa 4.000 Megawatt installiert. Und von diesen Einbrüchen erholt sich die Stromproduktion durch Windenergie an Land bislang nur langsam.

Aber warum kam es zu dieser Entwicklung? Galt die Windenergie in Deutschland doch als Hoffnungsträgerin, um sowohl aus der Atomenergie auszusteigen, weil die Risiken zu gravierend waren, als auch sich von der Energieerzeugung mit fossilen Rohstoffen wie Stein- und Braunkohle zu verabschieden, weil sie die Erderwärmung verursachen. Dr.-Ing. Juliane Biehl untersuchte zusammen mit Prof. Dr. Johann Köppel und anderen TU-Wissenschaftler*innen die Ursachen für den Rückgang des Ausbaus der Windenergie an Land zwischen 2016 und 2023.

 

Neue Technologien lösen nicht jeden Konflikt

Eine wichtige Ursache war unter anderem, dass bereits auf Bundesebene die planerische Steuerung fehlte. Andere Gründe sind im Pluralismus von Interessen zu finden: Im Bereich der Windenergie an Land sind viele heterogene (staatliche, nicht-staatliche, private) Akteure auf verschiedenen Ebenen (international, national, regional, kommunal) aktiv, die im Sinne der Energiewende gut zusammenarbeiten sollten, aber häufig untereinander konkurrieren. Daraus ergeben sich für den Klimaschutz und den Ausbau der Windenergie an Land, wie für die gesamte Energiewende überhaupt, widerstreitende Ziele zwischen vor allem Flächenverfügbarkeit, aber auch Wirtschaftlichkeit, Siedlungsabständen sowie Landschafts- und Artenschutz. Die daraus resultierenden, mitunter paradox wirkenden Kontroversen und starken Polarisierungen, zum Beispiel zwischen Arten- und Klimaschützern, sind gekennzeichnet durch einen ausgeprägten Beharrungswillen auf dem eigenen Standpunkt. Der verhindert, dass gemeinsam nach Lösungen gesucht wird. Auch konstatiert Juliane Biehl eine Technikgläubigkeit, die verkennt, dass die aus dem Interessenpluralismus sich ergebenden Konflikte nicht allein mit neuen Technologien aufzulösen sind. Dafür bräuchte es vielmehr konstruktive Kommunikationsstrategien und interdisziplinäre Ansätze, die die erforderlichen sozialen und gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse moderieren.

 

Sollen Windräder aufgestellt werden, braucht es Flächen

„Ein Haupthemmnis beim Ausbau der Windenergie an Land war, dass es eine Gesetzeslücke gab zwischen den formulierten nationalen Klimaschutzzielen und dem Weg dahin. Die Regierung der großen Koalition sagte 2020 zwar, dass man den Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms am Bruttostromverbrauch bis 2030 auf 65 Prozent anheben wolle und sah dafür ein Ausbauziel von 71 Gigawatt für die Windenergie an Land vor, bei damals circa 55 Gigawatt installierter Leistung. Aber was sie nicht sagte, war, wie dieses Ziel erreicht werden soll und was das konkret für die Bundesländer bedeutet, in denen die Windräder letztendlich stehen. Haupthemmnisse waren also fehlende Handlungsbereitschaft und politische Steuerung“,

sagt Juliane Biehl. Diese Lücke habe die jetzige Regierung mit ihrem Windenergieflächenbedarfsgesetz geschlossen. Es besagt, dass die Länder zwei Prozent ihrer Fläche für Windräder zur Verfügung stellen müssen. Damit sei zumindest ein wichtiger Parameter für die Planung, nämlich der der Flächenverfügbarkeit, festgelegt.

 

Auch erneuerbare Energien haben negative Auswirkungen auf die Umwelt

Worauf aber auch die jetzige Regierung (noch) keine Antwort gibt, sei die Frage, woher die Rohstoffe kommen sollen, um die Stromerzeugung durch Wind von jetzt circa 58 Gigawatt auf 160 Gigawatt im Jahr 2040 zu erhöhen. Dazu müssten bis 2030 circa vier bis fünf Windräder pro Tag gebaut werden. Wird rechtzeitig mit Wasserstoff produzierter Stahl für die Windräder verfügbar sein? Woher sollen die seltenen Erden kommen, die für den Betrieb der Windräder notwendig sind und deren Gewinnung und Beschaffung mit schwerwiegenden umweltsozialen Auswirkungen verbunden sind wie Chemikalieneinsatz, Wasserverschmutzung oder -verknappung, Landraub, Gesundheitsschäden und Bodendegradierung. Das werde bislang nicht ausreichend anerkannt und berücksichtigt.

„Eine Grundvoraussetzung, um die unumgängliche Energiewende voranzubringen, ist eine ehrliche Diskussion darüber, dass jedwede Form der Energieerzeugung negative Auswirkungen auf Natur und Umwelt haben wird. Auch erneuerbare Energien verbrauchen Ressourcen und kollidieren mit anderen schützenswerten Gütern: Windräder kollidieren eventuell mit dem Ziel, schützenswerte Tiere nicht zu töten; Freiflächen-Solarenergie mit dem Ziel, die Inanspruchnahme von Flächen zu minimieren“,

resümiert Juliane Biehl.

 

Artenschutz versus Klimaschutz

Ein anderes Problem für den Ausbau der Windenergie an Land ist der Pluralismus von Interessen der vielen Akteure wie Energieverbände, Windenergieverbände, Umwelt- und Naturschutzverbände, Bürgerinitiativen, Wissenschaftler*innen, Think Tanks, Genehmigungsbehörden auf kommunaler und Landesebene, Wasser- und Naturschutzbehörden, Ministerien und Planungsbehörden. Alle vertreten sie legitime, aber zum Teil widerstreitende Ziele. Am eindrücklichsten zeige sich das daran, so Biehl, dass innerhalb der Umweltbewegung ein Graben verläuft zwischen Artenschutz und Klimaschutz.

„Für die Befürworter von Windenergie ist diese eine treibhausgasneutrale Stromerzeugung und damit auch eine Antwort auf den mit dem Klimawandel einhergehenden Artenverlust. Naturschutzverbände hingegen sehen Windräder als mitverantwortlich für den Verlust von geschützten Arten.“

 

Noch ein vertracktes Problem

Eine solche Vertracktheit lässt sich auch in der räumlichen Planung ausmachen. So wurde die Flächenverfügbarkeit für den Ausbau der Windenergie an Land stark verringert, da Windräder in Landschaftsschutzgebieten bislang selten genehmigt wurden, obwohl diese Gebiete bereits oft intensiv landwirtschaftlich genutzt wurden. Diese Landschaftsschutzgebiete machen jedoch circa ein Viertel der Landesfläche Deutschlands aus. Durch das Gesetzespaket der Ampelregierung zur Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien im Jahr 2022 wurde den Ländern eingeräumt, das Bebauen der Landschaftsschutzgebiete mit Windenergieanlagen prinzipiell zu ermöglichen. So steht mehr Fläche zur Verfügung, um das Zwei-Prozentziel zu erreichen.

„Diese Öffnungsklausel könnte einen Beitrag leisten, um den gordischen Knoten der Flächenverfügbarkeit zu zerschlagen“,

so Biehl.

Der Politik, aber auch allen anderen Akteuren gelinge es bislang jedoch zu wenig, die der Windenergie an Land inhärenten Zielkonflikte zu kommunizieren und zwischen den vielen legitimen Zielen abzuwägen und auszuhandeln. Daraus leitet die Ingenieurin für Umweltplanung eine weitere Ursache ab, die den Ausbau der Windenergie an Land erschwert: Framing-Effekte in der Kommunikation. Die Darstellungsweise von Themen in öffentlichen Debatten ist wirkmächtig, da divergierende Wahrnehmungen oft Konflikte um den Windenergieausbau entfachen. Extreme Haltungen wie die, dass das Betreiben von Windrädern eine Lizenz zum Töten sei, böten kaum Raum, Lösungen zu finden. zu zerschlagen. „In Interviews und bei Veranstaltungen zeigte sich, dass die Akteure auf ihren Maximalforderungen beharren. Was fehlt, ist eine Kultur der Einsicht, dass im Pluralismus der Interessen eigene Ziele niemals zu 100 Prozent durchsetzbar sind, es für jeden Konflikt nicht immer ‚die eine Lösung‘ gibt und Unsicherheiten akzeptiert werden sollten.“

Konflikte und Interessenspluralismus verdeutlichen, dass gesellschaftliche Aushandlungsprozesse und die Koordination der Akteure besser gemanagt sowie Fragen der Energiegerechtigkeit umfassender berücksichtigt werden sollten. Neben den gesetzlichen Impulsen bedürfe es nun der akteursübergreifenden Aushandlung eines politischen und gesellschaftlichen Konsenses, um den Windenergieausbau voranzubringen. Dazu müssten die Akteur*innen miteinander reden, einander zuhören, aufeinander zugehen und Kompromisse eingehen, so Juliane Biehl.

„Im zweiten Halbjahr 2023 konnte die Windenergie an Land zudem bereits einen Aufwärtstrend verzeichnen. Das zeigt, wie wichtig politische Steuerung und das Austarieren von vertrackten Problemen ist.“

Ihre Forschungsergebnisse flossen in ihre Dissertation „Governing Onshore Wind Power – a Multi-perspective Analysis of an Energy Transition Challenge in Germany“, die sie am ehemaligen Fachgebiet Umweltprüfung und Umweltplanung der TU Berlin schrieb.

Zur Dissertation "Governing onshore wind power" (Juliane Biehl 2023)

Quelle: TU Berlin

 


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