Im novellierten Klimaschutzgesetz (KSG, 2021) ist das ambitionierte Ziel festgehalten: Schon 2045 will Deutschland Klimaneutralität erreichen. Klimaneutral, das bedeutet, sämtliche Treibhausgas (THG)-Emissionen von der Stromerzeugung über die Industrie bis hin zu Gebäuden, Verkehr und Landwirtschaft so weit wie möglich zu reduzieren, während nicht vermeidbare Emissionen durch Treibhausgas-Senken ausgeglichen werden. Bis 2045 muss also die Netto-Emissionsbilanz auf Null gedrückt werden. Um das zu erreichen, legt das Klimaschutzgesetz für 2030 das konkrete Zwischenziel einer THG-Emissionsminderung um mindestens 65 % gegenüber 1990 fest.
Klar ist, dass Klimaneutralität in weniger als 25 Jahren nur durch eine beispiellos zügige und tiefgreifende Transformation des gesamten Energiesystems erreicht werden kann. Hinter der Klimaneutralität steht also eine gewaltige Kraftanstrengung, sowohl bei der Bereitstellung als auch bei der Nutzung von Energie in den Sektoren Industrie, Gebäude und Verkehr. Doch so klar das Ziel ist, so offen ist der Weg dorthin. Wie kann der Umstieg auf eine fast vollständig auf Erneuerbaren Energien basierende Energieversorgung schnellstmöglich gelingen? Welche Transformationen müssen in der Industrie, beim Verkehr und im Gebäudesektor erreicht werden und wie interagieren diese miteinander? Was muss wann und in welchem Bereich passieren, um Klimaneutralität zu erreichen? Welche Rolle können Wasserstoff und strombasierte E-Fuels spielen? Und schließlich: Was ist schon bis 2030 notwendig, um den Weg zur Klimaneutralität zu ebnen? Es besteht ein hoher Bedarf an differenziertem Orientierungs-wissen zur konkreten politischen Ausgestaltung dieser Transformation.
Erstmals stellt die vorliegende Szenarienanalyse für Deutschland konkrete Transformationspfade zur Klimaneutralität 2045 auf der Basis eines umfassenden Modellvergleichs vor. Das Besondere an dieser Studie des Ariadne-Projektes ist, dass sechs Gesamtsystem- und Sektormodelle in einer Studie integriert wurden, die sich in ihren jeweiligen Stärken ergänzen: Für spezifische Fragestellungen wurde jeweils dasjenige Modell als Leitmodell hervorgehoben, welches die entsprechenden Aspekte am genauesten abbildet. Weitere Modelle wurden genutzt, um Auswirkungen der Transformation auf Umweltschutzgüter und die Verteilung der Kosten auf verschiedene Einkommensgruppen zu analysieren. Dieser breit gefächerte Ansatz ermöglicht es, die Implikationen der Energiewende robust und im Detail zu beschreiben. Im Unterschied zu bereits existierenden Szenarien (Prognos, Öko-Institut, Wuppertal-Institut, 2021) wurde nicht nur ein Transformationspfad modelliert, sondern insgesamt sechs Zielerreichungsszenarien. Diese Zielszenarien wurden in vier Szenariogruppen geclustert, die sich bezüglich der Rolle von Elektrifizierung, Wasserstoff und synthetischen E-Fuels sowie der Importe Erneuerbarer Energie unterscheiden (Tabelle Z.1). Die unterschiedlichen Technologieausrichtungen führen zu verschiedenen Profilen in den Transformationsherausforderungen: Während beispielsweise eine stärkere Elektrifizierung eine schnellere Transformation der Endnutzung erfordert, wird für die verstärkte Nutzung von Wasserstoff und E-Fuels ein zügigerer Hochlauf der entsprechenden Produktionskapazitäten und Infrastrukturen benötigt. Zusätzlich werden aufgrund der hohen wirtschaftlichen und geopolitischen Relevanz unterschiedliche Ausprägungen von Importmöglichkeiten analysiert. Durch die vorliegende Modellvielfalt und Szenario-Variationen können einerseits Bandbreiten plausibler Entwicklungen sowie Unsicherheiten abgeleitet werden. Andererseits ist es möglich, sowohl Spielräume als auch kritische Engpässe der Energiewende abzuschätzen, wie beispielsweise den Mindestbedarf an Strom aus Erneuerbaren Energien (EE) oder die Größenordnung notwendiger sogenannter negativer Emissionen, also CO2-Entnahmen aus der Atmosphäre zum Ausgleich nicht vermeidbarer Emissionen.
Quelle: Ariadne Projekt