Frau Ministerin, mit dem Beginn dieses Jahres fielen die ersten Windenergieanlagen aus ihrer 20-jährigen EEG-Förderung. Viele Betreiber stehen nun vor einem Problem: Repowering ist auf Bestandsflächen teilweise nicht möglich, der Weiterbetrieb der Bestandsanlage ohne Förderung nicht wirtschaftlich. Welchen Handlungsbedarf sehen Sie von Seiten der Politik?

Wir haben uns in Rheinland-Pfalz hohe Ziele gesetzt. Wir wollen, dass unser Land zwischen 2035 und 2040 klimaneutral wird. Damit leisten wir unseren Beitrag für die Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens. Dafür müssen wir den Ausbau der Erneuerbarer Energien beschleunigen und haben uns deshalb vorgenommen, bis 2030 die Windkraft im Land zu verdoppeln. Ein Abschalten von laufenden Windenergieanlagen vor dem Ende ihrer technischen Lebensdauer können wir uns daher nicht erlauben.
In Rheinland-Pfalz wollen wir die Windenergieleistung um 500 Megawatt im Jahr weiter ausbauen. Das kann und soll auch durch Repowering geschehen. Wo ein Repowering jedoch nicht möglich ist, würde jede vom Netz genommene Anlage uns von diesem Ziel entfernen. Hier ist aber vor allem der Bund gefragt, der bei der vergangenen EEG-Novelle wichtige Weichenstellungen verpasst hat.

Welche zusätzlichen Maßnahmen hätten Sie vom Bund gefordert?

Wir haben uns als Landesregierung bei der Novelle intensiv für eine Marktwertdurchleitung für Anlagen jedweder Größe nach dem Ende der EEG-Vergütung eingesetzt. Damit würden die Erlöse, zuzüglich möglicher Erlöse aus Grünstromzertifikaten, in einem Bereich liegen, der für einen wirtschaftlichen Weiterbetrieb ausreichend ist. Dies wurde aber von der Bundesregierung nicht umgesetzt. Die vom Bund vorgeschlagene Regelung zur Anschlussvergütung war hingegen EU-beihilferechtlich nicht zulässig. Vor diesem Hintergrund brauchen wir also beides – Planungssicherheit für Betreiber durch die Marktwertdurchleitung und neue Geschäftsmodelle in der Direktvermarktung, zum Beispiel mehrjährige Stromlieferverträge, um eine marktbasierte auskömmliche Erlössituation zu erreichen.

Repowering hat ein enormes Potenzial: Die durchschnittliche Leistung neugebauter Anlagen im 1. Halbjahr 2021 betrug über 4 Megawatt, die durchschnittliche Leistung aller bestehenden Anlagen liegt dagegen bei ca. 1,8 MW. Was braucht es aus Ihrer Sicht, um dieses Potenzial auch umzusetzen?

Um unser Ziel zu erreichen, die Windenergie zu verdoppeln, ist es unabdingbar, dass wir jeden bereits etablierten Standort prüfen, inwieweit dieser für ein Repowering geeignet ist. Jede leistungsfähigere Anlage, gleichgültig ob auf bereits planungsrechtlich gesicherten Flächen oder auch auf Standorten außerhalb dieser Flächen, hilft dabei. Im anstehenden Landesentwicklungsprogramm müssen deshalb sowohl für planungsrechtlich gesicherte Flächen, aber auch für bisher nicht gesicherte Flächen klare Vorgaben benannt werden, unter welchen Rahmenbedingungen eine Weiternutzung auslaufender Windenergie-Standorte ermöglicht werden kann.   

Was sind die Hürden für Repoweringvorhaben?

Wir können es uns nicht leisten, von vornherein auf mögliches Standortpotenzial zu verzichten. Hierfür ist es wichtig, auch vor Ort für die Akzeptanz von Windenergieanlagen zu werben, denn die Lösungen für einzelne Projekte werden vor Ort mit allen Beteiligten entwickelt. Hierfür kann das Land im Landesentwicklungsprogramm Orientierung bieten. Allerdings werden auch mit der Prüfung nicht alle alten Standorte für Repowering geeignet sein. Denn die neuen Anlagen haben andere Standortvoraussetzungen, wie zum Beispiel größere Abstände zu anderen Anlagen und zu den Ortslagen.
Umso wichtiger ist es, für die Ziele des Klimaschutzes das gesamte Standortpotenzial mit all seinen spezifischen Standortvarianten nutzen zu können, denn eins ist doch klar, die Energiewende ist aus vielen Gründen geboten und notwendig. Klima- und Ressourcenschutz sind nur zwei davon – aber auch ökonomisch bietet die Energiewende uns große Chancen, Wind und Sonne schreiben keine Rechnungen, im Gegensatz zu Öl- und Gaslieferanten.

 

Sie haben im Koalitionsvertrag eine Verringerung des Mindestabstands zu Windenergieanlagen von 900 Metern auf 720 Metern mit Ihren Koalitionspartnern vereinbart, wenn eine Bestandsanlage repowert wird. Welche Auswirkungen für den Windenergieausbau in Rheinland-Pfalz erwarten Sie hierdurch?

Wie ich schon gesagt habe, ist für die Erreichung unserer Ausbauziele jeder Windenergie-Standort wichtig. Indem wir den Mindestabstand beim Repowering verringern, wollen wir vermeiden, dass akzeptierte Standorte aufgegeben werden müssen. Eine Maßnahme aus dem Koalitionsvertrag, die die Landesregierung sofort nach der Wahl umgesetzt hat, ist die Klarstellung, dass die Bemessung der Mindestabstände von der Mastfußmitte erfolgt. Zudem wollen wir durch eine weitere Teilfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms kurzfristig weitere Potenziale heben.

Planen Sie weitere Maßnahmen, um den Ausbau schneller voranzutreiben?

Beim Ausbau der Windenergie sorgen wir uns auch um die oft langen Verfahren für Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen. Um diese Genehmigungsverfahren zu optimieren, beabsichtigen wir, diese zu zentralisieren, so dass zukünftig statt der Landkreise und kreisfreien Städte die Struktur- und Genehmigungsdirektionen Nord und Süd für das Genehmigungsverfahren zuständig sein werden. Darüber hinaus soll die Verfahrensdigitalisierung vorangetrieben werden. Damit möchten wir eine Vereinfachung, Vereinheitlichung und Beschleunigung der Verfahren erreichen. Bei allen Änderungen achten wir darauf, dass es dadurch für bereits weit fortgeschrittene Projekte nicht zu Verzögerungen kommt.

Windenergie an Land ist immer wortwörtlich „nah an den Menschen“. Wie beziehen Sie die Bürgerinnen und Bürger vor Ort in Ihre Pläne zu Erneuerbaren Energien mit ein?

In Rheinland-Pfalz werden wir den notwendigen weiteren Ausbau der Windenergie für die vor Ort lebenden Menschen möglichst verträglich gestalten. Die Energiewende wird gelingen, wenn wir die Bürgerinnen und Bürger in den Regionen mitnehmen und beteiligen. Deswegen haben wir uns beispielsweise sehr aktiv für das Ende einer dauerhaften Nachtbefeuerung eingesetzt, was durch die beschlossene Transponderlösung nun erreicht werden kann. Wir werben zudem intensiv für einen weitgehenden Verbleib der Wertschöpfung vor Ort, zum Beispiel durch Solidarpakte und Bürgerenergieanlagen. Schließlich haben durch die dezentrale Struktur der Energiewende die Bürgerinnen und Bürger, die kleinen und mittleren Unternehmen und die Kommunen die Möglichkeit, die Energieversorgung wieder selbst in die Hand zu nehmen. Lokal erzeugt - lokal verbraucht, das ist nicht nur gut für die regionale Wirtschaft, sondern dient auch der Entlastung der Netze.

Andere Bundesländer haben teils striktere Abstandsregeln. Nordrhein-Westfalen hat beispielsweise Mitte Juli einen Mindestabstand von 1.000 Metern zwischen Windenergieanlagen und Wohngebäuden beschlossen. Wie bewerten Sie das Thema Mindestabstand mit Blick auf die unterschiedlichen Ausprägungen in den Bundesländern?

Wir sind im entscheidenden Jahrzehnt, wenn wir die Pariser Klimaschutzziele erreichen wollen. Deswegen ist es wichtig, dass wir jetzt die richtigen Weichen stellen. Der Ausbau der Windenergie ist dabei essenziell und der Mindestabstand eine wichtige Stellschraube, diesen voranzutreiben. Auch Nordrhein-Westfalen hat einen Schritt gemacht und die bisherige Abstandsregelung um 500 Meter reduziert, auch wenn ich mir hier eine noch stärker den Ausbau fördernde Regelung gewünscht hätte. Bei der Wahl des Mindestabstands sind eben immer verschiedene Aspekte zu berücksichtigen, etwa die Siedlungsstruktur und die Topographie.  

Frau Ministerin, Rheinland-Pfalz hat eine Spitzenposition beim Ausbau der Windenergie im Wald inne. Ende 2020 drehte sich in Ihrem Bundesland jedes vierte Windrad bzw. 33 Prozent der installierten Gesamtleistung im Forst. Was macht Rheinland-Pfalz anders als andere Bundesländer und welche Vorteile sehen Sie bei Windenergie im Wald?

Mit 42 Prozent Bewaldung sind wir ein sehr waldreiches Bundesland und können unsere Klimaziele nur erreichen, wenn wir auch Waldstandorte für Windkraftanlagen nutzen. Der Vorteil von Waldflächen ist, dass sie oft auf windigen Höhenzügen und fernab von Wohngebieten liegen, wodurch eine effektive und gleichzeitig verträgliche Projektierung begünstigt wird.

Andererseits ist es aber auch wichtig, dass die Verträglichkeit der Eingriffe in Waldökosysteme sichergestellt wird. In Rheinland-Pfalz haben wir daher frühzeitig die Planungs- und Genehmigungsverfahren angepasst und lösungsorientierte Regelungen für naturverträgliche Projektierungen auf Waldstandorten festgeschrieben.

Nur in sieben Bundesländern ist der Ausbau der Windenergie im Wald zulässig; in einem davon (NRW) nur, wenn der Bedarf an Anlagen nicht außerhalb von Waldflächen realisiert werden kann. Wieso ist die Politik in vielen Bundesländern so restriktiv gegenüber „Wind im Wald“?

Ob eine Inanspruchnahme von Waldstandorten für Windenergie sinnvoll ist, hängt von den jeweiligen, örtlichen Verhältnissen ab.

Was im waldreichen Rheinland-Pfalz notwendig für eine erfolgreiche Energiewende ist, kann zum Beispiel in küstennahen Bundesländern mit geringem Waldanteil und größeren Flächenpotentialen auf Freiland- und Offshore-Standorten ganz anders aussehen.

Mindestabstände, Ausschlussräume, lange Genehmigungsverfahren: Die Bundesländer haben zum Teil stark variierende Vorschriften für die Windenergie, was den Ausbau zusätzlich bremst. Welche Maßnahmen müssten Bund und Länder ergreifen, um den Ausbau Erneuerbarer Energien nachhaltig und umfassend voranzutreiben?

Wissen Sie, bei der Novellierung des EEG ist seitens der Bundesregierung wirklich Vieles versäumt worden. Nehmen Sie doch nur das Thema Bürgerenergie, die stark zur Akzeptanz von Erneuerbaren beiträgt, diese hätte man von der Ausschreibungspflicht befreien müssen – so hätte man hier den flächendeckenden Ausbau beschleunigen können. In Rheinland-Pfalz wollen wir, wie bereits ausgeführt bei den Mindestabständen und den Genehmigungsverfahren ansetzen. Darüber hinaus geht es darum, bei den Menschen auch vor Ort intensiv für Windkraft zu werben und zu informieren. 

Frau Ministerin, in diesem Sommer sind Auswirkungen des Klimawandels in Deutschland besonders deutlich zu sehen und zu spüren. Vor allem ihr Bundesland war bisher stark von Unwettern betroffen, wie die Flutkatastrophe im Juli 2021 zeigt. Welche Schlussfolgerungen ergeben sich anhand solch häufiger werdender Extremwettersituationen für die Energie- und Klimaschutzpolitik in Deutschland?

Die verheerende Extremwetterkatastrophe hat unsägliches Leid gebracht: Viele Menschen sind gestorben, viele haben ihre Existenzgrundlage verloren. Mit weiter steigenden Temperaturen ist sogar mit einer weiteren Zunahme der Häufigkeit und Intensität von Starkregenniederschlägen, Dürren und Hochwasserereignissen zu rechnen. Deswegen ist es wichtig, dass wir jetzt konsequent gegensteuern, das Thema Klimaschutz beherzt vorantreiben und zwar mit konkreten Maßnahmen. Gleichzeitig müssen wir uns gegen die bereits eingetretenen Folgen des Klimawandels wappnen, z. B. mit Maßnahmen zur Hochwasservorsorge. Wir haben uns in Rheinland-Pfalz das Ziel gesetzt, zwischen 2035 und 2040 klimaneutral zu werden. Dieses Ziel haben wir fest im Blick und treiben es auf unterschiedlichen Ebenen voran.

Rheinland-Pfalz will zwischen 2035 und 2040 klimaneutral werden und damit 10-15 Jahre vor den nationalen Zielen der Bundesrepublik. Bis 2030 will das Land den Brutto-Strombedarf sogar vollständig durch Erneuerbare Energien decken. Wie wollen Sie diese hochgesteckten Ziele realisieren?

Ja, das stimmt. Wir haben in Sachen Klimaneutralität im Bundesvergleich die weitreichendsten Ziele. Aber das ist auch dringend notwendig, um unseren Beitrag zum Klimaschutz und zur Einhaltung des Pariser Abkommens zu leisten. Eine Voraussetzung hierfür ist die Dekarbonisierung der Energieerzeugung und damit der konsequente Ausbau der Erneuerbaren Energien. Um unsere Ziele zu erreichen, brauchen wir bis 2030 mindestens eine Verdopplung der Windenergie und eine Verdreifachung der Solarenergie. Dazu ist bei der Windenergie und der Photovoltaik jeweils ein jährlicher Nettoausbau von 500 MW erforderlich. Bei Solar setzen wir beispielsweise auf Förderprogramme sowie eine Photovoltaik-Pflicht für gewerbliche Neubauten und Parkplätze mit mehr als 50 Stellplätzen.

Die Erzeugung erneuerbaren Stroms ist das Eine. Was braucht es darüber hinaus, damit Rheinland-Pfalz früher klimaneutral werden kann als der Bund?

Daneben geht es darum, die netz- und systemdienliche Sektorenkopplung, die hocheffiziente grüne Kraft-Wärme-Kopplung, das Thema grüner Wasserstoff und den Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Mobilität voranzutreiben. Wir wollen auch, dass der Wärmebedarf gesenkt wird und streben dazu eine verstärkte energetische Sanierung und eine möglichst hohe und schnelle Durchdringung mit Erneuerbaren Energien, vorrangig mit effizienten Wärmepumpen und kalter Nahwärme, die ihren elektrischen Strom aus Erneuerbaren Energien beziehen, sowie mit Solarthermie- und Holzpelletanlagen an. Zudem planen wir die Erstellung eines Wärmekatasters für Rheinland-Pfalz. Sie sehen also, wir setzen an ganz verschiedenen Stellen an, damit wir unsere Ziele hin zu einer nachhaltigen und dezentralen Energieversorgung in Bürgerhand erreichen.

Sehr geehrte Frau Ministerin, vielen Dank für das Gespräch.