Warum haben Sie H2.JETZT! gegründet?

Marcel D. Werner: Wasserstoff ist der zentrale Baustein für die Energiewende. Nur mit Wasserstoff als Speicher- und Transportmedium lassen sich die erneuerbaren Energien sinnvoll weiter ausbauen und nutzen. Nur mit Wasserstoff können viele Industriebereiche nachhaltig dekarbonisiert werden. Insgesamt geht es um nicht weniger als die Sicherstellung unserer zukünftigen Energieversorgung für Industrie und Wirtschaft. Wir haben die H2.JETZT!-Plattform aufgesetzt, weil wir davon überzeugt sind, dass der Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette jetzt beginnt. Wasserstoff ist kein in der Ferne liegendes Zukunftsthema, sondern eine energie- und industriepolitische Herausforderung von heute. Sowohl die Ziele der EU als auch der Bundesregierung für den Ausbau der Wasserstoffkapazitäten unterstreichen dies eindeutig. Um diesen Hochlauf in der Breite zu unterstützen, wollen wir Unternehmen mit ihren erfolgskritischen Erfahrungen und Kompetenzen zusammenbringen. Dabei geht es um Erfahrungsaustausch, aber auch um die Möglichkeit Wasserstoffprojekte zu identifizieren, die gemeinschaftlich vorangetrieben werden können. H2.JETZT! will damit ein weiterer Impulsgeber für den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft sein.

 

Erzeugung von grünem Wasserstoff aus Windstrom – warum ist das für Betreiber von Windparks attraktiv?

Marcel D. Werner: Grüner, mittels erneuerbarer Energie erzeugter Wasserstoff ist der natürliche nächste Baustein für die Energiewende. Schon bei den heutigen Wind- und Solarkapazitäten muss zunehmend Strom abgeregelt werden, da die Netzlastkapazitäten überfordert sind. Durch den weiteren Zubau der erneuerbaren Energien aus Wind und Solar wird es erforderlich sein, grünen Strom in grünen Wasserstoff zu verwandeln, um somit erneuerbare Energien unabhängig von Raum und Zeit nutzen zu können. Es ist nicht davon auszugehen, dass Windbetreiber zukünftig weiterhin Strom produzieren können, wenn dieser nicht abgenommen werden kann. Die Erzeugung von grünem Wasserstoff ist damit sowohl aus betriebswirtschaftlicher Sicht des Betreibers als auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht eine sinnvolle Fortsetzung der Wertschöpfungsketten zur Erzeugung erneuerbarer Energien. Er schafft für Windparkbetreiber eine zukunftssichere Abnahmequelle für den produzierten Strom und damit attraktiven Off-Take.

 

Warum gibt es bisher nur ein paar realisierte Projekte mit Demonstrationscharakter?

Marcel D. Werner: Eine wesentliche Voraussetzung für die industriell breite Nutzung von Wasserstoff ist der Ausbau der infrastrukturellen und industriellen Grundlagen. Dieser findet aktuell bereits statt: Elektrolyseur-Hersteller und ihre Zulieferer sind aktuell dabei, ihre Kapazitäten massiv zu erweitern, um sozusagen die „Hardware“ für die Wasserstoffwirtschaft im industriellen Maßstab zu schaffen. Hinzu kommt, dass die wesentlichen regulatorischen Grundlagen – z.B. für die Definition von grünem Wasserstoff – erst in den letzten Monaten EU-seitig festgelegt wurden. Ein verlässlicher regulatorischer Rahmen ist jedoch zwingend, um langfristige Investitionsentscheidungen zu ermöglichen. In diesem Sinne sprechen viele derzeit vom Jahr 2023 als das Jahr des Wasserstoffs, da viele Grundlagen hierfür aktuell geschaffen werden.

 

Wann erwarten Sie den Markthochlauf?

Marcel D. Werner: Mit Blick auf die Aktivitäten von Unternehmen zum Ausbau ihrer Kapazitäten ist der Markthochlauf bereits im Gange. Mit Blick auf die Zielsetzung zum Ausbau der konkreten Erzeugerkapazitäten ist die Marschrichtung klar. Bis 2030 strebt die Bundesregierung bereits installierte Erzeugungskapazitäten von 10 GW allein in Deutschland an. Industrievertreter und der Nationale Wasserstoffrat gehen noch von weitaus höheren Zahlen von bis zu 20 GW aus. Wir gehen davon aus, dass wir in der Fläche bereits in den nächsten Jahren eine Vielzahl von dezentralen Wasserstoffprojekten sehen werden, die zusätzlich zu den vorgesehenen Importkapazitäten den Hochlauf klar erkennbar werden lassen.

 

Was sind die Gründe für TÜV SÜD, an der Initiative als assoziierter Partner teilzunehmen?

Dr. Thomas Gallinger: Bei TÜV SÜD erleben wir in unserer täglichen Praxis, dass grüner Wasserstoff ein wesentlicher Baustein zur Erreichung der Dekarbonisierungsziele ist. Schließlich werden bei den meisten Wasserstoffprojekten unsere Prüfdienstleistungen benötigt. Dadurch haben wir auch Einblick in eine große Anzahl von Wasserstoffprojekten unterschiedlichster Art. Dabei stellen wir immer wieder fest, dass bei Projekten der ursprüngliche Zeitplan bei weitem nicht einzuhalten ist oder die Projekte sogar in einer frühen Phase stecken bleiben. Dafür gibt es viele Gründe, aber zumindest bei einem Teil der Projekte können wir aufgrund unserer Erfahrungen und unseres Know-hows als technischer Dienstleister zur Lösung der Probleme beitragen. Und H2.Jetzt! ist hier eine gute Initiative, da sie genau das zusammenbringt, was jetzt benötigt wird: ein Netzwerk mit Erfahrung.

 

Und was sind Ihre Erfahrungen bei den Projekten, die Sie bisher begleitet haben: Wo waren die größten Herausforderungen, die zu Verzögerungen geführt haben?

Dr. Thomas Gallinger: Steht die Entscheidung für den Bau und ist die Finanzierung gesichert, ist der nächste Schritt die Anlagen- und Lieferantenauswahl. Wasserstofftechnologien wie Elektrolyseure, Tankstellen oder H2-Pipelines gibt es seit Jahrzehnten, aber sie waren bisher nicht weit verbreitet. Deshalb waren die Anforderungen an Sicherheit, Zuverlässigkeit und Performance auch nicht auf einem Stand, der für den großflächigen Einsatz dieser Technologien notwendig ist. Weil es keine etablierten Prozesse und Erfahrungswerte gibt, kommt es bei der Umsetzung von Projekten schnell zu Verzögerungen. Das gilt zum Beispiel für die Erstellung von Spezifikationen, für Abnahmen oder Inbetriebnahmeprozesse. Vor der Inbetriebnahme müssen gesetzlich geforderte Prüfungen und Abnahmen für Explosionsschutz, Brandschutz und weitere sicherheitskritische Bereiche durchgeführt werden. Dabei zeigt sich, dass Betreiber häufig noch keine Erfahrung mit Gasanwendungen und vor allem mit wasserstoffspezifischen Eigenheiten der Anlagen und Komponenten haben. Das führt dann zum Beispiel dazu, dass die Gefährdungsbeurteilung und das Explosionsschutzkonzept nicht ausreichend sind und mit hohem Zeitaufwand angepasst werden müssen. Dazu sind zum Teil sogar nachträgliche bauliche Änderungen nötig. Wenn die Anlage erst einmal im Einsatz ist, braucht man qualifiziertes Personal für Betrieb und Wartung. Doch Fachpersonal mit einem wasserstoffspezifischen Hintergrund ist absolute Mangelware und das wird sich auch nur langsam ändern.

 

Und Ihr Eindruck – wie sieht die Entwicklung in den genannten Bereichen aus?

Dr. Thomas Gallinger: Die Wasserstoffbranche entwickelt sich insgesamt mit rasantem Tempo weiter. Planer, Investoren und Betreiber – und auch die Prüfer und Zertifizierer – sammeln Erfahrungen und haben eine extrem steile Lernkurve. Zudem wird massiv in die Entwicklung von innovativen und marktreifen Technologien investiert und die Fachkräfteproblematik wird über ein gutes Weiterbildungsangebot und erste spezialisierte Studiengänge angegangen. Und ganz wichtig: Die einschlägigen technischen Regelwerke werden gerade mit Hochdruck erweitert und ergänzt. Das gilt für alle Anwendungsgebiete. Dadurch wird auch der Stand der Technik definiert, um das nötige Vertrauen für langfristige Investitionen zu schaffen. Wo noch Lücken bestehen, unterstützen wir mit der Entwicklung spezieller Guidelines beispielsweise für die H2-Readiness von Kraftwerken. Dazu arbeiten wir mit innovativen Projektpartnern zusammen, wie den Gründern von H2.JETZT!

Dieser Beitrag erschien im BWE BetreiberBrief 4-2023.

 


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