Inwiefern könnte sich die Gemeinde-Öffnungsklausel zum Game-Changer für die Windenergie entwickeln?

Stephan Frense: Ich würde das für Schleswig-­Holstein als Booster bezeichnen. Das ist ein tolles zusätzliches Werkzeug für die Kommunen. Die Bundesregierung war ja nicht zufrieden mit der Ausbaugeschwindigkeit der Erneuerbaren. Und es haben sich auch viele Landesregierungen ein Stück weit versteckt hinter einer vermeintlich fehlenden Akzeptanz aufseiten der Bürger. Die Bundesregierung war schlau zu sagen: Wir geben das mal in die Hände der Kommunen. Die haben eben direkt vor Ort den Draht zu den Bürgern und geben denen ein Werkzeug, an der Energiewende mitzuarbeiten.


Meinen Sie, dass die Kommunen das Instrument verstanden haben?

Stephan Frense: Teils, teils. Das sind engagierte Ehrenamtler in den Gemeinden. Die brennen für ihre Region. In Schleswig-Holstein sind tatsächlich 92 Prozent der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister ehrenamtlich tätig. Und das ist natürlich noch mal eine ganz andere Herausforderung. Wir konnten in unseren zahlreichen Gesprächen und bei der Regionalkonferenz in Rendsburg vielen eine Initialzündung geben.


Gibt es bereits Beispiele für die Anwendung der Gemeindeöffnungsklausel?

Stephan Frense: Erst seit wenigen Wochen ist es den Kommunen gesetzlich erlaubt, dieses Instrument für einen eigenen Ausbau auch zu nutzen. Wir setzen uns dafür ein, dass die Chancen niedrigerer Strompreise für Haushalte und Wirtschaft vor Ort als auch für eine klimaneutrale Wärmeversorgung gesehen und auch genutzt werden. Das ganze Thema hat den positiven Aspekt, dass es zur regionalen Wertschöpfung beiträgt, dass Handwerker beauftragt werden, dass der Handel entsprechend prosperiert. Regionale Partnerschaften entstehen, zusätzliche Gewerbesteuer kommt herein. Wenn man die kleinen Orte in Schleswig-Holstein vor 30 Jahren und heute vergleicht, sieht man jetzt Kindergärten, Straßen sind in Schuss, die Feuerwehr ist gut aufgestellt. In Schleswig-Holstein werden Menschen nachts wach, wenn das Windrad in der Nachbarschaft sich nicht dreht. Das ist nämlich ihr Windrad. Und in anderen Bundesländern wird man nachts wach, wenn das Windrad, das einem anderen gehört, sich dreht. Das ist eine ganz andere Sichtweise. Der Schlüssel ist letztendlich die finanzielle Beteiligung, aber auch das Übernehmen von Verantwortung, und dann wird das Windrad oder der Solarpark gar nicht als störend empfunden. Der Dreiklang ist Beteiligung, Übernahme von Verantwortung, Akzeptanz. Und das ist den Kommunen mit der Gemeindeöffnungsklausel als Werkzeug in die Hand gegeben worden.


Könnte es darauf hinauslaufen, dass manche Bundesländer vielleicht auch mehr als zwei Prozent der Flächen für die Windkraft ausweisen?

Stephan Frense: Absolut, die Gemeinden werden damit wieder Gestalter der Energiewende. In Schleswig-Holstein gehen wir übrigens mit drei Prozent der Flächen bereits voran. Gerade wegen dieses Zubaus von Erneuerbaren siedeln sich jetzt zunehmend Industrieunternehmen an, wie zuletzt Northvolt mit geplanten 3.000 Arbeitsplätzen.

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Informationspapier: Was regelt die neue Vorschrift des § 245e Absatz 5 BauGB und wie ist sie anzuwenden?

Gibt es etwas, wovor Kommunen sich hüten sollten?

Stephan Frense: Ja, keine Kommunikation mit den Akteuren. Ein Austausch mit den Planungsbehörden ist wichtig. Dass man nicht isoliert handelt, sondern die Pläne mit den Behörden bespricht. Und ich empfehle unseren Kommunen natürlich, mit den Unternehmen vor Ort zusammenzuarbeiten, diese wollen wie die Kommunen Wertschöpfung und Arbeitsplätze vor Ort schaffen und halten.


Wie ist Ihre Erfahrung: Wollen viele Kommunen selbst planen, oder wollen sie lieber nur die Flächen zur Verfügung stellen?

Stephan Frense: Erfahrungsgemäß geht das Hand in Hand. Wir haben ja in unserem Gesellschafterkreis sehr viele Projektierer. Wenn Kommunen also Hilfe brauchen, können die sich an erfahrene Projektierer wenden, damit sie entsprechend unterstützt werden. Aber zuerst sollte sich die Kommune darüber im Klaren sein, welche Möglichkeiten sie hat.


Wollen Kommunen selber etwas machen?

Stephan Frense: Bei einer Regionalkonferenz, die wir gerade veranstaltet haben, waren durchaus Bürgermeister, die sagten, sie wollten erfahren, was sie jetzt machen müssen. Einer sagte später, er habe „richtig Bock darauf, jetzt was zu tun“. Viele haben festgestellt, dass sie nun in die gestaltende Rolle kommen, dass sie im Grunde über die Regionalplanung hinaus auch Angebote machen können und dann letztendlich mit einem begründeten Zielabweichungsverfahren einen Antrag stellen können. Dazu haben wir ihnen geraten. Also, das auf jeden Fall zu tun, dass dieses Zielabweichungsverfahren erst mal in den Prozess eingespeist wird, damit sie das Heft des Handelns in der Hand behalten.


Energy-Sharing als Option: Können Sie dazu ein bisschen was sagen? Was können Gemeinden da machen?

Stephan Frense: Ich muss ein wenig ausholen. Die Möglichkeit zum Energy-Sharing wurde von der EU bereits 2019 eingefordert. Die damalige Bundesregierung hat da überhaupt nichts gemacht und die jetzige wenig. Der Ansatz ist zurzeit, dass die Bürgerinnen und Bürger zwar Anlagen betreiben können oder auch einspeisen dürfen, aber letztendlich den Strom vor ihrer Haustür selbst nicht nutzen können. Ziel ist es deshalb, dass Haushalte, Gewerbe und auch Industrie von dem günstigen Erneuerbaren-Strom vor Ort profitieren können. Der zweite Punkt ist im Grunde das Thema Flexibilitäten. Die Energiewende wird nur funktionieren, wenn man die Flexibilitäten anreizt, das heißt, wenn der Wind weht und die Sonne scheint, dann müsste der Strom auch günstig sein und vor Ort verbraucht werden können. Aber derzeit gibt es noch keine preislichen Anreize, dann Strom zu verbrauchen, wenn viel davon da ist.


Aber variable Strompreise je nach Angebot und Nachfrage sind doch vorgesehen, oder?

Stephan Frense: Ja, das ist richtig. Das erfordert aber auch einen gewissen Change in den Köpfen der Menschen, dass sie Spaß daran haben, dann den Strom zu beziehen, wenn er da ist. Und im Moment ist es egal, zu welcher Tageszeit ich Strom verbrauche. Der Strom ist da wie die Luft zum Atmen.


Dabei ist Schleswig-Holstein das Bundesland, das mit viel Regenerativstrom Industrie anlocken wollte. Und das ist ja jetzt in Heide mit Northvolt auch gelungen.

Stephan Frense: Wir sagen uns immer, wir warten nicht auf die großen Trassen, um den bayerischen Raum zu beliefern, sondern wir gucken erst mal, was vor Ort möglich ist. Wenn klar wäre, dass man eben vor Ort den Strom nutzen könnte, wäre auch in Bayern die Bereitschaft größer, dort Erzeugungsanlagen zu bauen. Denn im Moment verlässt sich der Süden auf den Norden. Und richtig, Industrieunternehmen und Unternehmen für Wasserstofflösungen schauen sehr genau hin, an welchem Standort ausreichend erneuerbare Energie zur Verfügung steht. Hier darf es auch etwas Wettbewerb unter den Bundesländern geben.


Das wird wohl auch mit den Netzentgelten künftig ein bisschen angetriggert.

Stephan Frense: Die Diskussion findet gerade statt. Es ist richtig, dass die Bundesnetzagentur die Netzentgelte in den Regionen mit dem meisten Erneuerbaren-Zubau absenken will. Zugleich setzen wir uns seit Jahren massiv dafür ein, dass Strom, der nicht vom Netz aufgenommen werden kann, auch vor Ort in Power-to-X-Lösungen, zum Beispiel für die Herstellung von grünem Wasserstoff, genutzt werden kann. Wir sind Bundeswirtschaftsminister Habeck dankbar, dass neben allem Krisenmanagement auch Zeit für die Klärung dringlicher Marktdesign-Fragen bleibt.


Noch ein Tipp?

Stephan Frense: Die Öffnungsklausel ist wirklich eine Chance für die Bürgerinnen und Bürger und für die Kommunen sowie letztendlich für das Gelingen der Energiewende. Wenn die Gemeinden sich um Flächen kümmern und dann einen Antrag auf Zielabweichung an die Ordnungsbehörden stellen, dann behalten sie das Heft des Handelns in der Hand, dann bleiben sie Herr des Verfahrens. Das ist ein wichtiger Punkt. Mein Appell an alle Innenministerien ist, diese sich eröffnende Möglichkeit proaktiv und freundschaftlich zu unterstützen, weil es eine echte Chance ist, dass dieses Werkzeug von den Kommunen auch genutzt wird. Wichtig ist auch das Thema Akzeptanz. Das Beispiel Schleswig-Holstein zeigt, dass wir durch Beteiligung auch Akzeptanz schaffen. Kommunen können sich gerne an uns wenden, wenn sie unsicher sind. Zu uns gehören 420 Gesellschaften, überwiegend Bürgerwindparks. Das ist eine Wertegemeinschaft. Wir wollen im Grunde in dieser Gemeinschaft, die die Energiewende vorantreibt, möglichst viele Menschen einbinden.

 

Dieses Interview von Nicole Weinhold erschien am 22. März bei Erneuerbare Energien.

 


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