Die aktuelle Energiekrise macht deutlich, dass wir schneller unabhängig von fossilen Energien werden müssen. Was können die Erneuerbaren in den mitteldeutschen Ländern dazu beitragen?
Tom Lange: Die von der Bundesregierung geplante Ausweisung von 2 Prozent der Landesfläche für die Nutzung der Windkraft ist ein wichtiges Signal. Sachsen und Thüringen haben bisher nur weniger als 0,5 Prozent ihrer Flächen für die Windkraftnutzung ausgewiesen und hinken beim Windkraftausbau deutlich hinterher. In Sachsen war im vergangenen Jahr sogar ein Netto-Rückgang bei der installierten Windenergieleistung zu verzeichnen. In Sachsen-Anhalt wurde bisher ebenfalls lediglich etwas über ein Prozent der Landesfläche für die Windkraftnutzung freigegeben. Wir sehen in den mitteldeutschen Bundesländern noch viel Potenzial für einen konfliktfreien Ausbau der erneuerbaren Energien.
Die Bundesregierung hat glücklicherweise erkannt, dass es nicht nur mehr Flächen zur Windenergienutzung braucht, sondern dass diese auch deutlich schneller und rechtssicherer ausgewiesen werden müssen. Neue Gesetze aus Berlin für die Flächenplanung und für Genehmigungsverfahren werden die Länder, Behörden und Gerichte entlasten und können maßgeblich dazu beitragen, den Rückstand beim Ausbau der Erneuerbaren in Mitteldeutschland aufzuholen.
Wie genau kann Mitteldeutschland von den Erneuerbaren profitieren? Aktuell sind dort große Teile der Wirtschaft stark von fossilen Energieträgern abhängig.
Tom Lange: Das stimmt. Erneuerbare Energien und Industrie gehen jedoch bereits heute Hand in Hand. Industrielle Wertschöpfung fängt bei der Erzeugung von Strom aus Wind- und PV-Anlagen in der Region an und zieht sich über die Stromnutzung bis zur Wärme- und Wasserstofferzeugung durch alle Sektoren. In Zukunft werden Industriearbeitsplätze besonders dort entstehen, wo wir Strom aus erneuerbaren Energien gewinnen. Das zeigt nicht nur die Tesla-Gigafactory, sondern auch die Intel-Halbleiterfabrik bei Magdeburg, die größte jemals geplante Investition in Sachsen-Anhalt. Generell berichten die Industrie- und Handelskammern, dass bei Anfragen zur Ansiedlungen von Unternehmen das Thema der 100%-Grünstromversorgung an erster Stelle steht. Es ist zu einem Gewinnerthema geworden.
Die 2020 beschlossenen Gesetzespakete zum Kohleausstieg und zur Strukturentwicklung bieten enorme Potenziale und stellen nicht nur die Weichen für ein Ende der klimaschädlichen Kohleverstromung. Die vom Bund bereitgestellten Finanzmittel in Milliardenhöhe können, wenn sie richtig genutzt werden, den Grundstein für die Ansiedlung innovativer, neuer Unternehmen legen und somit eine langfristige Wertschöpfung in den vom Strukturwandel betroffenen Regionen schaffen. Alleine auf Sachsen entfallen für einen Zeitraum von knapp 20 Jahren rund zehn Milliarden Euro.
Bei zukünftigen Projekten in Ost- und Mitteldeutschland bietet es sich an, Erzeugung und Verbrauch von Anfang an gemeinsam und sektorübergreifend zu denken. Mit politischem Willen, den vorhandenen Flächen für Industriegebiete und neuen Wind- und PV-Anlagen lassen sich in Mitteldeutschland wegweisende Sektorkopplungsprojekte realisieren.
Wie können solche Konzepte aussehen?
Tom Lange: Lassen Sie uns beispielhaft einen Blick in die Lausitz werfen. Bisher dominiert von der Braunkohle-Industrie, ist die Lausitz zu einem Paradebeispiel für eine Region im Strukturwandel geworden. Mit dem Ausbau der Erneuerbaren und der Ansiedlung innovativer Projekte, werden in der Lausitz aktuell die Weichen umgestellt. Auf dem Gelände des ehemaligen Flugplatzes Cottbus-Drewitz entsteht auf einer Fläche von über 200 ha das klimaneutrale Industriegebiet Green Areal Lausitz („GRAL“). Das gesamte Industrie- und Gewerbegebiet soll vollständig mit lokalen, erneuerbaren Energien versorgt werden. Dabei geht es nicht nur um die Stromversorgung der Unternehmen vor Ort, sondern auch um eine hocheffiziente Erzeugung von Wärme und grünem Wasserstoff. Bisher einzigartig in Deutschland.
Wie profitieren Gemeinden von einem Ausbau der Erneuerbaren?
Tom Lange: Zunächst einmal sorgt der Ausbau der Erneuerbaren für das Entstehen von dezentralen Arbeitsplätzen und einen Anstieg der regionalen Wertschöpfung. Das ist insbesondere für strukturschwache Regionen enorm wichtig. Zum anderen profitieren Standortkommunen von zusätzlichen Gewerbesteuereinnahmen und können durch die kommunale Beteiligung, die das EEG durch §6 ermöglicht, zusätzlich an den Erträgen der erneuerbaren Energieanlagen beteiligt werden. Bei einer modernen Windkraftanlage sprechen wir hier von rund 30.000 € pro Jahr, die den umliegenden Gemeinden zugutekommen.
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