Vorsorge statt Sorge

Durch die im ersten Teil der Technikserie geschaffenen Grundlagen zum Thema „Erosion am Rotorblatt“ folgt in diesem Artikel eine Aufschlüsselung von bekannten und zukünftigen Maßnahmen zur Vorbeugung der Beschädigung von Blattvor-derkanten durch Erosion. [1] Neben einer Beschreibung der klassischen Schutzsysteme (engl. Leading Edge Protection LEP), erfolgt die Vorstellung einer Methodik zur Erweiterung des Maßnahmenkatalogs durch

  • passive Schutzsysteme wie Lacke und Folien
  • aktive Maßnahmen durch Messmethoden zur Erfassung des Erosionsmilieus

Ertragsverluste durch Erosionsschäden an den Vorderkanten sind in der Forschung bereits hinreichend belegt. Die Verifizierung und die genaue Höhe der Verluste im Feld sind jedoch nicht quantifizierbar, da die Vermessung des Windfeldes in der Rotorebene aufgrund ihrer Standort- und Zeitabhängigkeit hochkomplex ist.
Aktuell verwendete Schutzsysteme sind deutlich kurzlebiger als die Anlagenstandzeit von 20 Jahren und mehr. Die sich wiederholenden Reparaturen und erosionsbedingten Leistungsminderungen führen zu einer Senkung der Ertragsbilanz. Dadurch entsteht die Notwendigkeit, abseits der klassischen Schutzsysteme die Forschung und Entwicklung für neue Arten von Schutzsystemen voranzutreiben. 

„Alles, was man nicht messen kann, kann man nicht verbessern“ – aktive und passive Erosions-Schutzsysteme bzw. Maßnahmen

Rotorblätter bestehen aus Faserverbundwerkstoffen. Das Gemisch aus Glasfasergewebe und Epoxidharz bietet dabei das optimale Verhältnis von Gewicht und struktureller Stabilität. Bei diesen Verbundwerkstoffen handelt es sich um spröde Materialverbindungen, die keine eigene Erosionsbeständigkeit aufweisen. Die Rotorblätter werden jedoch durch Stoßbelastungen und Umweltfaktoren wie Feuchtigkeit, Temperatur, UV-Strahlung und erosive Belastungen wie Regen und Staub stark beansprucht. Zum Schutz der Struktur werden die Rotorblätter beschichtet und zusätzliche Erosions-Schutzsysteme an den Vorderkanten der Blätter angebracht.


 


Passive Schutzsysteme

Die Rotorblätter werden beim Herstellungsprozess außen mit Gel Coat und Top Coat beschichtet. Der Erosionsschutz wird teilweise bei der Rotorblattfertigung, aber auch am Aufstellungsort der Anlage appliziert. Die Umweltparameter wie Feuchte, Temperatur und Windgeschwindigkeit müssen beim Auftragen beachtet werden. Die Applizierung dieser lassen sich im Verlaufe der Produktion besser kontrollieren als am Anlagenstandort und bei der Instandsetzung. [2] Die aktuell meist verwendeten Schutzsysteme bestehen aus speziellen Schutzlacken oder einer speziellen Klebefolie, die an der Vorderkante angebracht werden. Diese Schutzsysteme haben gemein, dass sie eine flexible Oberfläche erzeugen und so die Aufprallenergie der Regentropfen oder Sandpartikel abfedern. 7

Die Schutzsysteme haben sich in der Praxis bereits bewährt, jedoch ist deren Haltbarkeit deutlich geringer als die anvisierten Standzeiten der Windenergieanlagen. Dies kann dazu führen, dass eine Folie, die sich teilweise von der Vorderkante löst, eine deutliche Verschlechterung der aerodynamischen Eigenschaften des Rotorblattes erzeugt. [3]
Untersuchungen und Erfahrungen aus den zurückliegenden Jahren hin-sichtlich der Schutzsysteme im Erosionsteststand zeigen, dass deren positive Weiterentwicklung ständig voranschreitet. Zusätzlich scheint auch das Bewusstsein über das Einsparungspotential der Kosten im Bereich Erosionsschutz zu steigen. Die Schutzsysteme werden zum Teil bereits standortspezifisch, passend zum bestehenden Erosionsmilieu gewählt. Die Herausforderung bezüglich der Herstellung und Weiterentwicklung dieser Schutzsysteme besteht darin, die Langlebigkeit und die Resistenz gegen Umwelteinflüsse zu erhöhen und gleichzeitig die Applizierbar-keit auch bei Reparaturen unter nicht optimalen Wetterbedingungen zu ermöglichen. Als Ergänzung zu den vorhandenen Systemen kann ein optimierter Anlagenbetrieb zu einer deutlichen Reduktion der Erosions-schäden führen. Für die Umsetzung müssen die Umwelteinflüsse vor der Rotorebene erfasst werden. 

Aktive Maßnahmen zum Schutz des Rotorblattes

Durch die Entwicklung einer Messmethodik zur validen Bestimmung des aktuellen Mikroklimas am Standort einer WEA können Maßnahmen für eine optimierte Betriebsführung in Echtzeit durchgeführt werden. Die daraus folgende Bewertung der Schadenseinflüsse durch das vorhandene Erosionsmilieu können dann mit einer Empfehlung an den Betriebsführer gesendet werden. Die Daten dienen als Basis für Entscheidungen, um eine Minderung der Drehzahl des Rotorblattes zu veranlassen. Durch die Verminderung wird die Blattspitzengeschwindigkeit verringert und der Erosionsimpact, welcher quadratisch zur Geschwindigkeit ist, deutlich minimiert. Daraus folgen eine verlängerte Lebensdauer und eine Senkung der Wartungs- und Instandsetzungskosten. Gleichzeitig kann durch verkürzte Stillstandszeiten und die vermiedenen Erosionsschäden ein Ertragsausfall verhindert werden. 

Mithilfe ausgewählter, sich ergänzender Messverfahren wird das lokale Wetter an einer und um eine WEA sowie ihrer Umgebung unmittelbar erfasst. Die Messgeräte überwachen den unmittelbaren Raum vor der WEA. Weitere funkbasierte Messverfahren ergänzen den Überwachungs-bereich auf den Raum zwischen den WEA eines Windparks. So wird die Ausdehnung der aktuellen Wetterlage im Windpark vermessen. Diese Messverfahren gestatten es, die Auswirkungen von den schädigenden Wetterereignissen durch gezielte Maßnahmen auf die Blattvorderkanten zu reduzieren.

Fazit

Durch die Abschätzung des standortspezifischen Erosionsmilieus in Verbindung mit angepassten klassischen Schutzsystemen kann eine Leistungsminderung des Betriebes verringert werden. Zusätzlich wird gegen Rotorblattreparaturen wie zum Beispiel kostenintensive Blattwechsel oder einer Neubeschichtung der verbauten Rotoren vorgebeugt. Somit kann ein Weiterbetrieb auch nach einer regulären geplanten Laufzeit von 20 Jahren durch die längere Haltbarkeit der Schutzsysteme ohne steigen-de OPEX ermöglicht werden.

Dieser Beitrag wurde erstmals im BetreiberBrief 4/2022 veröffentlicht.


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