In dem Urteil (Az. XI ZR 219/19; Sept. 2020) hatte der BGH über die Frage zu entscheiden, ob die Vorschriften der Verbraucherverträge auf Vertragsverhältnisse Anwendung finden, in denen die entgeltliche Leistung nicht vom Unternehmer, sondern vom Verbraucher erbracht wird.

Hintergrund: Verbraucherrechte und Nutzungsverträge

Wird ein sogenannter Verbrauchervertrag nach § 312 Abs. 1 BGB (§§ 312 ff. BG) geschlossen, so stehen dem Verbraucher einige besondere Schutzrechte zu (§§ 312 ff. BG) , so auch das Recht zum Widerruf bei Vertragsschlüssen außerhalb von Geschäftsräumen und Fernabsatzverträgen. Außerdem treffen den Unternehmer dann die Pflicht zur Widerrufsbelehrung und umfassende Informationspflichten (§§ 312d­f BG).

Im Rahmen der Flächensicherung für Windenergieprojekte werden vielfach Nutzungsverträge mit Grundstückseigentümern abgeschlossen, die gegebenenfalls als Verbraucher gelten. Vor diesem Hintergrund stellt sich im Bereich der Projektentwicklung seit Längerem die Frage, ob den jeweiligen Verbrauchern die genannten Verbraucherrechte zustehen und dementsprechend Widerrufsbelehrungen, Widerrufsformularen und Verbraucherinformationen erforderlich sind. Eine einheitliche Praxis hat sich hierzu bis heute nicht herausgebildet. Oftmals werden aber fehlende oder fehlerhafte Widerrufsbelehrungen als Argument zum Versuch der Lösung von Verträgen genutzt oder zumindest im Rahmen von Due Diligence Prüfungen als Risiko identifiziert.

Der BGH zu den „umgekehrten Verbraucherverträgen“

In dem nun ergangenen Urteil befasste sich der BGH mit einem solchen „umgekehrten Verbrauchervertrag“. Allerdings handelte es sich nicht um einen Nutzungsvertrag, sondern um die Bürgschaft eines Verbrauchers für einen Kredit zugunsten seiner GmbH. Nach der Insolvenz der GmbH forderte die Bank von dem Bürgen die Rückzahlung des Darlehens ein.

Daraufhin erklärte der Bürge den Widerruf des Bürgschaftsvertrages unter Berufung auf das Verbraucherwiderrufsrecht. Anders als noch das Berufungsgericht geurteilt hatte, entschied der BGH zugunsten der Bank. Ein Widerrufsrecht für den Bürgen sei hier nicht entstanden. Es liege kein „Verbrauchervertrag“ im Sinne des § 312 Abs. 1 BGB vor, weil diese Regelung und alle daraus folgenden Vorschriften zum Schutz von Verbrauchern nur auf Verbraucherverträge anzuwenden seien, die eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben, nicht aber auf „umgekehrte Verbraucherverträge“.

Zur Begründung des Urteils verweist der BGH zunächst auf den Wortlaut des § 312 Abs. 1 BGB. Dieser sei eindeutig. Die gegen ein vereinbartes Entgelt zu erbringende Leistung müsse von dem Unternehmer erbracht werden. Der umgekehrte Fall, dass die entgeltliche Leistung von dem Verbraucher erbracht wird, sei hingegen von der Regelung nicht erfasst. Ein solches Verständnis der Norm lege zudem auch die Gesetzesbegründung nahe und sei vom Schutzzweck der Norm her so gewollt. Denn dieser beziehe sich auf die geschwächte Verhandlungsposition des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer, die dadurch entsteht, dass der Unternehmer die Leistung erbringen möchte und aus diesem Grund die Initiative bei den Vertragsverhandlungen ergreift.

Übertragbarkeit der Argumentation auf Nutzungsverträge

Nach der Analyse des Urteils ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der BGH auch bei „typischen“ Nutzungsverträgen zwischen Projektentwicklern oder Anlagenbetreibern auf der einen Seite und Grundstückseigentümern als Verbrauchern auf der anderen Seite, gleichermaßen entscheiden würde. Denn die Argumentation des BGH ist allgemein auf „umgekehrte Verbraucherverträge“ bezogen. Dass es sich bei Nutzungsverträgen um „umgekehrte Verbraucherverträge“ handelt, soweit nicht atypische Regelungen vereinbart werden, steht ebenfalls nicht in Frage: Die entgeltliche Leistung wird durch den Verbraucher erbracht. Denn er stellt sein Grundstück zur Verfügung, nicht der Unternehmer. Geld fließt allein in eine Richtung, zum Verbraucher hin. Ferner ist auch bei Nutzungsverträgen kein erhöhtes Schutzbedürfnis des Verbrauchers zu erkennen.

Und was sagt die EU dazu?

Bisher wurde teilweise argumentiert, dass der § 312 Abs. 1 BGB vor dem Hintergrund des EU­Rechts („unionsrechtskonform“) weit auszulegen sei. Da der Geltungsbereich der Verbraucherrechterichtlinie (VR­RL) nach deren Art. 3 „jegliche Verträge, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geschlossen werden“ erfasse, könnten vom Widerrufsrecht auch Verbraucherverträge ohne entgeltliche Leistung des Unternehmers erfasst sein. So war auch die Vorinstanz in dieser Sache zum Ergebnis gekommen, dass die Gegenleistung der Bank in der Gewährung des Kredits an den Hauptschuldner läge und dies als „entgeltliche Leistung“ von der Norm erfasst sei.

Diesen Überlegungen hat der BGH jedoch eine Absage erteilt: Angesichts des Wortlauts, der Systematik und des Regelungszwecks der VR­RL sei die Frage ohne Weiteres so zu beantworten, dass die VR­RL eine Leistung des Unternehmers voraussetze. Es bleibe für Zweifel kein Raum („acte clair“). Insbesondere gelte das Widerrufsrecht nach Art. 9 der VR­RL nicht für umgekehrte Verbraucherverträge, sondern nur für die dort geregelten Vertragsarten.

Dieses Ergebnis entspreche auch dem Schutzzweck der VR­RL, die nicht darauf abziele, sämtliche Verbraucherverträge einzubeziehen, sondern dem Verbraucher, der sich in bestimmten Situationen gegenüber dem Unternehmer in einer geschwächten Verhandlungsposition befinde, durch konkrete Rechte zu schützen. So werde ihm z. B. eine Bedenkzeit (Widerrufsfrist) eingeräumt, damit er die gekaufte Ware prüfen bzw. die Eigenschaften der Dienstleistung zur Kenntnis nehmen kann, weil er in bestimmten Situationen nicht vorbereitet sei oder psychisch unter Druck stehe. Alle Überlegungen und die entsprechenden Informations­ und Widerrufsrechte in der VR­RL stellen danach auf eine Leistung des Unternehmers ab, also gerade nicht auf „umgekehrte Verbraucherverträge“.

Was bedeutet die BGH­Entscheidung für die Praxis?

Entgegen der Entscheidung des BGH wird teilweise die Auffassung vertreten, dass die Europarechtskonformität der §§ 312 ff. BGB nicht eindeutig sei. Dementsprechend bleibe eine gewisse Rechtsunsicherheit wegen der nicht erfolgten Vorlage durch den BGH an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) bestehen. In Bezug auf Nutzungsverträge wird daher teilweise empfohlen, nach wie vor – vorsorglich – die Pflichten zur Widerrufsbelehrung und die Informationspflichten zu beachten. Dieses Vorgehen ist zwar möglich, hat allerdings zwei Nachteile: Einerseits werden dem Grundstückseigentümer Rechte eingeräumt, die er höchstwahrscheinlich nach dem Gesetz nicht hat, und andererseits können dabei – für den Nutzungsvertrag ggf. schädliche – Fehler auftreten. Geht man im Gegenteil davon aus, dass dem BGH­Urteil allgemeine Bedeutung für „umgekehrte Verbraucherverträge“ zukommt, so lassen sich aus der Perspektive von Projektentwicklern und Anlagenbetreibern daraus für typische Nutzungsverträge im Bereich von EE­Projekten folgende Schlüsse ziehen:

  • Ein gesetzliches Verbraucherwiderrufsrecht besteht – unabhängig von der Situation, in der der Nutzungsvertrag abgeschlossen wird – nicht.
  • Eine Widerrufsbelehrung, ein Widerrufsformular und Verbraucherinformationen über den Nutzungsvertrag sind nicht mehr erforderlich.
  • Eine Widerrufsbelehrung sollte auch nicht mehr „vorsorglich“ erfolgen, weil allein durch das Verwenden von Widerrufsbelehrungen und ­formularen konkludent ein vertragliches Widerrufsrecht eingeräumt werden kann.
  • Wurden Nutzungsverträge mit Verbrauchern ohne Widerrufsbelehrung oder mit einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung geschlossen, so besteht auch dann kein Widerrufsrisiko mehr, wenn die Jahresfrist seit Abschluss des Vertrages noch nicht abgelaufen ist.

Dieser Text wurde erstmalig im BetreiberBrief 02/2021 veröffentlicht.


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