E­Fuels vom anderen Ende der Welt: In Chile ging mit Haru Oni Ende Dezember 2022 die erste voll integrierte Anlage zur Herstellung von CO2­neutralen Kraftstoffen in Betrieb. In diesem Jahr ist geplant, bis zu 130.000 Liter E­Fuels herzustellen. Bis Ende des Jahrzehnts soll die Kapazität bei 550 Millionen Litern pro Jahr liegen. Damit könnten laut Siemens Energy, zuständig für die Systemintegration und Hersteller des Elektrolyseurs, 1 Million Pkw mit Verbrennungsmotor fast ein Jahr lang CO2­neutral betrieben werden. Ein Abnehmer ist an Bord: Mitentwickler und Investor Porsche wird den Kraftstoff in Deutschland und Europa einsetzen.

Ein gewaltiger internationaler Markt für grünen Wasserstoff bahnt sich an. Wind­ und Solarparks müssen weltweit errichtet und betrieben werden, um den Strom für neue Elektrolyseure zu erzeugen. Das flüchtige Wasserstoffgas muss vor dem Transport per Schiff in leichter handhabbare Derivate wie Ammoniak oder Ethanol umgewandelt werden. Pipelines müssen neu gebaut oder fitgemacht werden für den Umstieg von Erdgas auf Wasserstoff. Und deutsche Unternehmen wollen daran teilhaben.

In der Automobilindustrie ist Porsche bisher Vorreiter, doch in anderen Branchen machen sich weitere Unternehmen bereit: „Wir wollen den Markt von Anfang an mitprägen“, sagt Dirk Flandrich, Projektleiter beim Gasnetzbetreiber Gascade. Sein Unternehmen steht vor der Aufgabe, das bestehende Erdgasnetz auszubauen und umzurüsten, um Wasserstoff transportieren zu können. Erste Projekte in Deutschland laufen, doch auch die internationalen Verbindungen müssen passen, zum Beispiel um den in Nord­ und Ostsee produzierten Wasserstoff abzutransportieren. Gemein-sam mit Copenhagen Infrastructure Partners als möglichem Finanzinves-tor will Gascade daher einen gut 140 Kilometer langen Interconnector zwischen Lubmin und Bornholm bauen. Die Idee: Die Offshore­Leitung soll die Insel Bornholm und die sie umgebenden Offshore­Windstromparks mit der deutschen Ostseeküste verbinden. Dort wird der Wasserstoff in die Leitung des Projekts Flow eingespeist und nach Süden transportiert. Der Interconnector soll 2027 in Betrieb gehen und im Endausbau in den 2030er Jahren eine Kapazität von bis zu 10 GW ermöglichen. Eine Mach­ barkeitsstudie wurde erstellt und der Status als europäisches Project of Common Interest (PCI) bei der Europäischen Kommission beantragt – bei Gascade stehen sie in den Startlöchern.

Das Problem ist allerdings: Es gibt noch keinen funktionierenden Markt für den grünen Wasserstoff, keine Preise und keinen Wasserstoffnetzentwick-lungsplan. „Derzeit machen die Fernleitungsbetreiber vieles freiwillig, aber wir müssen wissen, wo wir am Ende Erlöse erzielen können“, so Flandrich.

Langer Weg von der Theorie zur Praxis

Wäre die Schlagzahl von Ankündigungen eine gute Messgröße für tatsäch­ lichen Fortschritt, dann wäre sie schon da, die Wasserstoffwirtschaft. Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass Unternehmen eine zukünftige Zusammen­ arbeit verkünden, ein Forschungsprojekt startet oder Politiker mit Vertretern naher oder ferner Länder vor die Kameras treten, um eine engere Kooperation beim wichtigen Zukunftsthema Wasserstoff (H2) vorzustellen.

Doch ganz so weit ist es noch nicht. „Das, was jetzt angekündigt wird, sind MoUs, Memoranden of Understanding“, sagt Timo Bollerhey von H2Global. „Bis zur endgültigen Investitionsentscheidung ist es noch ein weiter Weg.“ Ein Weg, den auch H2Global bahnen soll.

So viele Fragen auch beim Thema Wasserstoff noch offen sein mögen, zwei Dinge scheinen klar: Deutschland wird viel grünen Wasserstoff brauchen, um seine Industrie zu dekarbonisieren, schwere Maschinen anzutreiben und Strom zu speichern. Und das Land wird diesen Bedarf nicht allein decken können. So hat der Nationale Wasserstoffrat erst vor Kurzem seine Prognose deutlich angehoben: Für das Jahr 2030 rechnet das Gremium mit einem Gesamtbedarf von 53 bis 90 Terawattstunden (TWh) grünem Wasserstoff. Das entspricht einer Elektrolyseleistung von 22 bis 37 Giga-watt, die jedes Jahr 1,5 bis 2,7 Millionen Tonnen Wasserstoff produziert.

Ohne Importe geht es nicht

Das diese Mengen nicht auf heimischen Flächen erzeugt werden können, steht außer Frage. Eine Analyse des Kopernikus­Projekts Ariadne am Potsdam­Institut für Klimafolgenforschung geht davon aus, dass Deutsch-land 2045 zwischen 17 und 45 Prozent seines Primärenergiebedarfs durch Import abdecken wird, in erster Linie von Wasserstoff und seinen Derivaten. Die Ressourcen der europäischen Nachbarn reichen dafür nicht, auch wenn beispielweise Norwegen ein wichtiger Partner sein kann. Das Analyseunternehmen Energy Brainpool rechnet damit, dass Europa etwa die Hälfte seines Bedarfs importieren wird: aus der MENA­Region, Subsahara­Afrika, Australien sowie Süd­ und Nordamerika.

„Das Thema Wasserstoff wird überall diskutiert und das Interesse an Technik und Know­how aus Deutschland ist groß“, sagt auch Markus Lesser, Vorstandsvorsitzender bei der PNE AG, die Wind­ oder Solar-parks baut und betreibt. Ein erstes Projekt hat PNE ins Auge gefasst:
In Südafrika prüfen der Chemiehersteller Omnia und PNE den Aufbau von Wind­ und PV­Parks mit angeschlossenem Elektrolyseur. Aus dem Wasserstoff soll Ammoniak für die Dünge­ und Sprengstoffproduktion im Land entstehen. Doch Investitionen in die Energiewirtschaft bräuchten stabile Rahmenbedingungen – und das nicht nur wirtschaftlich, betont Lesser. „Die Investitionstätigkeit hängt auch vom politischen Risiko ab.“ Deutschland müsse die Partnerländer unterstützen beim Ausbau der Infrastruktur, aber dies auch langfristig diplomatisch begleiten.

Und auch Siemens Energy dringt auf mehr Unterstützung: „Die zwei größten Herausforderungen sind: Wasserstoff muss zu einem geschlos­senen kommerziellen Geschäftsmodell werden, das privatwirtschaftlich sinnvolle Investitionen ermöglicht. Gleichzeitig müssen wir bei den Lieferketten und Zulieferern, die heute zumeist noch Manufakturen sind, in eine Serienfertigung kommen“, so Sprecherin Claudia Nehring. „Dafür brauchen wir viele, auch großskalierte Anschubprojekte, um Dinge auszuprobieren und endlich vom Reden ins Tun zu kommen.“

Weltweite Wasserstoffdiplomatie

In der Politik sind diese Signale durchaus angekommen. Fördermittel von 2 Milliarden Euro sind in der Nationalen Wasserstoffstrategie für inter-nationale Projekte vorgesehen. Der deutsche Wirtschaftsminister schließt Wasserstoffkooperationen in Norwegen, die Forschungsministerin mit Australien und Neuseeland. Das Auswärtige Amt eröffnet im Projekt H2diplo Wasserstoffdiplomatiebüros in Nigeria, Angola und Saudi­Arabien und plant weitere in der Ukraine und Kasachstan – auf vielen Ebenen ist die Politik dabei, einen Rahmen zu schaffen, der deutsche Unternehmen bei Investitionen im Ausland unterstützt. 

"Wir wollen insbesondere Export­ und Transitländern fossiler Energie-träger wie Erdgas und Erdöl Optionen für eine dekarbonisierte Energie-exportwirtschaft aufzeigen“, sagt Hendrik Meller, Programmleiter Globale Hydrogen Diplomacy. Je nach Zielland haben die Diplomaten ganz unter-schiedliche Aufgaben: Steht in Angola oder Nigeria noch viel Aufklärungs-arbeit auch über den Nutzen der erneuerbaren Energien im eigenen Land im Zentrum, sind Länder wie Saudi­Arabien schon viel weiter und verfol-gen eigene Pläne. „Das Ganze hat neben der wirtschaftlichen auch eine geopolitische Seite“, so Lesser. Welche Länder werden sich am Ende in dem neu entstehenden Markt durchsetzen können? Wie kann Deutsch-land dafür sorgen, dass die Anbieterseite möglichst divers ist, um neue Abhängigkeiten von einzelnen Lieferanten zu vermeiden?

Das Projekt H2­Upp hingegen unterstützt Unternehmen beim Aufbau von Geschäftsmodellen für grüne Wasserstoff­/Power­to­X­Technologien und Produkte insbesondere in Entwicklungs­ und Schwellenländern mithilfe sogenannter Public Private Partnerships (PPP). Für ein Leuchtturmprojekt in Brasilien zur Herstellung von grünen Wasserstoffderivaten aus der ökologischen Verwertung von Schweinegülle erhielt die Mele Gruppe aus Mecklenburg­Vorpommern 2,3 Millionen Euro.

Außerdem soll ein H2­Markt entstehen. Das Wirtschaftsministerium hat mit dieser Aufgabe die Stiftung H2Global betraut. Die Idee: Die Tochter-gesellschaft Hintco führt eine doppelte Ausschreibung für die Verkäufer und die Käufer von Wasserstoff und seinen Derivaten durch. Im ersten Förderfenster, das gerade abgeschlossen wurde, kauft Hintco in drei Losen für je 300 Millionen Euro grünen Ammoniak, grünes Methanol und nachhaltige Flugkraftstoffe in Ländern außerhalb Europas. Welche Mengen für diese Summen zu bekommen sind, wird im Auktionsver-fahren der Ausschreibung ermittelt. In der zweiten Runde werden die Derivate in Europa verkauft. Timo Bollerhey erwartet eine negative Preis-differenz zwischen An­ und Verkaufspreis, sodass Hintco aller Voraussicht nach Verluste erwirtschaften wird, die vom Bund ausgeglichen werden.

„Wir schließen mit der Angebotsseite langfristige Lieferverträge über zehn Jahre und mit der Nachfrageseite kurzfristige“, sagt Bollerhey. Falls die Preise durch wachsende Nachfrage nach den grünen Derivaten steigen, würde im Laufe der Zeit die Lücke immer kleiner. Erste Lieferungen sollen 2024 eintreffen. „Das Interesse war groß und wir gehen davon aus, dass sich auch auf der Angebotsseite Konsortien mit deutscher Beteiligung finden“, so Bollerhey. Weitere Bieterverfahren, dann eventuell auch für grünen Wasserstoff, sollen folgen: Im Haushalt 2023 sind insgesamt 3,5 Milliarden Euro dafür vorgesehen. „Über H2Global wird es erstmals mög-lich sein, die Kosten für die industrielle Produktion von grünen Wasser-stoffderivaten sowie für die im Markt erzielbaren Preise realistisch ein-schätzen zu können“, so Bollerhey. „Das wird Preissignale in die gesamte Branche geben.“ Und möglicherweise den Startschuss liefern, um aus Interessensbekundungen reale Investitionen werden zu lassen.

Dieser Beitrag erschien erstmalig im BWE BetreiberBrief 2/2023, Autor: Ahnen & Enkel, Agentur für Kommunikation (im Auftrag des BWE)


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