Herr Albers, wir erleben welt weit Rekorde beim Ausbau der Erneuerbaren Energien sowie - Klimabekenntnisse von Peking bis Washington und in den Wahlprogrammen der Parteien im Superwahljahr 2021. Ist Klimaschutz endlich Mainstream?

Hermann Albers: Die Bürgerinnen und Bürger können an den Veränderungen in der Welt ja gar nicht mehr vorbeischauen. Die vergangenen zehn Jahre zählen zu den wärmsten in der gesamten Wetteraufzeichnung. Der aktuelle Waldschadensbericht zeigt, dass 80 Prozent der Bäume schwer geschädigt sind – die Liste solcher Schadensmeldungen lässt sich beliebig fortsetzen. Klimaschutz ist kein Nischenthema mehr. Die „Fridays for Future“-Bewegung hat das auf den Punkt gebracht. Und sie hat die anderen Generationen mitgerissen.

Hat der Erfolg von Fridays for Future Sie überrascht?

Hermann Albers: Der Mut und die Dauerhaftigkeit haben mich genauso überrascht wie die Tatsache, dass sich die Politik so hat beeindrucken lassen. Denn die Argumente sind nicht neu. Die Wissenschaft, zu der sich jetzt alle so gerne bekennen, ist sich seit mindestens einem Jahrzehnt einig, dass der Klimawandel stattfindet und wir mehr dagegen tun müssen. Fridays for Future hat eine Lawine in Gang gesetzt. Die Aktivisten waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Wir erleben 2021 ein „Superwahljahr“ mit der Bundestagswahl im September als Höhepunkt. Jenseits der politischen Lippenbekenntnisse: Woran misst der BWE die Energiewendetauglichkeit der Parteien?

Hermann Albers: Die aktuelle Bundesregierung hat in der Windbranche viel kaputtgehen lassen. Durch den Einbruch der Ausbauzahlen 2019 und 2020 haben wir 40.000 Mitarbeiter verloren. Es kommt ganz simpel darauf an, dass Flächen für die Windkraft bereitgestellt werden und wir Genehmigungen bekommen. Auch wenn die Ausbauziele der Bundesregierung zu niedrig sind: Im täglichen Geschäft scheitert der Ausbau der Windkraft nicht an den Zielen, sondern an der Flächenbereitstellung der Länder. Die Genehmigungen für Erneuerbare Energien sind inzwischen komplex und überladen, so dass es immer schwerer wird, diese Verfahren erfolgreich durchzustehen. Das kann so nicht bleiben.

Wer haut den Gordischen Knoten durch?

Hermann Albers: Die Bund-Länder-Kommission will die Klimaziele des Bundes mit der Flächen ausweisung und der Gestaltung der Genehmigungsverfahren in den Ländern synchronisieren. Alle Länder – auch Bayern, Thüringen und Sachsen – müssten das Flächenziel von 2 Prozent umsetzen und dürften nur bei gewichtigen begründbaren Nachweisen von diesem Ziel abweichen. Die Genehmigungen sollen standardisiert und verkürzt werden. Hierfür bedarf es einer besseren Ausstattung der Genehmigungsbehörden. Das sind Maßnahmen, die wir dringend benötigen.

Mit dem neuen EEG werden Kommunen und Menschen endlich deutlich an den Gewinnen der Erneuerbaren beteiligt. Ist das der Schlüssel zur Akzeptanz vor Ort?

Hermann Albers: Wir haben gute Erfahrungen mit der direkten Beteiligung der Menschen vor Ort gemacht. Ob in Bürgerwindparks oder Energiegenossenschaften. Wo Mitmachen möglich ist, macht Windenergie Spaß. Die neue Regelung im EEG erhöht den Anreiz zur Beteiligung und stärkt zugleich die Eigenfinanzierung der Kommunen. Die Baden-Württemberger, Bayern und Sachsen werden bald ihre konventionellen Kraftwerke abschalten müssen. Wer in Zukunft an der deutschen Kraftwerkslandschaft teilhaben will, muss erneuerbare Kraftwerksparks aufbauen. Das ist die Chance, weiter an der Wertschöpfung teilzuhaben und auch die eigene Industrie mit erneuerbarem Strom zu versorgen. Wir sehen doch landauf, landab, dass Unternehmen klimaneutral werden wollen und auf regionalen Strom setzen.

Drei kurze Fragen: Erstens, werden wir es in den nächsten zehn Jahren in Deutschland erleben, dass wieder mehr als 5.000 Megawatt Windenergie an Land in einem Jahr ans Netz gehen?

Hermann Albers: Ja. Wir werden viel mehr grünen Strom brauchen: für die Aufbereitung von Wasserstoff, für Mobilität, Stahlproduktion und Wärme. Ich glaube, dass es in der nächsten Legislaturperiode einen Umbruch geben wird und wir ab 2025 wieder einen starken Zubau und eine deutliche Vereinfachung der Rahmenbedingungen haben.

Zweitens, wird die Windkraft in deutschen Ausschreibungen wieder billiger werden als Solar?

Hermann Albers: Nein, das ist für die Zukunft nicht zu erwarten.

Drittens, wird die Windkraft an Land preislich auch von der Windkraft auf See überholt?

Hermann Albers: Nein. Die Windkraft an Land bleibt auf die nächsten zehn Jahre gesehen billiger als Offshore. Das ist kostenseitig eindeutig, schlägt sich aber nicht unbedingt in den Preisen nieder, die in Ausschreibungen erzielt werden. Bei den Auktionsergebnissen Offshore spielen strategische Faktoren hinein. Insgesamt aber gilt: Es braucht einen Technologiemix, bei dem Wind und Solar im Zentrum stehen.

Viele traditionelle Windkraft-Planer haben begonnen, sich neue Geschäftsfelder zu suchen. Preislich rücken Wind und Solar enger zusammen. Hinzu kommt die Ausbaukrise in Deutschland. Ein Trend ist es, stark in die Solarplanung einzusteigen. Ist das die Lösung für die kriselnde Branche?

Hermann Albers: Es ist natürlich erst einmal nicht falsch, im großen Rahmen Photovoltaik auszubauen. Die Wind-Planer wahren hier ihre Identität als Macher der Energiewende und können ihre Kompetenzen im Planungsrecht und der Projektumsetzung nutzen. Perspektivisch wird ein jährlicher Ausbau von bis zu 10.000 MW pro Jahr erwartet. Dabei braucht es Freiflächen und PV auf den Dächern. Damit es nicht wieder zu einem Auf und Ab kommt, das ja auch die Solarwirtschaft schon erlebt hat, ist eine intelligente Politik unabdingbar: Städte und Kommunen müssen früh in die Lage versetzt werden, den Ausbau der Solarenergie bei sich so zu steuern, dass Bürger und Kommunen davon profitieren. Und am besten immer mehr wollen.


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Ein zweiter Trend unter den mittelständischen Planungsunternehmen ist die Internationalisierung. Funktioniert das für die Firmen?

Hermann Albers: Unsere Branche hatte schon immer die Welt im Blick. Viele Unternehmen sind in Europa unterwegs, haben Südamerika erschlossen, sich in Nordamerika etabliert, sind auf dem afrikanischen Kontinent aktiv und einige erkämpfen sich Marktanteile in Asien. Kosten und Risiken können dabei erheblich sein. Aber unterm Strich senken innovative und mutige Mittelständler das Risiko, zu stark vom leider volatilen deutschen Markt abhängig zu sein.

Wie verändert die Internationalisierung die Gewichte im deutschen Markt?

Hermann Albers: Die Internationalisierung treibt die Konsolidierung unter den Planern im Heimatmarkt voran. Für die Hersteller reduziert dies die Zahl der bedeutsamen Kunden. Fusions-, Integrations- oder Aufkaufprozesse laufen. So kaufte sich Denker & Wulf mit WEB Andresen einen Bürgerenergiespezialisten dazu und legten EWE und Enercon ihre Windkraftportfolios zusammen. Die Ausbaukrise ordnet den Markt neu. Hoffen wir, dass sich die Lage mit steigendem Marktvolumen wieder etwas entspannt.

Aktuell versuchen sich Windplaner auch als Technologieanbieter aufzustellen. Sind das noch Einzelfälle oder ist es schon ein Trend?

Hermann Albers: Das ist ein Trend. Viele Firmen bieten aus der eigenen Erfahrung heraus Drohnen-Inspektionen oder Windvorhersagen als Dienstleistung auf dem Markt an. Oder sie sind über den Betrieb der eigenen Anlagen in das Servicegeschäft hineingewachsen. Das ist absolut vielversprechend. Aus meiner Sicht sollte die Branche ein stärkeres Auge auf die Stromvermarktung haben. Es gilt, die Wertschöpfung zu verbreitern, indem neben technischen Services auch die Direktvermarktung und die Grünstromlieferung organisiert werden.

Bisher ist es umgekehrt: Klassische Stromvermarkter wie MVV, Münchener Stadtwerke, Enercity und andere bauen Planungsabteilungen auf. Warum sollten Planungsunternehmen den umgekehrten Weg gehen?

Hermann Albers: Weil ich felsenfest davon überzeugt bin, dass die Produktion von Windstrom oder Erneuerbaren Energien in Zukunft nicht mehr das Geschäft mit der besten Rendite sein wird. Die Gewinne werden in der Vermarktung liegen.

Ist der Wettbewerbsdruck gerade im Strommarkt mit seinen vielen Stromanbietern nicht besonders groß?

Hermann Albers: Das täuscht. Schauen Sie sich die Parallele zur Lebensmittelbranche an. Die Gewinne werden dort gemacht, wo die Endkunden beliefert werden: im Handel. Aber die Landwirte, die eigentlichen Hersteller der Lebensmittel, müssen mit mickrigen Margen auskommen. Dieses Modell muss für den Windmüller ein Weckruf sein. Wir müssen uns darum kümmern, über die Produktion des Stroms hinaus Wertschöpfung in der Veredlung und in der Vermarktung zu erschließen.

Greenpeace Energy und Naturstrom als Vorbild? Beide Firmen kommen aus der Vermarktung, bauen aber auch eigene Windparks und Solaranlagen.

Hermann Albers: Sie sind einerseits Vorbild. Und zeigen andererseits, dass wir ein anderes Marktdesign brauchen. Auch Greenpeace Energy und Naturstrom können ja den Strom, den sie in eigenen Windparks erzeugen, nicht direkt an ihre Kunden verkaufen. Seien es nun Privatkunden oder Unternehmen.

Welche Erfahrungen haben Sie im Direktverkauf von Strom aus Ü20- Anlagen gemacht?

Hermann Albers: Schlechte. Wir Windmüller müssen unseren guten Ökostrom an Händler verkaufen, die ihn dann billig als Graustrom abgeben. Die Qualität geht verloren, weil wir die Kundenbeziehung nicht haben. Mit der Abgabe des Stroms sind wir von der Wertschöpfung abgeschnitten.

Im amerikanischen Windmarkt hat es in diesem Jahr eine beeindruckende Veränderung in der Verbändelandschaft gegeben. Die „American Wind Energy Association” heißt jetzt ACP – American Clean Power. Und dieser neue Verband vertritt neben Onshore und Offshore-Wind auch die Branchen Solar und Speicher. Ist das ein Modell für Deutschland, das bei den Erneuerbaren mit mehr als 25 VerbändeStimmen spricht?

Hermann Albers: Natürlich. Wir haben schon 2014 versucht, denselben Weg mit dem BWE zu gehen. Ein Verband, der den Klimaschutz in der Energiewirtschaft zugrunde legt, ist besser als viele Verbände, die sich nach verschiedenen Techniken wie Wind, Solar oder Speicher definieren.

In Deutschland fehlt dieser Fokus komplett. Die harten Informationen zu den einzelnen Märkten werden wie vor 20 Jahren von den Spartenverbänden veröffentlicht. Der Dachverband BEE hält sich eher allgemein. Wie zeitgemäß ist das?

Hermann Albers: Es ist von gestern. Wir brauchen einen grünen Energieverband. Denn wir brauchen eine Erneuerbare-Energien- und Klimapolitik aus einem Guss. Nur ein Gesamtverband kann die notwendigen Antworten zu Strommarktdesign und Versorgungssicherheit liefern. Dafür müssen wir den BEE voranbringen, denn solange wie z. B. der BDEW noch die Interessen von Gas und Kohle im eigenen Haus austarieren muss, kommen von dort keine Antworten, die den Klimaschutz in der Energiebranche wirklich voranbringen.

Bei den Amerikanern denken auch die Energieerzeuger nicht mehr in den Silos Wind, Solar oder Speicher. Dort stehen allein die Erzeugungspreise und die Auslastung der Netze im Mittelpunkt. Das liegt auch am Marktdesign, das Grünstromquoten und den direkten Verkauf von klimafreundlichem Strom über Steuergutschriften vorsieht. Braucht auch Europa diesen Wandel?

Hermann Albers: Unser System mit eigenen Einspeisetarifen für jede Technologie war genau richtig. Und hat dafür gesorgt, dass in den USA viele mitteleuropäische Firmen als Hersteller und Dienstleister präsent sind. Aber die Landschaft verändert sich. Und darum kommt es politisch darauf an, gemeinschaftlich aufzutreten. Ich sehe die Tendenz, dass die Fachverbände sich in der Außenpräsenz etwas zurücknehmen und den BEE deutlicher an die Spitze stellen. Es gibt dort eine ganze Menge zu tun.

Wie kann ein neues Design für den Strommarkt aussehen?

Hermann Albers: Wir werden im laufenden Jahr unser Konzept vorstellen, bei dem die Strompreise im Mittelpunkt stehen. Wir müssen das, was wir nicht wollen, teurer machen – und das ist das CO2. Und wir müssen den CO2-freien Strom, der für uns überlebenswichtig ist, günstiger machen. In den vergangenen Jahren ist das Gegenteil geschehen: Die steigende EEG-Umlage hat suggeriert, dass grüner Strom scheinbar immer mehr Geld kostet. Damit sind wir auch in der Akzeptanzdebatte unterlegen. Die fossilen Energien wurden dagegen für ihre externen Kosten nicht verantwortlich gemacht. Das muss sich ändern. Wenn wir ehrliche Märkte schaffen, dann sind die Erneuerbaren alternativlos. Dann brauchen wir auch keine ÖkostromFörderung mehr.


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