Herr Minister, wie kann/will das Land Hessen die bundespolitischen Energieziele (65 % CO2-Reduktion bis 2030) jetzt umsetzen?
Tarek Al-Wazir: Hessen engagiert sich mit vollem Einsatz für die Energie- und Verkehrswende. Wir haben landesweit Vorranggebiete für Windenergieanlagen ausgewiesen, so dass in der Summe nahezu zwei Prozent der Landesfläche bereitstehen. Wir haben Genehmigungsverfahren erleichtert, in dem wir klare Vorgaben für die Auflösung von Konflikten mit dem Naturschutz machen – und zwar in Abstimmung mit den Naturschutzverbänden und den Windkraftverbänden. Der Anteil der Erneuerbaren an der Stromproduktion in Hessen liegt jetzt deutlich über 50 Prozent. Wir stellen eine dreistellige Millionensumme für die energetische Sanierung von Gebäuden bereit. Wir fördern den Radverkehr mit Rekordsummen und machen Busse und Bahnen mit bundesweit einmaligen 365-Euro-Flatratetickets für Schülerinnen und Schüler, Azubis und über 65-jährige attraktiver. Hessen macht seine Hausaufgaben. Aber um das 65-Prozent-Ziel zu erreichen, müssen auch die bundespolitischen Rahmenbedingungen stimmen. Leider tun sie das nicht, weder beim Preispfad für CO2 noch beim Kohleausstieg, den entscheidenden Einflussfaktoren. Hier muss die nächste Bundesregierung endlich mehr Entschlossenheit zeigen.
Zur Erreichung o.g. Ziele muss der Windenergie-Ausbau in Hessen beschleunigt werden, wie kann dies gelingen?
Tarek Al-Wazir: Auch das hängt ab von den Rahmenbedingungen, die in Berlin bestimmt werden. Wir hatten in Hessen eine sehr gute Entwicklung und die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien von 2013 bis 2018 verdoppelt. Das endete 2019 abrupt, und zwar nicht nur in Hessen, sondern deutschlandweit. Denn das lag einzig und allein an der EEG-Novelle. 2020 sind dann in Hessen immerhin wieder 27 neue Windkraftanlagen ans Netz gegangen. Aber natürlich müssen wir viel schneller vorankommen. Was auf Landesebene dafür zu tun ist, das machen wir: Wir haben die planungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen, Genehmigungsverfahren vereinfacht, und wenn einzelne Vorhaben lokal zu Kontroversen führen, bieten wir den betroffenen Kommunen Mediationsforen an. Aber letztlich ist jedes Windrad eine private Investitionsentscheidung, und die Anreize dazu kann nur der Bund setzen.
Wie kann die Landesregierung künftig mehr Akzeptanz für den Ausbau der Erneuerbaren generieren/welche Impulse braucht es dafür?
Tarek Al-Wazir: Zunächst einmal ist festzuhalten: Die Akzeptanz für Klimaschutz, für erneuerbare Energien, für Windräder ist hoch, und ich sehe nicht, dass sich daran aktuell etwas ändert, im Gegenteil. Richtig ist, dass einzelne Vorhaben lokal auf Widerstand stoßen und leider oft auch beklagt werden – wie Straßen, Bahnlinien und viele andere Infrastrukturprojekte auch. Wir haben in Hessen die Erfahrung gemacht, dass sich mit Moderation und sachlicher Information manche Konflikte entschärfen lassen. Dafür haben wir eigens das Bürgerforum Energieland Hessen gegründet. Und natürlich sorgt es auch für Akzeptanz, wenn die Bürger und Bürgerinnen in der Nachbarschaft solcher Anlagen direkt von ihnen profitieren. Deshalb bin ich sehr froh über die neue EEG-Regelung, nach der die Standortkommunen finanziell am Ertrag zu beteiligen sind. Hessen und andere Länder haben sehr darauf gedrungen.
Der Hessische Energiegipfel liegt 10 Jahre zurück. Braucht es (für eine schnellere Energiewende) jetzt nicht dringend eine Neuauflage?
Tarek Al-Wazir: Die Grundsatzentscheidung bedarf sicher keiner Revision: Hessen will seinen Energiebedarf zur Mitte des 21. Jahrhunderts vollständig aus erneuerbaren Quellen decken. Das war der partei- und lagerübergreifende Konsens des Energiegipfels, der für die Landesregierung nicht in Frage steht, auch wenn AfD und FDP diese Ziele nicht oder nicht mehr teilen. Aber natürlich müssen wir uns nach zehn Jahren fragen, was es für Hessen bedeutet, wenn Entwicklungen dynamischer verlaufen als seinerzeit erwartet und auf nationaler sowie internationaler Ebene Zielmarken vorgezogen werden. Deshalb entsteht unter Federführung des Hessischen Umweltministeriums gerade eine Studie zu möglichen neuen klimapolitischen Zielen für das Jahr 2030 und den entsprechenden Handlungsoptionen des Landes. Wir werden uns weiter anstrengen müssen, keine Frage.
Herr Minister, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!