Frau Dr. Wagenknecht, seit Anfang 2021 fallen erstmals Windenergieanlagen (WEA) aus der 20-jährigen EEG-Förderung. Sie erhalten nach dem Wegfall eine einjährige, gestaffelte Anschlussförderung. Wie bewerten Sie diese Anschlussförderung für Bestandsanlagen?

Dr. Wagenknecht: Als im Spätherbst des vergangenen Jahres im Bundes­tag über die finanzielle Unterstützung ausgeförderter Anlagen debattiert wurde, lagen die Börsenstrompreise teilweise deutlich unter drei Cent pro Kilowattstunde (kWh). Mit dieser Erlösperspektive wäre vermutlich ein Großteil der 4.700 Windturbinen, die zu Jahresbeginn aus der Förderung fielen, stillgelegt worden. In der Zusammenschau mit dem seit Jahren schwachen Zubau wäre dies ein schwieriges Signal für die deutsche Energiewende gewesen. Deshalb war es eine zielführende Option, eine zeitlich befristete Anschlussregelung für ausgeförderte Anlagen zu schaf­fen. Dass heute für Windstrom an der Börse zwischen sieben und elf Cent pro kWh geboten werden, war seinerzeit nicht absehbar. Die Hochpreis­phase wird – auch weil derzeit verhältnismäßig wenig neue Windräder ans Netz gehen, während konventionelle Kraftwerke sukzessive stillgelegt werden – in nächster Zeit nicht abflauen. Die zum Jahresende auslaufen­de Anschlussförderung dürfte daher den Weiterbetrieb ausgeförderter Windturbinen auf absehbare Zeit nicht gefährden.

Der Gesetzgeber hatte für Bestandsanlagen ursprünglich vorgesehen, nach der Anschlussförderung über Ausschreibungen einen Anspruch auf Einspeisevergütung (§ 23b Abs. 2 EEG) unter bestimmten Auflagen zu schaffen. Diese Möglichkeit wurde von der Europäischen Kommission jedoch gekippt. Was bedeutet das für Betreiber von Bestandsanlagen?

Dr. Wagenknecht: Bei der derzeitigen Vermarktungssituation ist die Ableh­nung des Ausschreibungsmodells für ausgeförderte Windturbinen seitens der Kommission zu bewältigen. Wir hatten vor einer Weile im Rahmen einer Branchenumfrage ermittelt, dass Betreiber mit Weiterbetriebskosten zwischen drei und fünf Cent pro kWh rechnen. Solange sich am Markt Erlö­se oberhalb von fünf Cent erzielen lassen, scheint es auch ohne staatliche Vergütungsanreize rentabel zu sein, Altanlagen weiterlaufen zu lassen.

Frau Wagenknecht, bietet zukünftig die Wasserstoffproduktion neben dem regulären Weiterbetrieb oder der Nutzung von Power Purchase Agreements (PPA) eine reelle Alternative für Bestandsanlagen?

Dr. Wagenknecht: Die Stromerzeugung zur Wasserstoffgewinnung wird in den nächsten Jahren insbesondere dort interessant, wo Netzengpässe den Abtransport des Stroms in windreichen Zeiten einschränken. Lässt sich stattdessen der Windstrom vor Ort in Elektrolyseuren einsetzen, ist dies sicherlich eine Alternative zum Börsenhandel. In den kommenden Jahren ist mit einer stark steigenden Nachfrage nach grünem Strom seitens der Wasserstoffwirtschaft aber auch anderen Wirtschaftszweigen zu rechnen, mit denen sich die Vermarktungsoptionen für ausgeförderte Anlagen deutlich ausweiten werden. Letztlich wird es sich am Preis, den der Kunde für Windstrom zu zahlen bereit ist, entscheiden, ob ein Wind­parkbetreiber seinen Strom für die Wasserstoffproduktion liefert oder im Rahmen von PPA­Verträgen vermarktet.

Kommen wir zu einem anderen Bereich: dem Repowering. Beim Repowe-ring werden die Leistungen häufig vervielfacht. Die durchschnittliche Leistung der bis September neugebauten Anlagen betrug 4 Megawatt, die Durchschnittsleistung aller bestehenden Anlagen liegt dagegen nur bei 1,9 MW. Wie kann dieses Potential in Zukunft besser umgesetzt werden?

Dr. Wagenknecht: In den meisten Fällen heißt Repowering, dass ausge­diente Anlagen an gut akzeptierten Standorten durch moderne Turbinen ersetzt werden, wobei sich oft die Anzahl der Anlagen auf der Fläche verringern lässt, bei gleichzeitiger Steigerung der Stromerzeugung. Dieses Potenzial lässt sich aber nur heben, wenn die Standorte auch für Neuan­lagen nutzbar sind. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass bislang ge­nutzte Standorte nur noch bedingt in neueren Regional­ und Flächennut­zungsplänen ausgewiesen sind, z. B. aufgrund von größeren Abständen zur Wohnbebauung. Hier wäre eine Rückbesinnung auf die bestehenden Lärmschutzvorschriften wünschenswert, welche die Frage der Wiederbe­bauung von Anlagenstandorten anhand der örtlichen Schallimmissionen pauschaler Distanzvorgaben bewerten.

In den vergangenen 4 Jahren hat Repowering einen Anteil zwischen 14 und 24 Prozent des Windenergieausbaus in Deutschland eingenom-men. Glauben Sie, dass dieser Anteil zukünftig steigen wird?

Dr. Wagenknecht: Ich gehe fest davon aus, dass wir in den kommenden Jahren steigende Repowering­Quoten sehen werden. Einerseits erreichen immer mehr Bestandsanlagen aus den Anfangsjahren ihr technisches Le­bensende. Andererseits war und ist hierzulande Fläche ein knappes Gut. Die sehr dynamischen Entwicklungen in der Anlagentechnik ermöglichen es uns heute, ein Vielfaches an Strom auf derselben Fläche zu genieren. Damit steigt auch der wirtschaftliche Anreiz für den Altanlagenersatz. Diese Entwicklung sollte nicht durch ordnungsrechtliche Maßnahmen ausgebremst werden, denn die wachsende Grünstromnachfrage lässt wenig Spielraum, gut akzeptierte Standorte der Weiternutzung durch effiziente Neuanlagen zu entziehen.

Die Verfahrensdauer bei Repoweringvorhaben ist nahezu identisch mit der Planung von neuen Anlagen. Die EU fordert ihre Mitgliedsstaaten dagegen auf, Repoweringvorhaben zu beschleunigen. Wie kann dies aus Ihrer Sicht gelingen?

Dr. Wagenknecht: Wir werten seit Jahren förmliche Genehmigungsver­fahren hinsichtlich deren Laufzeiten aus. Danach dauern diese durchschnittlich 22 Monate, bei Repowering­Projekten liegt der Mittelwert mit 19 Monaten nur geringfügig darunter. Der Bundesgesetzgeber hat im Rahmen der Umsetzung der RED II­Richtlinie verschiedene Regelungen ins Immissionsschutzgesetz aufgenommen, mit dem Ziel Genehmigungs­verfahren zu straffen. In die Prüfung der Genehmigungsfähigkeit von Repowering­Vorhaben nach § 16b BImSchG sollen im Rahmen einer Vergleichsbetrachtung nur die Anforderungen einbezogen werden, durch die erhebliche nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden können. Auch sollen die Auswirkungen der bisherigen Anlagen bei der artenschutzrechtlichen Prüfung als Vorbelastung berücksichtigt werden. Gleichzeitig wirft die Regelung des § 16b BImSchG noch einige Fragen auf, so dass abzuwarten bleibt, wie sich die Regelung letztlich auf die Verfah­rensbeschleunigung auswirkt.


 

 


SPD, FDP und die Grünen sprachen sich nach ihren Sondierungen für eine Koalition im Bund für einen Kohleausstieg bis 2030 und für die Bereit-stellung von 2 Prozent der Landesfläche Deutschlands für den Wind-energieausbau aus. Welche Auswirkungen hätten diese Vorgaben für die Windbranche? 

Dr. Wagenknecht: Ein früherer Kohleausstieg erfordert einen deutlich schnelleren Erneuerbaren­Ausbau damit zum Ende des Jahrzehnts keine Stromlücke entsteht. Im Bereich der Windenergie ist bereits heute die Flächenbereitstellung ein gravierender Flaschenhals für den weiteren Ausbau. Nach aktuellen Erkenntnissen des Umweltbundesamtes sind derzeit 0,8 Prozent der Bundesfläche für die Windenergienutzung ausge­wiesen, aber nur 0,52 Prozent tatsächlich nutzbar. Die neue Bundesregie­rung sollte daher umgehend ein bundesweit geltendes Instrumentarium schaffen, mit dem Flächen in einer Größenordnung von zwei Prozent zeitnah verfügbar werden. Denn was wir auch wissen: Die Entwicklung eines Windparks – von der Flächensicherung über die Genehmigung, Ausschreibung bis zum Bau der Anlagen ­ dauert heutzutage mindestens fünf Jahre. Flächen, die nicht spätestens Mitte des Jahrzehnts der Wind­energie zugänglich werden, gefährden einen früheren Kohleausstieg und damit ambitionierte Klimaschutzziele.

Frau Dr. Wagenknecht, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview wurde erstmals in der Ausgabe 4/2021 des BWE BetreiberBriefs veröffentlicht.


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