Frau Heidebroek, an die Windbranche sind noch nie so hohe Erwartungen geknüpft worden: Friedensenergie sagt die FDP. Die Ampel will 80 Prozent erneuerbaren Strom bis 2030 und viele tausend Megawatt (MW) Neuinstallationen an Windenergie pro Jahr. Wie kann die Branche das schaffen?

Die Branche kann das leisten, wenn wir wirklich verlässliche Rahmenbedingungen bekommen und die Perspektive haben, dass die Rahmenbedingungen sich nicht von Legislaturperiode zu Legislaturperiode ändern.

Sie sind selbst Planerin: Herrscht aktuell bei Ihnen eher Goldgräberstimmung oder schon Ampel-Energiewende-Kater?

Die Stimmung hängt stark von den Unternehmerpersönlichkeiten ab. Mein Mann und ich sind optimistisch. Wir haben selbst nach dem großen Ausbauloch im Jahr 2017 die Firma weiterentwickelt und uns neue Geschäftsbereiche erschlossen. Wir haben ein hoch motiviertes junges Team mit einem Durchschnittsalter von 36 Jahren und da herrscht definitiv immer noch eine kreative Aufbruchstimmung.

Sie sagen: „immer noch“. Schwingt da Frust mit?

Natürlich gibt es viele Herausforderungen. Aber mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich die Stimmung verändert. Energiewende und Klimaschutz waren zuvor für viele vielleicht Luxusthemen. Jetzt sieht das anders aus, weil die Frage nach der Unabhängigkeit der Energieversorgung und die Forderung der Wirtschaft nach kostengünstiger grüner Energie zusammentreffen. Die Industrie ist dabei schon lange weiter, als die Politik das immer geglaubt hat.

"Die Industrie ist schon lange weiter, als die Politik das immer geglaubt hat."

Osterpaket, Sommerpaket, erster Windgipfel, zweiter Windgipfel. Besonders der Wirtschafts- und Klima-Minister Robert Habeck gibt sich erkennbar alle Mühe, die Windkraft voranzubringen. Wo sehen Sie die drei größten Fortschritte unter der Ampel-Führung?

Mein absolutes Highlight ist das 2%-Flächen-Ziel. Wenn die Flächen nicht festgelegt werden, greift die Privilegierung – und das ist endlich mal ein scharfes Schwert für den Ausbau der Windkraft! Der zweite Punkt ist der Wille zur Genehmigungsbeschleunigung auf Bundesebene und der dritte die Standardisierung im Bundesnaturschutzgesetz. In allem zeigt sich: Diese Bundesregierung will tatsächlich etwas bewegen.

Gegenfrage: Was sind die Hemmnisse?

Das Problem ist, dass die Genehmigungen noch nicht an Tempo gewonnen haben. Auch wenn es beispielsweise in Niedersachsen im ersten Quartal einen deutlichen Zuwachs bei den Genehmigungen gab, lässt sich ein stabiler Trend über alle Bundesländer noch nicht erkennen.

Und bei der Umsetzung der Flächenziele gibt es Länder wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Niedersachsen, die diese schon 2026 bis 2027 erreichen wollen. Aber in anderen Ländern zögert man noch.

Drittens gibt es bei dem behördlichen Naturschutz weiter ein Beharrungsvermögen und eine Prinzipienreiterei, die in der Umsetzung von richtigen Änderungen im Bundesnaturschutzgesetz nun sogar drei Schritte zurück möglich erscheinen lassen. Dies wäre aus meiner Sicht eine Katastrophe, gerade für das Repowering.

Was bremst die Genehmigungsverfahren im Detail?

Wir könnten rund eineinhalb Jahre einsparen, wenn wir tatsächlich Habitatpotentialanalysen machen, die darauf abzielen, wie sich der betrachtete Lebensraum von den benachbarten Habitaten unterscheidet. Zudem begründet sich die Länge der Verfahren häufig damit, dass es keine klaren Vorgaben für die Vollständigkeitserklärung der Genehmigungsunterlagen gibt. Wir haben zuletzt für zwei Anlagen in benachbarten Kreisen einen identischen Antrag für ein Leistungsupgrade jeweils einer Anlage gestellt. Einmal hat es vier, einmal neun Monate gedauert. Das kann im Einzelfall an Personalmangel liegen. Aber in den Verfahren steckt auch eine unglaubliche Subjektivität. Deshalb fordern wir Standards und klare Prozesse, die der Behörde schnelle Entscheidungen ermöglichen. Da muss der Bund nachliefern.

"Wir fordern Standards und klare Prozesse, die der Behörde schnelle Entscheidungen ermöglichen."

Der BWE hat in den vergangenen zwei Jahren ganz bewusst einen sehr kooperativen Kurs gegenüber der Bundespolitik gefahren. Kann das so bleiben?

Es gilt ehrlich anzuerkennen: Diese Bundesregierung hat den Stillstand der vergangenen Jahre, der für die Energiewende dramatisch war, beendet. Nicht alles läuft rund. Nicht jedes Problem ist schon zufriedenstellend gelöst. Aber wir erkennen an, dass hier gehandelt und gearbeitet wird. Trotzdem bleiben wir wachsam und kritisch. Vor allem das Zusammenspiel zwischen Bund und Ländern ist noch nicht optimal. Der den Grünen immanente Konflikt, der zwischen Arten- und Naturschutz und Windenergie polarisiert, ist noch nicht aufgelöst. Dabei muss es diesen Konflikt absolut nicht geben. Das sprechen wir deutlich an und formulieren gleichzeitig immer wieder konkrete Lösungsvorschläge.

Kann der Bund durchregieren?

Im Bund müssen sich Wirtschafts- und Umweltministerium intern einigen. Das hat bei der Solarenergie funktioniert, fehlt bei der Windkraft bisher aber deutlich. Und dann muss der Bund die Länder mitnehmen. Das betrifft Bayern genauso wie Baden-Württemberg oder Sachsen. Der Süden muss erkennen, dass hier viel grüne Energie nötig ist. Denn ohne Energie gibt es keine Industrie. Es ist kein Zufall, dass Intel nach Magdeburg geht, Tesla nach Brandenburg und Northvolt Schleswig-Holstein in den Blick nimmt. Und das Ruhrgebiet ist historisch nicht zur Industrieregion geworden, weil es an Rhein und Ruhr so schön ist, sondern weil es dort genügend Energie gab. Dies gilt heute wieder.

Ein ganz anderes Nadelöhr für den Ausbau der Windenergie ist der Fachkräftemangel. Wie kommen Sie damit in Ihrer Landwind Gruppe klar?

Reden wir lieber über die ungeheuren Beschäftigungschancen, die unsere Branchen und die Energiewende bieten. Und auch auf unserer Homepage sind aktuell zehn neue Stellen ausgeschrieben, was ja bei 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern insgesamt durchaus viel ist. Wir wachsen also und bieten Perspektiven, die andere Branchen nicht mehr haben.

"Wir wachsen und bieten Perspektiven, die andere Branchen nicht mehr haben."

Unsere Unternehmen müssen hier sichtbarer werden, mit ihren Angeboten und mit ihrem Arbeitsalltag. Bei Landwind zeigen wir, dass wir ein Familienbetrieb mit einer sehr offenen und vertrauensvollen Arbeitsatmosphäre  sind. Wir schaffen eine gute Work-Life-Balance, die der persönlichen Situation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerecht wird. Flexible Arbeitszeiten sind insbesondere für junge Familien ein wichtiges Stichwort, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern. Der klare Vorteil unserer Branche ist es, dass viele junge Menschen in ihrem Job etwas Sinnvolles tun wollen, etwas bewirken wollen. Am Ende bekommen wir so bisher jede Stelle besetzt. Und weil wir eine gute Atmosphäre bieten, bleiben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unserem Unternehmen dann auch sehr lange.

Sie haben eine 50%-Frauenquote in der Leitung des Unternehmens – das sind Sie und Ihr Mann. Wie ist denn die Frauenquote sonst?

Wir haben gerade ausgerechnet, dass wir insgesamt bei ca. 40 % Frauenanteil sind. Das ist natürlich in allen Ebenen etwas schwankend, aber auch in der mittleren Führungsebene haben wir immer wieder einen hohen Frauenanteil. Wir haben selbst vier Kinder, und ich kann immer sehr gut nachfühlen, dass man in dieser Situation ein Maximum an Flexibilität braucht. Bei kleinen Kindern kann es halt passieren, dass Mutter oder Vater sagen: „Hey, ich komme heute 15 Minuten später, weil das Kind nicht die richtigen Schuhe gefunden hat.“ Es sind eben oft Kleinigkeiten, die das Leben mit kleinen Kindern unplanbar machen. Da hilft Flexibilität – und damit können wir umgehen!

Wie haben Sie diese Zeit selbst erlebt?

Für junge Eltern ist es wichtig, entscheiden zu können, wie sie Familienarbeit und Erwerbstätigkeit aufteilen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen selbst entscheiden können, wie stark sie in bestimmten Familienphasen im Informationsfluss des Unternehmens bleiben wollen oder nicht. Höchstmögliche Flexibilität schafft hier maximale Zufriedenheit auf beiden Seiten. Trotz meiner vier Kinder habe ich immer gearbeitet, nur eben sehr flexibel und reduziert. Ich fand es sehr angenehm, nicht nur auf Babybrei und Windeln fixiert zu sein. Und ich glaube, das gilt für viele junge Eltern.

Zumindest die Energieverbände BEE, BDEW und BWE werden von Frauen geleitet. Wird jetzt alles besser?

Das werden wir sehen! Für mich als Präsidentin des BWE ist es entscheidend, dass ich Windenergie-Unternehmerin bin. Mir ist wichtig, dass ich beurteilen kann, was politische Veränderungen in der Praxis real bedeuten.

Ihr Unternehmen ist fast prototypisch für die vielen mittleren Planer und Betreiber der Branche, die Solaranlagen und Windparks oft zunächst in der Nähe ihres Unternehmenssitzes umsetzen und immer neue Lösungen für die Akzeptanz vor Ort entwickeln. Ist das für Sie die Best-Practice-Lösung für die Energiewende? 

Diese Struktur ist für die Energiewende auf jeden Fall sehr, sehr hilfreich. Wir brauchen kleine und große Unternehmen in der Branche. Das Fundament für die Akzeptanz legen vor Ort verankerte Akteure.

"Das Fundament für die Akzeptanz legen vor Ort verankerte Akteure."

Deshalb ist der vitale Mittelstand, der vor Ort geerdet ist, unerlässlich, um 80 Prozent Erneuerbare schnell zu erreichen. Gleichzeitig brauchen wir auch starke Partner, die in der Vergangenheit die konventionelle, fossile Energiewelt vertraten und sich nun neu orientieren. Akteursvielfalt ist für mich nicht nur ein Schlagwort, sondern Basis für den Erfolg.

Hermann Albers hat oft davon gesprochen, dass sein Job vor allem darin besteht, die unterschiedlichen Interessen im Verband auszugleichen. Wo sehen Sie denn da die größten Herausforderungen und Spannungen innerhalb der Windenergiebranche?

Als BWE müssen wir uns immer fragen, für wen wir uns engagieren. Für Hersteller, Betreiber oder Planer? Für den Norden oder den Süden? Oder nicht doch für das große gemeinsame Ziel: 100% Erneuerbare Energien. Es ist unsere Aufgabe, die sehr heterogene Mitgliedschaft  mit zum Teil widersprechenden Interessen auf gemeinsame Ziele zu fokussieren. Immer einen Ausgleich der Interessen hinzubekommen und daraus gemeinsame Vorschläge zu formulieren und politisch durchzusetzen, ist und bleibt die große Leistung des Verbandes. Das wird sich mit dem Wechsel in der Verbandsspitze nicht ändern.

Was sind Ihre Ziele als Präsidentin?

Kurs halten und den Verband weiter als den schlagkräftigen Akteur im Zentrum der neuen Energiewirtschaft voranbringen. Ich habe große Lust an politischer Arbeit. Und ich möchte, dass die Energiewende wirklich in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Dass die Menschen verstehen, dass Erneuerbare Energien nicht einfach der Ersatz von Kohle und Atom durch Sonne und Wind sind, sondern man dafür auch ein anderes Mindset braucht.

"Ich möchte, dass die Energiewende wirklich in der Mitte der Gesellschaft ankommt."

Wir müssen Verbrauch und Erzeugung synchronisieren, und das funktioniert eben nicht wie in der konventionellen Energiewirtschaft. Die Energiewende ist an dem Punkt angekommen, an dem die Erneuerbaren-Unternehmen erwachsen werden und die Verantwortung für die Energieversorgung Deutschlands übernehmen. Wenn wir 80-90 Prozent Erneuerbare haben, sind wir es, die als Branche Backup-Strategien anbieten und die Verantwortung für die Energiepreise für Wirtschaft und Verbraucher übernehmen. Wir sind raus aus der Nische. Die Energiewirtschaft, das sind jetzt wir! 

Die Landwind Gruppe hat als landwirtschaftlicher Betrieb mit Windenergie angefangen, dann kam Solar hinzu, und nun sind Sie auch Energieversorger. Wie setzen Sie die Verantwortung, von der Sie sprechen, praktisch um?

Wir verantworten als Energieversorger eigene Bilanzkreise. Ein Industriekunde wie Jägermeister will nicht nur günstigen Strom und auch nicht nur Ökostrom aus Zertifikaten. Solche Industriekunden wollen sagen können: Unser Strom kommt von dieser Windkraftanlage, jener Photovoltaikanlage und das ist die Biogasanlage für die Ausgleichsenergie. Das war schon unsere Vision, als wir vor 20 Jahren das Unternehmen gründeten. Und langfristig wollen wir das auch unabhängiger von den heute noch bestehenden staatlichen Regelungen dürfen.

Wenn die Erneuerbaren ein System sind und sich gegenseitig brauchen, wie lange braucht es dann noch einen eigenen Windenergieverband?

Der BWE ist schon sehr im Zusammenschluss mit dem BEE angekommen, andere Verbände sind vielleicht noch nicht ganz so weit. In Niedersachsen bin ich Vorsitzende des LEE, da haben wir den Schritt zum Gesamtverband also schon erfolgreich vorgelebt. Es braucht dauerhaft eine starke Stimme für den Wind innerhalb eines Verbandes der Erneuerbaren Energien. Denn der Wind ist das Zugpferd und der Lastesel der Energiewende. Aber wir brauchen den Mix aus Sonne und Bioenergie mit Geothermie, Wasser und Umweltwärme. Das müssen wir hinbekommen. Welchen Namen der Verband trägt, das ist dann gar nicht mehr so entscheidend. In Niedersachsen machen wir gemeinsam Politik – und das läuft wunderbar.

Zum Schluss: Worauf freuen Sie sich besonders in Ihrem neuen Job? Und woran denken Sie nicht so gerne?

Ich tue mich manchmal schwer damit, geduldig zu sein, wenn ich schon ein Ergebnis im Kopf habe, aber der Prozess im Verband noch braucht, bis es da auch ankommt. Und ich glaube, dass das Zusammenwachsen im BEE wirklich eine Herausforderung ist. Das wird sicherlich nicht immer nur Spaß machen, aber das gehört dazu. Worauf ich mich wirklich freue, ist, die Branche mit meiner persönlichen Erfahrung als Unternehmerin und meinen Überzeugungen gegenüber der Politik zu vertreten. Ich will dort verständlich machen, wie die Energiewende vor Ort gelingt. Denn das brauchen wir, um gemeinsam Erfolg zu haben.

 

Interview: Marcus Franken