Rahmenbedingungen verbessert

Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, bei stark steigendem Verbrauch bis zum Jahr 2030 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu gewinnen – fünf Jahre später soll die Stromerzeugung vollständig durch erneuerbare Energien abgedeckt werden. Der Windenergie und damit der Windindustrie in Deutschland und Europa wird dabei eine zentrale Rolle zugeschrieben, was durch das im Juli beschlossene Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG 2023), das Wind-auf-See-Gesetz (WindSeeG 2023) und das Wind-an-Land-Gesetz (WaLG) untermauert wird. Dieses soll den Ausbau der Windenergie in Deutschland deutlich schneller voranbringen, Planungs- und Genehmigungsverfahren von Windenergieanlagen beschleunigen sowie die verfügbare Landesfläche für Windenergie an Land bis 2032 von aktuell 0,8 Prozent auf 2 Prozent steigern. Auf politischer Ebene zeigt sich endlich der Wille, den dringend notwendigen Ausbau durch geeignete Maß-nahmen voranzubringen. Dieses wichtige positive Signal an die Branche führt allerdings nicht automatisch zu vollen Auftragsbüchern bei den Herstellern – eine zeitnahe Umsetzung ist von entscheidender Bedeutung.

Dr. Robert Habeck im Eingangsstatement zur ersten Lesung im Bundestag:

„Hätten wir diese Pakete vor zehn Jahren durchgezogen, würden wir heute ganz anders dastehen!“.

Die Erreichung des Zwei-Prozent-Ziels muss vor dem Jahr 2032 festgelegt werden, schnellstmögliche Flächenverfügbarkeit ist erforderlich. Der BWE drängt daher auf ein Beschleunigungsgesetz, um künftige Verfahren schneller abzuschließen. Zusätzlich fordert der BWE von den Bundesländern, die derzeit bereits im Genehmigungsprozess befindlichen Windenergieprojekte (mit einer Leistung von 10.000 Megawatt) noch im laufenden Jahr zu entscheiden. Damit ließe sich das Ausschreibungsvolumen des kommenden Jahres anfüllen.

Hermann Albers, Präsident des BWE:

„Die stark angehobenen Ausbauziele im neuen EEG sind die ambitioniertesten Vorgaben, die es jemals in der Bundesrepublik gab. Aber alle guten Absichten nützen nichts, wenn es nicht gelingt, die beabsichtigte Leistung auch tatsächlich ans Netz zu bringen.“

Politischer Rückenwind noch ohne Wirkung

Bis das WaLG die dringend erforderliche Wirkung auf die Ausbauzahlen entfaltet, droht kostbare Zeit zu verstreichen. So leidet der Ausbau im ersten Halbjahr 2022 nach wie vor unter den Folgen der zögerlichen Energiepolitik der letzten Legislaturperiode. Auch die uneinheitliche Genehmigungspraxis in den Bundesländern (u. a. 10H-Regel in Bayern) wirkt wie ein Bremsklotz. Das zeigen Zahlen der Deutschen WindGuard, die für den BWE und VDMA Power Systems analysiert wurden. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden hierzulande lediglich 235 Anlagen mit zusammen 976 MW installiert. Bei den Genehmigungen sieht es nach den von der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) auf Basis des Marktstammdatenregisters ermittelten Daten zwar etwas besser aus: Hier liegen die Zahlen 9 Prozent über dem Vorjahreswert, bei 334 Windenergieanlagen mit einer Leistung von 1.707 Megawatt (MW).1 Das reicht aber bei weitem noch nicht aus, um das vorgesehene Ausschreibungsvo-lumen von 12.800 MW für das Jahr 2023 mit Projekten zu füllen.

Hemmnisse: Kostendruck und fehlende Profitabilität

Das langsame Wachstum bei den Genehmigungen führt zu gering wachsen-den Auftragseingängen aus Deutschland bei den Herstellern, die am Ende des langwierigen Projektprozesses aus Flächenakquise, Genehmigungsverfahren, Finanzierungszusage und Ausschreibungszuschlag stehen.

Hersteller in Deutschland und Europa agieren schon seit Jahren in einem schwierigen Marktumfeld, bislang geprägt von politischen Rahmenbedingungen, die eine längerfristige Planbarkeit an Land und auf See unmöglich machten. Dies soll sich mit den ambitionierten Ausbauzielen und jahresscharfen Ausschreibungsvolumen nun ändern. Nach Zielen und Volumen sind nun aber vor allem Genehmigungen, Projekte und Aufträge erforderlich, um der Produktion in Deutschland wieder Rückenwind zu geben. Zusätzlich sind Hersteller und Zulieferer durch die Preisexplosion belastet, die in bestehenden Aufträgen nicht ausreichend inkludiert sind.

So ist auch Nordex mit Verlusten ins Jahr gestartet und verzeichnete ein schwaches erstes Quartal, was zu einem Konzernverlust von knapp 151 Millionen Euro geführt hat. Zum Vergleich: Im Vorjahreszeitraum entsprach der Verlust einem Minus von knapp 55 Millionen Euro.2 „Der Start in das Jahr 2022 war schwierig und ist sicherlich anders verlaufen, als alle erwartet haben“, kommentierte Konzernchef José Luis Blanco. Die Kostensituation bleibe volatil und es komme zu deutlichen Unterbrechungen der Lieferketten. Auch die Schließung des letzten deutschen Werks für Rotorblätter in Rostock wurde mit dem zunehmend herausfordernden Markt- und Wettbewerbsumfeld sowie einer Verschiebung der Nachfrage und der notwendigen Anpassung der globalen Produktions- und Beschaffungsprozesse begründet.

Unter dem Strich verdichten sich die Signale, dass der Windindustriestandort Deutschland und Europa im globalen Wettstreit unter Druck geraten ist. Die Ursachen sind vielfältig. Ein Grund: Die Branche ist seit der Begrenzung des Zubaus über Ausschreibungsmengen von einem zunehmenden Preiswettbewerb geprägt, der entstehende Kostendruck wurde und wird direkt an die Hersteller weitergegeben. Die Folge: Priorität bekam in dieser Abwärtsspirale die Verminderung von Produktionskosten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. So hat die Windindustrie in den letzten zehn Jahren die mittleren Stromgestehungskosten um über 70 Prozent (2011–2021) reduziert – mit lange Zeit sehr positiven Ergebnissen für die Erzeuger und die Verbraucher, aber sehr negativen Folgen für die Profitabilität und damit die mittelfristige wirtschaftliche Perspektive der Hersteller und Zulieferer. Dies dreht sich nun langsam. Steigende Kosten für Rohstoffe und Transport werden nun nach und nach an Kunden weitergegeben, die ihrerseits mindestens kurzfristig von den rasant wachsenden Preisen am Strommarkt profitieren.

José Luis Blanco, CEO der Nordex Group zur Werksschließung in Rostock:

„Die Windindustrie bewegt sich in einem wettbewerbsinten-siven, globalen Markt, der vor allem kostengetrieben ist. Vor diesem Hintergrund müssen wir unsere globalen Produktions- und Beschaffungsprozesse optimieren, um profitabel zu produzieren und die Wett-bewerbsfähigkeit der Nordex-Gruppe zu sichern. (…) Wir brauchen eine Industriepolitik, die einen nachhaltigen und umfassenden Ansatz zur Dekarbonisierung sowie die Unabhängigkeit der Lieferketten verfolgt.“ 3

Akute Problemlage: Steigende Rohstoff- und Transportkosten sowie unterbrochene Lieferketten

Auch Enercon mit seinem Stammsitz im ostfriesländischen Aurich kämpft im angespannten wirtschaftlichen Umfeld. Am 1. Juli 2022 gab das Unter-nehmen bekannt, 500 Millionen Euro Staatshilfe aus dem Wirtschaftsstabili-sierungsfonds (WSF) der Bundesregierung zu erhalten. Laut Unternehmens-meldung dient die Liquiditätshilfe zur „Abfederung negativer Folgen der COVID-19-Pandemie“. Diese habe zu erheblichen Störungen und unerwarteten Mehrkosten bei Material, Komponenten, Transport und Logistik und in der Folge zu Verzögerungen wichtiger Projekte geführt.4 Der Einbruch im deutschen Markt führte allerdings bereits im Jahr 2019 zum Abbau von 3.000 Stellen in Deutschland.

Neben den deutlich zu spürenden wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie, insbesondere durch gestörte Lieferketten, macht sich ein weiterer gewichtiger Faktor bemerkbar: die geopolitische Spannung durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Als problematisch erweisen sich damit im Zusammenhang stehende Kostensprünge (beispiels-weise bei Rohstoffen, Zuliefererkomponenten oder Transportkosten), welche die Produktion und Installation entgegen der ursprünglichen Kalkulation drastisch verteuern.

Lösungsansätze: Bereitstellung von Flächen und schnellere Genehmigungsverfahren

Vorrangig erscheint es jetzt, die eingangs geschilderten politischen Maßnahmen, wie im Wind-an-Land-Gesetz (WaLG) formuliert, möglichst zeit- und praxisnah umzusetzen. Verlässlichkeit und Planbarkeit sind Schlüsselwörter, damit sich die Auftragsbücher der Hersteller füllen und Investitionen in Produktionsstätten auch in Deutschland und Europa getätigt werden. Damit die Branche jetzt progressiv planen kann, müssen Flächen schnell bereitgestellt, Projekte viel zügiger genehmigt und muss die Windindustrie auch in Europa als strategische Branche durch den Abbau von Hemmnissen und den Aufbau eines Level Playing Field im Wettbewerb mit Asien unterstützt werden.

Nils de Baar, Präsident Northern & Central Europe von Vestas:

„Zentral für die globale Produktion von Windenergieanlagen ist Verläss-lichkeit in unserem Geschäft und unserer Lieferkette in einer sich rapide verändernden Welt. Unsere Fertigungsstätten sichern die Kapazitäten, um das erwartete massive Wachstum der Installationen von Wind-energieanlagen umzusetzen. Gemeinsam mit anderen Herstellern von Windenergieanlagen sehen wir deshalb notwendige politischen Maßnahmen, um die Windindustrie in Deutschland und Europa zu stärken. Das betrifft etwa Transportgenehmigungen und -infrastruktur genauso wie den Abbau von Handelshemmnissen und die Sicherung von ausreichend Fachkräften. Die Umsetzung dieser Maßnahmen ist für den Ausbau der Produktion erforderlich. Wenn Politik den Rahmen richtig setzt und Kunden bestellen, werden wir liefern.“

So fordern der BWE und der VDMA nicht nur ein koordiniertes Handeln innerhalb Europas. Auch die Bundesregierung soll in die Pflicht genommen werden, um in direktem Dialog mit Herstellern und Zulieferern einen Plan zur Stärkung der Windindustrie in Deutschland und Europa aufzustellen. Nur mit der Umsetzung zeitnaher Maßnahmen und einer strategisch ausgerichteten Industriepolitik kann sowohl Energiesicherheit als auch nachhaltige Wertschöpfung in Deutschland und Europa erreicht werden.

Felix Rehwald, Pressesprecher von Enercon:

„Es gilt einen Weg zu finden, heimische Wertschöpfung zu sichern und eine strategische Schlüsseltechnologie im Land zu festigen. Insbesondere in den Bereichen Energiesysteme, Netz- und Systemdienste sowie aktives Lastmanagement und Sektorkopplung sind Innovationen nötig, um Versorgungssicherheit und Importunabhängigkeit zu sichern.“

Für eine starke Windindustrie in Deutschland und Europa bedarf es eines neuen Blickwinkels, der über die reinen Stromgestehungskosten hinausgeht. Es gilt einen Weg zu finden, Wertschöpfung und Beschäftigung hier zu sichern und eine strategische Schlüsseltechnologie im Land und der Region zu festigen.

Der Beitrag erschien erstmalig im BWE BetreiberBrief 4-2022.

Quellen:

1 www.fachagentur-windenergie.de/fileadmin/files/Veroeffentlichungen/Analysen/FA_Wind_Zubau- analyse_Wind-an-Land_Halbjahr_2022.pdf
2 www.nordex-online.com/de/2022/06/nordex-se-nordex-group-startet-mit-umsatz-von-933-mio-eur-in-das-jahr-2022/
3 www.nordex-online.com/de/2022/02/nordex-se-nordex-group-plant-beendigung-der-rotorblattfertigung-am-standort-rostock/
4 www.enercon.de/de/aktuelles/enercon-sichert-sich-gegen-zusaetzliche-finanzielle-risiken-ab/


Das könnte Sie auch interessieren: