Wir haben über viele Jahre viel Zeit verwendet, die Arbeit an und in Windenergieanlagen sicherer zu gestalten – der Ausdruck „Safety first“ wurde zum geflügelten Wort und war in aller Munde. Er ist richtig und wichtig und wir dürfen nicht nachlassen, uns, unsere Kolleginnen und Mitarbeiter daran zu erinnern, dass es richtig und legitim ist, zuerst an die eigene Sicherheit und die Sicherheit der Kollegin an/in der WEA zu denken und erst dann an die Umsetzung der Arbeiten. Es gilt: wenn jemand im Team Bedenken hat, dann ruht die Arbeit, bis sich jede/r wieder vergewissert hat, dass die Arbeiten sicher und vernünftig ausgeführt werden können.

Wir dürfen nicht nachlassen, auch Kollegen, die all das schon lange kennen, immer wieder an die Sicherheitsregeln zu erinnern, durchzuspielen, warum eine bestimmte Situation gefährlich sein kann und auch tatsächliche Unfallereignisse mit allen durchzusprechen. Gerade die Gewohnheit kann zum Risikofaktor werden, wenn Gefährdungen nicht mehr als solche wahrgenommen werden. Die Dokumentation von Unfallereignissen (bei all dem Schrecken, den sie für die Beteiligten vielleicht enthalten) kann helfen, unsere Teams in der WEA besser zu schützen – unter dieser Prämisse haben wir das Quarks-Video[1] über den Hergang der Rettung im Windpark Hückeswagen betrachtet. Auch wenn ich heute weiß, dass der Betreiber gute Vorarbeit geleistet hatte und auf eine Notsituation vorbereitet war – es ist alles andere als glatt gelaufen. Die Bilder beschäftigen nicht nur mich, seit sie verfügbar sind. Dieses Ereignis und auch weiteren Notsituationen wie z.B. zwei Brandereignisse, während Teams unterschiedlicher Arbeitgeber in den jeweiligen WEA waren, zeigen: der Notfall kann jeden Betreiber, jeden Betriebsführer, jedes Serviceunternehmen und jeden Anlagenhersteller treffen.

Die Annahme der meisten Betreiber, dass zunächst z.B. der Serviceanbieter oder der WEA-Hersteller die erste Verantwortung für die Rettung seines verunfallten Mitarbeiters trägt, ist nachvollziehbar und richtig. Aber ohne Vorarbeit des Betreibers oder Betriebsführers trägt die beste Ausbildung unserer Serviceteams nur partiell. Die Mitarbeiter in den Windenergieanlagen haben in den letzten 15 Jahren eine erstaunliche Entwicklung bei der Trainingstiefe, Unterweisungsdichte und Ausrüstung durchlaufen. Die Teams sind immer besser auch auf Notfallsituationen vorbereitet. Aber mit immer mehr Teams, die wir zwingend für immer mehr Windenergieanlagen benötigen, steigt zwingend die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Notfall kommen kann. Hier ist Vorbereitung und ein stichhaltiges Rettungskonzept für die Mitarbeiter in der WEA die beste Versicherung, dass Rettung schnell und sachgemäß funktioniert.

Für Betreiber und Betriebsführer sollte Teil der Vorbereitung sein, mit den örtlichen Feuerwehren und auch mit den nächstgelegenen Höhenrettungsteams zu der jeweiligen WEA Kontakt aufzunehmen.[2]

Darüber hinaus hat der Kontakt zu den Höhenrettungsgruppen auch den Sinn, diesen Übungszeiten an den verschiedenen WEA-Typen einzuräumen – es hilft, die Retter mit den Besonderheiten einer WEA vertraut zu machen, es hilft ihnen, im Ernstfall schneller einen guten Überblick zu bekommen. Es erleichtert eventuell auch die Bedienung von Aufzügen und Winden.

Die örtliche Feuerwehr wird wahrscheinlich nicht über Höhenretter verfügen, aber sie sollte mit den Örtlichkeiten vertraut sein und wissen,

  • wo man einen Schlüssel findet,
  • ob und wieviel Notfall-PSA in den WEA vorhanden ist,
  • welche mitlaufenden Auffanggeräte eventuell im Windpark vorhanden sind,
  • wo man beides findet
  • und vor allem, wer Ansprechpartner ist und wie dieser zu erreichen ist, sollte es einmal zum Ernstfall kommen.

All das erleichtert die Arbeit der Retter und kann wertvolle Zeit sparen, wenn das Höhenrettungsteam eintrifft. Bei einem Treffen mit Höhenrettungsgruppen aus NRW kam zudem der wichtige Hinweis, dass wenn andere Teams oder Mitarbeiter des Betriebsführers oder Betreibers ortsnah sind und zu der Windenergieanlage mit einem Verunfallten eilen können, dies am sichersten in Begleitung der Polizei geschieht. Nicht immer kann diese Begleitung durch die nächstgelegene Wache gewährleistet werden, aber wenn es möglich ist, macht es die Fahrt sicherer und schneller.

Einige Notfalleinsätze an Windenergieanlagen sind gut dokumentiert. Wir sollten sie nutzen, um als Branche gemeinsam daraus zu lernen, und gemeinsam mit den Rettern an Konzepten arbeiten. Die ersten Punkte, die dabei ins Auge springen:

  1. Zugang zur WEA, wenn ein Team arbeitet: Vielfach höre ich den Vorschlag, dass die Teams den Schlüssel sichtbar und markiert im Fahrzeug hinter der Windschutzscheibe deponieren sollten. Ein potentiell herbeigerufenes Höhenrettungsteam muss dann nur die Windschutzscheibe einschlagen und kann in die WEA gelangen. Auch wenn dies sicher richtig ist: andere können die Windschutzscheibe ebenfalls einschlagen und in die WEA gelangen – und wir haben solche Einbrüche in Fahrzeuge an der WEA schon erlebt. Eingeschlagene Seitenscheiben und ausgeräumte Fahrzeuge passieren – was, wenn dann ein Unbefugter die WEA betritt und das Sicherheitsrisiko/ Unfallgeschehen verursacht? Es gibt für Rettungsdienste spezielle Schlüsselrohre (FSD1 Schlüsselrohr - A | Priosafe) – um ein solches Schlüsselrohr zu öffnen, benötigt man einen Schlüssel mit der örtlichen Feuerwehrschließung, der in der Regel nur für die örtliche Feuerwehr / den örtlichen Rettungsdienst verfügbar ist. Das ist keine absolute Sicherheit, sollte aber einen schnellen und geregelten Zugang zur WEA gewährleisten. Diese Art der Zugänglichkeit wird analog an tausenden Objekten mit Brandmeldeanlagen deutschlandweit verwendet und kann mit vorhandenen Einbruchmeldeanlagen gekoppelt werden.

  2. Nutzung des Aufzugs/der Befahranlage: hier sollte eine Kurzanleitung, die im Aufzug verfügbar ist, zum Standard gehören. Eine Verzögerung der Rettung, nur weil niemand unten weiß, wie der Aufzug/die Befahranlage funktioniert, ist dramatisch und vermeidbar. Für neue WEA ist es wichtig, eine Hol-/Bring-Funktion am Aufzug zum Standard zu machen. Zum einen muss dann ein Begleiter einen potentiell Schwerverletzten nicht verlassen (bei einem Schwerverletzten ist das nicht möglich), um einen Aufzug nach unten zu bringen/zu schicken, zum zweiten können die Rettungskräfte schneller auch Material transportieren. Selbstverständlich wäre es hilfreich, wenn es eine ähnliche Funktion auch für ein Lastmittel gibt – wenn die Seilwinde schon Material transportieren kann, während die Rettungskräfte noch mit der Aufwärtsfahrt beschäftigt sind, spart dies wertvolle Zeit.

  3. Übungen in einer WEA für Höhenretter helfen, die Retter mit den Besonderheiten von Windenergieanlagen vertraut zu machen: Retter treffen nicht im Maschinenhaus ein, ohne zu wissen, wo sie suchen sollen. In Hückeswagen lag der Verunfallte auf der Nabe – der Durchstieg durch die kleine Luke vom Maschinenhaus erschließt sich dem ungeübten Beobachter nicht zwingend. Im Rahmen einer Übung ist zudem zu erwarten, dass die geübten Retter noch Hinweise oder Vorschläge machen können und wollen, um für den Ernstfall gut vorbereitet zu sein.

  4. Die Serviceteams müssen darauf hingewiesen werden, dass die in der WEA verfügbaren mitlaufenden Auffanggeräte nicht von ihnen genutzt werden dürfen – sie dienen im Notfall dazu, dass die Retter sie erreichen können. Es gibt auch den Vorschlag, dass die Teams in ihren Fahrzeugen weitere mitlaufende Auffanggeräte mitführen, um eine Verfügbarkeit für Höhenrettungsteams zu gewährleisten. Dies ist sicher umsetzbar, wenn ein Serviceteam an einen WEA-Hersteller gebunden ist und stets in WEA mit identischen Steigschutzsystemen arbeitet. Wenn Teams allerdings mitlaufende Auffanggeräte für mehrere Steigschutzsysteme mitführen sollen (z.B. Sachverständige), dann ist die Anforderung nicht realitätsnah.

  5. Jede WEA sollte in einem Notfall-System gelistet sein. Das bisherige WEA-NIS (Notfall-Informations-System) des FGW e.V. wird derzeit überarbeitet, bekommt eine völlig neue Benutzeroberfläche, neue Features und eine sinnvolle Möglichkeit, Anfahrten präzise und individuell einzutragen. Das heutige WEA NIS wird in Zukunft DEEP (Decentralised Energies Emergency Platform) heißen und selbstverständlich weiterhin für die Rettungsleitstellen kostenfrei zugängig sein. Eine Eintragung der WEA in das neue DEEP inkl. einer guten und präzisen Anfahrt helfen, dass die Feuerwehren und die Höhenretter schneller an den Einsatzort gelangen können. Sie helfen auch den Leitstellen, das nächstgelegene freie Höhenrettungsteam zu erreichen. Wichtig sind genaue Informationen über Nabenhöhe, Zufahrten, Schließsysteme und vieles andere. Wir haben hierzu den Dialog mit den Höhenrettern in NRW angestoßen. Ein Austausch soll helfen, die benötigten Informationen sicherzustellen und die Bekanntheit des DEEP bei Höhenrettern und Leitstellen zu erhöhen. So ist auch geplant, Anlagen per Shapefile-Export in die Geoinformationssysteme der Leitstellen zu integrieren und dort deren Notfallinformationen über einen Link auf den DEEP-Eintrag, schneller zugänglich zu machen. Betreiber und Betriebsführer müssen die Möglichkeit dann nutzen, die Angaben im System zu präzisieren und aktuell zu halten.

Zu guter Letzt: für die Rettung eines Verletzten ist eine Windenergieanlage eine Herausforderung, das wird sie auch in Zukunft sein. Eine verbesserte Einbindung des Rettungsgedankens in die Konzeptionierung zukünftiger WEA kann aber deutliche Mehrwerte generieren. Genannt seien nur Stichworte wie Öffnungen auf dem Maschinenhausdach für Retter aus der Luft, fest installierte Winden, um Verletzte schnell und sicher zurück zum Boden zu bringen, Brandschutzübungen auf der Windenergieanlage und ein Steigschutzsystem, das den Absteigenden bestmöglich unterstützt.

 

Über die Autorin

Dinah Timmerhues, M.A. Geschichte/Politik, Betriebswirtin (HWK), hat über 20 Jahre Berufserfahrung in international tätigen Unternehmen. Seit Oktober 2008 ist sie kaufmännische Leiterin der UTW Dienstleistungs GmbH in Hamm, seit April 2014 Prokuristin, eines Service- und Instandhaltungsdienstleisters für Windenergieanlagen. Sie ist Mitglied im BWE SV-Beirat sowie in den FGW AK Arbeitsschutz und Nachweisprüfung.

 

[1] WDR-Fernsehen oder www.youtube.com/watch?v=bPKtvJ-MWbY.

[2] Hilfreich kann hier folgender Link sein: www.hoehenretter-online.de, Herr Michael Dolega, Feuerwehr Stadt Haltern am See, selber Höhenretter, hat auf dieser Webseite eine Übersicht der örtlichen Höhenrettungsgruppen für ganz Deutschland gegeben.

 

Dieser Fachartikel erscheint im BWE-BetreiberBrief 24-1.


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