Was vor über 40 Jahren als allgemein belächelte Nische der Energieversorgung begann und heute ca. 50 % der elektrischen Energieversorgung bereitet, soll in 15 Jahren den gesamten Energiebedarf Deutschlands sicherstellen – damit geht eine erhebliche Veränderung der Produktionsstätten einher und die Energieversorgung dezentralisiert sich! Mit dieser Dezentralisierung verschieben sich auch die Verantwortlichkeiten in der Branche der erneuerbaren Energien. Was vorher von Leitwarten in zentralen Betriebsstätten geplant und umgesetzt wurde, soll nun von verschiedenen Betreibern, Betriebsführern und Energieträgern dargestellt werden.

Dazu bedarf es einer zunehmenden Professionalisierung der Branche der Erneuerbaren Energien und der Ansprüche an den rechtskonformen und unfallfreien Betrieb der verschiedenen Sektoren. Diese Professionalisierung hat in den vergangenen 15 Jahren zunehmend an Fahrt aufgenommen und sie wird uns auch noch in den kommenden Jahren stetiger Begleiter und Antrieb sein – und weitere Veränderungen zwingend mit sich bringen. Da die Windkraft die Führungsrolle innehat, lenken deren Betriebsführungsorganisationen oft auch den Betrieb von Photovoltaik- und Biogaskraftwerken. Bei den Betriebsführern läuft viel Knowhow zusammen, aber wie einleitend beschrieben, stellen sich auch immer neue Fragen.

Als sich in den 2010er Jahren Fragen zum Umgang mit der elektrischen Anlagenverantwortung häuften, entwickelte sich eine konstruktive und für beide Seiten sinnvolle und zielführende Zusammenarbeit zwischen dem Betriebsführerbeirat des BWE und dem Fachausschuss Instandhaltung der Fördergesellschaft Windenergie und andere Dezentrale Energien (FGW) – also der Institution für die Erneuerbaren, die u.a. in Abstimmung mit Fachleuten und normengebenden Komitees ihre technische Richtlinie erarbeitet. Bei der FGW sind sowohl Betreiber, Betriebsführer als auch Serviceunternehmen, Hersteller, aber auch Institute und Netzbetreiber organisiert - das Wissen aus allen Ebenen der Branche der Erneuerbaren Energien läuft zusammen. Und genau dieses Wissen half dann auch, Fragestellungen, die beispielsweise im Netzbetrieb oder in den zentralen Kraftwerken schon lange geregelt waren, auf die sich professionalisierende Windbranche zu übertragen und entsprechend der dezentralen Organisation anzupassen.

Im August 2017 erschien nach mehr als ca. vierjähriger Zusammenarbeit der Akteure der fossilen Energiewirtschaft und der Erneuerbaren die erste Ausgabe der TR7 A1 Anlagenverantwortung Revision 0 – eine noch nicht vollumfängliche Handreichung, welche die Anforderungen, den Umfang und die Umsetzung der Anlagenverantwortung verständlich und nachvollziehbar erklärte. Schnell zeigten sich Lücken sowie unvollständige Formulierungen und Akteure aus anderen Normierungsgremien empfahlen eine Erweiterung der TR7 A1. Die Mitarbeiter des Arbeitskreises Anlagenverantwortung beschlossen, die Rubrik A1 der TR 7 zu überarbeiten, tauschten sich mit anderen Arbeitskreisen aus, vervollständigten den Inhalt und revidierten in ca. zweieinhalb Jahren die TR7 A1 zur Revision 1, der bis heute gültigen Richtlinie der FGW zur Anlagenverantwortung von Juni 2020.

Schon im Rahmen der Kooperation zur TR7 A1 war allen Beteiligten klar, dass mit der Rubrik zur Anlagenverantwortung zwar ein wesentliches Kapitel zur Vermeidung von elektrischen Gefahren, die von der Maschine ausgehen, erarbeitet wurde, aber weitere Bereiche eines umfassenden Arbeitsschutzes unbehandelt blieben, da die Rubrik viele Aspekte der elektrischen Anlage behandelt und andere Komponenten der WEA zunächst ausklammert, was die Grafik oben aus der TR7 A1 veranschaulicht.

Gefahren der hydraulischen Anlagen, Höhenarbeit, Gefahrstoffe und so weiter waren nicht abgedeckt – der AK Anlagenverantwortung beschloss, sich den Themen in einer weiterführenden Kooperation zu widmen. So ergab sich auf Basis der bewährten Zusammenarbeit zwischen dem Betriebsführerbeirat des BWE und dem Fachausschuss für Betrieb und Instandhaltung der FGW im Jahr 2021 eine neue Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung der Grundlagen des Arbeitsschutzes. Wieder fanden sich Betriebsführer und Serviceunternehmen zusammen, um eine weitere Rubrik der TR7 auszuarbeiten.

Wie immer bei der Ausarbeitung einer neuen FGW-Richtlinie einigte sich der Arbeitskreis zunächst auf eine gemeinsame Zielsetzung. Dabei ergaben sich nachfolgende Fragestellungen, die in zweimonatlichen Treffen durch verschiedene Spezialisten möglichst bis zum ersten Quartal 2024 ausgearbeitet werden sollen.

Ziel unserer Gremienarbeit ist es, eine Handlungsempfehlung zum Arbeitsschutz für die verschiedenen Organisationsformen und Akteure in der Windenergie zu erstellen: Betreiber, Betriebsführer, Serviceunternehmen und Hersteller sollen in die Lage versetzt werden, den Arbeitsschutz in ihrem jeweiligen Aufgabenbereich der Branche der Erneuerbaren Energien bestmöglich zu organisieren.

Dabei wird auf die Nähe zur TR7 A1 verwiesen, aber schon abgehandelte Bereiche sollen sich nicht wiederholen. Stattdessen werden andere relevante Werke wie beispielsweise die DGUV Information 203-007 „Windenergie“ und das „Handbuch Gefährdungsbeurteilung“ (GBU) der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zitiert, aber auch auf Herstellerdokumente wie Bedienungsanweisungen hingewiesen. Empfehlungen zum Umgang mit im Betrieb immer häufiger auftretenden Problemen im Zusammenhang mit Sprachbarrieren durch Arbeitsteams verschiedener Nationalitäten beispielsweise bei Großbauteilwechseln, Risiken im Rahmen von nicht vorhersehbaren Netzabschaltungen sollen abgegeben werden und vielleicht wird auch noch das Havariemanagement angeschnitten.

Neben Informationen und Hinweisen zur objekt-/standortspezifischen und zur tätigkeitsbezogenen GBU widmet sich der Arbeitskreis auch den Themen Notfallorganisation /Rettungskonzept. Publik gewordene Vorfälle, wie z. B. die langwierige Rettung nach einem Blitzeinschlag in einer Quarks-Sendung des WDR, aber auch die Anfrage des schleswig-holsteinischen Sozialministeriums zur unverzüglichen Rettung aus WEA, zeigen den Handlungsbedarf auf. Dabei wird über den Tellerrand hinausgedacht, tatsächliche Rettungskräfte werden in den Arbeitsprozess der Richtlinienarbeit eingebunden, um eine umfassende Übersicht zu Betriebsabläufen zu geben, bei denen unsere Branche zwingend Verbesserungen anstoßen muss.

Zusammengefasst beabsichtigen wir also, Best-Practice-Empfehlungen zu Betreiber- und Unternehmerpflichten in Bezug auf den Arbeitsschutz, anfänglich für die Windenergiebranche, aber gegebenenfalls auf Solar- und Biogas erweiterbar, auszuarbeiten.

 

Über den Autor

Michael Rückert ist ausgebildeter Kfz- und Flugzeugmechaniker und hat Umweltschutztechnik mit Fokus auf neue Energieträger sowie Windenergietechnik- und Management im Aufbaustudiengang studiert. Er arbeitete sowohl viele Jahre als Flugzeugmechaniker bei der Lufthansa und als selbstständiger Projektentwickler in Portugal wie auch als technischer Betriebsführer mit Schnittstellen zu Windmessungen und Windgutachten sowie als technischer Assetmanager bei zwei verschiedenen Stadtwerken.

 

Dieser Fachartikel erscheint im BWE-BetreiberBrief 24-1.


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