Der Betrieb von Windenergieanlagen ist seit Jahrzehnten etabliert. An der gesamten Wertschöpfungskette haben Akteure von Herstellern über Planungsbüros und Servicefirmen bis zu Betreibern ihren Anteil. Dank diverser Fördermodelle ist die Branche mittlerweile so routiniert geworden, dass die Prozesse effektiv und günstig sind und sich das Geschäftsmodell auch ohne Subventionen trägt. Der durch den Verkauf von Strom erwirt-schaftete Ertrag reicht aus, um die vollständigen Kosten von Produktion, Aufbau, Betrieb und Rückbau zu decken und dabei Profit abzuwerfen. Mit der Berücksichtigung von Wasserstoff als Produkt aus Windenergiequel-len ergeben sich nun neue Möglichkeiten und Herausforderungen.

Das Projekt H2Mare-OffgridWind setzt mit der direkten Kopplung von Windturbine und Elektrolyseur eine neue Idee um und stellt die bisherigen Vorgehensweisen komplett infrage. Eine Anbindung über ein Stromkabel ist nicht vorgesehen, stattdessen wird die Energie vollständig über Wasserstoff abgeführt. Für diese neue Technologie muss nun die etablierte Wertschöpfungskette neu gedacht werden. Der Entwicklungsprozess muss stark abgekürzt werden, damit eine wasserstofferzeugende Turbine sich von Beginn an in diesem Umfeld wirtschaftlich bewähren kann.

Betrieb und technische Sicherheit

Die Unterschiede zeigen sich auf allen Ebenen: Während die elektrischen Systeme mit den Turbinen gewachsen und kontinuierlich verbessert worden sind, sind Elektrolyseure heute noch Produkte aus manueller Einzelfertigung, die einen sehr kleinen Markt bedienen. Diese sollen künftig in dem sehr unwirtlichen Umfeld offenes Meer bestehen.
Das elektrische System einer stromerzeugenden Turbine ist auf Teillast ausgelegt und kann daher jede Leistung effizient abführen. Bei wasserstofferzeugenden Turbinen hingegen sind auch ungünstige Betriebspunkte zu erwarten, bei denen der Elektrolyseur übermäßig altert oder Zusatzsysteme wie Kompressoren ineffizient arbeiten. Für Windparks ergibt sich hier Optimierungspotenzial. Die bestehenden ausgefeilten Betriebsstrategien müssen ergänzt werden, um die neuen Komponenten adäquat zu berücksichtigen und wirtschaftlich zu betreiben.

Mehr Kooperation und Interaktion

Zunächst besteht die Plattform aus einer Modelldatenbank. Das Fraunhofer IWES modelliert die komplette Kette der Windenergie: von großskaligen Wetterphänomenen über die lokalen Wechselspiele zwischen Wind und Turbinen bis zur Einspeisung des erzeugten Wasserstoffs ins Netz. Zusätzliche Modelle werden von den Projektpartnern beigesteuert. Die Plattform stellt dadurch eine zentrale Stelle der Zusammenarbeit dar.

Zur Implementierung der Simulationsplattform und der Komponen-tenmodelle wird auf dem Standard Functional Mockup Interface (fmi) aufgebaut, der die Interoperabilität sicherstellt. Er wird von den gängigen Simulationsprogrammen zum Austausch von Modellen unterstützt, definiert jedoch keine darüber hinausgehenden Anforderungen an ausgetauschte Signale. Er wird daher mit eigenen Konnektor-Definitionen ergänzt, die eine freie Kombination von Modellen ermöglichen.

Der zweite Teil stellt die Interaktion mit dem Anwender der Plattform dar. Über eine grafische Bedienoberfläche können Modelle miteinander ver-schaltet werden. Als nächstes wird mit speziellen Algorithmen aus der Systemstruktur, den Komponentenmodellen und ihren Metadaten sowie der Definition der verfügbaren Konnektoren die Modellstruktur abgeleitet.

Der letzte Teil beschäftigt sich mit der Definition von Simulationsszenarien. Mithilfe eines Frameworks können tausende Simulationen in kurzer Zeit parametriert werden. Für jede Simulation wird das vollständig parame-trierte Modell einem Simulationsserver übergeben, der die Simulation ausführt und das Ergebnis zurückgibt. Durch diese Aufteilung ist eine effiziente Parallelisierung möglich. Es können daher selbst komplexe Szenarien schnell simuliert werden.

Schließlich folgt eine Auswertung der Simulationsergebnisse. Szenarien- Simulationen bieten die Möglichkeit, verschiedene vom Benutzer definierte Konfigurationen zu simulieren und zu evaluieren, wie etwa bei der klassischen Lastrechnung von Windenergieanlagen. Mittels Monte-Carlo-Simulationen kann die Auswirkung unsicherer Parameter auf das Gesamtsystem evaluiert werden. Die unsicheren Parameter werden über eine Verteilungsfunktion beschrieben und die sich ergebenden Verteilungsfunktionen von Zielgrößen bestimmt. Die komplexeste Nutzung des gesamten Modells ist die mathematische Optimierung. Diese konfiguriert, simuliert und wertet Zielgrößen aus, um neue Konfigurationen für einen weiteren Simulationsdurchgang festzulegen. Durch diesen iterativen Prozess können Optimierungsvariablen so lange angepasst werden, bis sich die Zielgrößen nicht weiter verbessern lassen.

Dieser Beitrag wurde erstmals im BWE BetreiberBrief 2/2022 veröffentlicht. Hier kostenfrei anmelden.

Systems Engineering mittels Simulationsplattform

Das Projekt H2Mare-OffgridWind nutzt die Möglichkeiten der Simulationsplattform, um den wirtschaftlichen Betrieb der Anlagen sicherzustellen. Die Erwirtschaftung maximalen Gewinns aus den bestehenden Komponenten wird mittels modellbasierter Optimierung über alle Betriebsbedingungen der kompletten erwarteten Lebensdauer angestrebt. Die Simulationsplattform bietet für eine Analyse dieser Art die nötige Infrastruktur und bringt Experten zusammen für die Modellierung der benötigten Wind-, Turbinen-, Elektrolyseur- und Schadensmodelle sowie nicht zuletzt des Finanzierungs- und Strompreismodells. Erst die vollständige Berücksichti-gung aller relevanten Komponenten mit ihren Fehlerfällen (z. B. Elektrolyseur-Alterung) erlaubt eine fein abgestimmte Betriebsstrategie, die über ein am IWES entwickeltes Verfahren einen Plan für den Betrieb der Turbinen ergibt. Durch das Umsetzen des Betriebsplans können schließlich die Lebensdauer und der Ertrag erhöht werden und es wird ein signifikan-ter wirtschaftlicher Vorteil erzielt.
Ebenso kann die Simulationsplattform als digitaler Zwilling genutzt werden. So können Messdaten im Modell berücksichtigt und gewonnene Erkenntnisse rückgespiegelt werden. Der digitale Zwilling kann etwa für das Berechnen der verbleibenden Lebensdauer genutzt werden, aber auch der A-posteriori-Analyse von Fehlerereignissen dienen oder der A-priori-Simulation von kritischen Bedienhandlungen, etwa dem Zu- oder Abschalten kompletter Stränge in einem stromproduzierenden Windpark.

Fazit

Die Simulationsplattform wird im Projekt H2Mare-OffgridWind stetig weiterentwickelt und damit zu einer wirtschaftlich konkurrenzfähigen neuen Technologie zur Wasserstofferzeugung auf See beitragen. Daneben ergeben sich weitere Anwendungsfelder, so ist etwa die Optimierung des Betriebs von Windparks über die komplette Lebensdauer auch für strom-erzeugende Windparks attraktiv.

Das Projekt H2Mare-OffgridWind wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter dem Förderkennzeichen 03HY300 gefördert.