Die aktuellen Entwicklungen an den Strombörsen der letzten Jahre zeigen ein sehr volatiles Bild. In Zeiten hoher Erneuerbarer Einspeisung kommt es vermehrt zu niedrigen, zum Teil negativen Strompreisen, während in Zeitfenstern mit geringer Erneuerbarer Einspeisung die Strompreise, wie in den letzten Monaten gesehen, teilweise oberhalb von 600 €/MWh liegen.

Für eine sichere und stabile Betriebswirtschaftlichkeit für volatile Erneuerbare Energien sind solche Extreme schädlich, da sie den Kannibalisierungseffekt der Erneuerbaren Energien untereinander verstärken und zu einem stetig sinkenden Marktwertfaktor (Verhältnis von monatlichem Marktwert zu durchschnittlichem Marktniveau) führen. Zudem führt eine Ausdehnung negativer Strompreiszeitfenster aufgrund des §51 EEG 2021 (Einspeisung ohne Förderanspruch) zu weiteren betriebswirtschaftlichen Risiken.
Nahezu alle Studien zur Energiewende der letzten Jahre beinhalten keine ausreichende Betrachtung der betriebswirtschaftlichen Grundlage für den Ausbau Erneuerbarer Energien. Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) hat diesen Aspekt nun zusammen mit den Fraunhofer Insti-tuten IEE und ISE, der renommierten europäischen Rechtsanwaltskanzlei Becker Büttner Held (BBH) sowie mehr als 70 Unterstützern aus der Er-neuerbaren Energiewirtschaft in einer neuen Studie intensiv analysiert.

Ziel der Studie

Ziel der vorliegenden Studie (Langfassung: www.klimaneutrales-stromsystem.de) ist es, aufzuzeigen, wie das aktuelle Strommarktdesign anzupassen ist, um die benötigte Flexibilität für die Gewährleistung von Versorgungssicherheit, Refinanzierung der Erneuerbaren Energien sowie Wirtschaftlichkeit von Sektorenkopplungstechnologien zu sichern. Dabei legt die Studie einen Schwerpunkt darauf, dass die benötigten flexibel steuerbaren Einheiten und die fluktuierenden Erneuerbaren Energien Technologien Photovoltaik (PV) und Wind eine betriebswirtschaftlich lohnende Basis erhalten. Damit wird gewährleistet, dass die erforderlichen Investitionen in Erzeugungsanlagen Erneuerbarer Energien und der damit verbundenen Infrastrukturen auch tatsächlich erfolgen. Die Studie konzentriert sich explizit auf die möglichst breite Umsetzung der Energiewende im regionalen Kontext. Damit wird heimische Wertschöpfung gestärkt, der benötigte Netzausbau auf allen Ebenen opti-miert und zugleich die Abhängigkeit von anderen Staaten begrenzt.

Aufbau der Studie

Innerhalb des Basisszenarios, welches den aktuellen rechtlichen Rahmen simuliert, konnte gezeigt werden, dass das heutige Strommarktdesign nicht in der Lage ist, die genannten zentralen Bedingungen (Versorgungssicherheit, Refinanzierung der Erneuerbaren Energien, Wirtschaftlichkeit von Sektorenkopplungstechnologien) für eine erfolgreiche Energiewende zu gewährleisten. Daher sind Anpassungen an das aktuelle Strommarktdesign notwendig. Hierfür hat die Studie Maßnahmen abgeleitet und diese in ein Reformszenario überführt, welches die Voraussetzungen für die wirtschaftliche und versorgungssichere Umsetzung der Klimaneutralität schafft. Die Maßnahmen wurden zudem juristisch auf ihre Umsetzbarkeit geprüft. Die durchgeführten Simulationen für eine kostenoptimale Zusammensetzung des Energiesystems mit Fokus auf den Strommarkt basieren hierbei auf dem Energiesystemmodell SCOPE SD des Fraunhofer IEE. Für die Berechnung zur Bewertung des Flexibilitätspotenzials von privaten Endkunden mit Sektorenkopplungsanlagen wurde das Modell DISCTRICT des Fraunhofer ISE verwendet. Damit beantwortet die Studie, inwieweit vorhandene Flexibilitäten wirtschaftlich nutzbar sind. Da Simulationen mit optimalen Bedingungen für den Ausbau von dieser Flexibilität rechnen, wurden zusätzliche Sensitivitäten eines geringeren Flexibilitätsausbaus simuliert. Die Ergebnisse dieser Sensitivitäten unterstreichen, dass das Gelingen der Energiewende nicht nur den Ausbau der Erneuerbaren Energien, sondern auch der dafür benötigten Schaffung von Flexibilitäten erfordert.

Zentrale ausgewählte Ergebnisse der Studie

Das Basisszenario zeigt, dass trotz Kohleausstieg bis 2030 die Versorgungssicherheit in allen Dekaden bis 2050 gewährleistet ist. Innerhalb dieses Szenarios konnte die betriebswirtschaftliche Grundlage für den klimapolitisch notwendigen ambitionierteren Ausbau Erneuerbarer Energien aufgrund begrenzter Flexibilitäten nicht erreicht werden. Es kam zu deutlich verringerten Marktwerten und zu einer Häufung negativer Strompreise, welche sowohl den förderfreien Betrieb als auch den geförderten Betrieb von Erneuerbaren Energien (über die Sanktionierung des §51 EEG 2021) beeinflussen und den erneuerbaren Ausbau blockieren. Zudem wird die gewünschte Verhinderung negativer Strompreise nicht erreicht und es besteht zusätzlich die Gefahr gleichzeitiger Abschaltungen von Erzeugungskraftwerken, von Netz- und Versorgungssicherheitsproblemen. Die angenommene Entwicklung von Stromgestehungskosten der volatilen Erneuerbaren Energien Wind und PV in Verbindung mit den im Basisszenario erzielbaren Marktwerten lässt erst zwischen den Jahren 2040 und 2050 einen förderfreien wirtschaftlichen Betrieb zu. Für eine sichere Stromversorgung werden steuerbare Erzeuger der KWK, Bioenergie, Gaskraftwerken (Bestand), elektrische Speicher, regelbare Wasserkraftanlagen und in der Dekade 2050 zusätzlich 10 GW an H2-Gaskraftwerken benötigt. 

Aus den im Basisszenario auftretenden Herausforderungen wurden Maßnahmen abgeleitet, die auf die Anreizung von Flexibilität und eine Ver-besserung der Refinanzierungssituation von Erneuerbaren abzielen.

Diese Maßnahmen umfassen sowohl die Verbraucherebene (Stromnebenkostensenkung), die Speicherebene (Förderung und bivalente Nutzung) als auch die Erzeugerebene (Ausweitung flexibler Fahrweise der Bioenergie, Umstellung einer zeitgeförderten in einen mengengeförder-ten Rahmen für Erneuerbare Energien).
Aufgrund der getroffenen und umgesetzten Maßnahmen im Reformszenario ist es möglich, die betriebswirtschaftliche Grundlage für Erneuerbare Energien sowohl innerhalb der Förderung (keine negativen Strompreise) als auch außerhalb der Förderung (ab 2040) darzustellen. Dagegen be-nötigen die systemrelevanten steuerbaren Erneuerbaren Energien für die Refinanzierung zusätzliche Erlöse (z. B. über eine Förderung oder einem dezentralen Flexibilitätsmarkt). Zudem konnte im Reformszenario, im Gegensatz zu anderen Studien, die benötigte steuerbare Leistung für die Versorgungssicherheit im Stromsektor über Bioenergie statt H2 Gaskraft-werken realisiert werden.
Zusätzlich kann die Studie aufgrund ihrer Ausrichtung als auch der ge-troffenen Maßnahmen zeigen, dass eine lastnahe, dezentral erneuerbare Energieversorgung neben stark verbesserter Integration Erneuerbarer Energien auch die Netz- und Systemssicherheitskosten im Netzbetrieb im erheblichen Umfang reduzieren kann. Der hohe betriebswirtschaftliche Ausbau an Elektrolyseuren in Deutschland (ca. 100 GW) ermöglicht, neben der Bereitstellung von Verbrauchsflexibilitäten im deutschen Strommarkt, zudem die vollständige Deckung des heute absehbaren Wasserstoffbedarfs Deutschlands als auch eines Teils seines PTG Bedarfs im Jahr 2050.

Fazit der Studie

Die Erneuerbaren Energien sind bereit, die Energiewende und deren Herausforderungen zu meistern. Die vorliegende Strommarktdesignstudie des BEE zeigt in diesem Kontext neben bekannten Maßnahmen für ein Gelingen der Energiewende (z. B. variable Netzentgelte, Reduzierung Stromnebenkosten) auch viele neue Aspekte auf. Einer der wichtigsten Punkte ist die Umstellung von einer Zeitförderung zu einer Mengenförderung für Erneuerbare Energien. Dies ermöglicht die direkte Flexibilisierung von Wind- und PV-Anlagen zur Verhinderung negativer Strompreise und somit nicht vergütungsfähiger erneuerbarer Strommengen, ohne dabei volks- oder betriebswirtschaftliche Mehrkosten zu verursachen. Die stärkere Flexibilisierung der Bioenergie (bei gleichbleibender Verstromungsmenge wie in den letzten Jahren) spart Mehrkosten hinsichtlich der Errichtung von H2-Gasturbinen und deren benötigter Infrastruktur ein und ermöglicht ihrerseits den Einsatz des eingesparten H2 in der Industrie. Durch diesen Rahmen sowie den starken Ausbau an Elektrolyseuren als Marktflexibili-täten kann vollständig auf Wasserstoffimporte verzichtet werden. 

Diser Beitrag wurde erstmals im BetreiberBrief 1-2022 veröffentlicht. 


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