Corona hat uns gezeigt, wie viel Veränderung eine Gesellschaft stemmen kann. Viele Argumente gegen den Klimaschutz scheinen sich damit zu erübrigen – wird das Thema jetzt zum Mainstream?

Volker Quaschning: Tatsächlich hat Corona das Thema Klimaschutz eher aus der öffentlichen Berichterstattung verdrängt – 2019 haben wir erheblich mehr über Klima und Erneuerbare geredet. Corona hat uns erstmal sehr viel gekostet: Der Reflex wird sein, nach der Pandemie nicht gleich für die nächste Krise zu bezahlen, ob wirtschaftlich oder
durch weitere Einschränkungen.

Andererseits ist die Klimakrise ja nicht verschwunden, das lässt sich nicht wegdiskutieren. Und die Pandemie hat gezeigt, dass in einer Krise viele radikale Maßnahmen eben doch möglich sind. Warum soll das bei der Klimakrise nicht funktionieren? Und wir haben im letzten Jahr gelernt, dass vorausschauendes Handeln hilft: Wären wir im Sommer mit Schulkonzepten, Filtern etc. nicht so zögerlich gewesen, hätte die zweite Welle nicht so stark zugeschlagen. Das ist bei der Klimakrise nicht anders. Wir handeln erst umfassend, wenn wir die Bedrohung direkt vor Augen haben. Um unser Energiesystem komplett umzukrempeln, braucht es wahrscheinlich noch mehr Hitzesommer.

Das klingt jetzt eher pessimistisch.

Volker Quaschning: Natürlich hätten wir schon seit den 1990er Jahren für eine klimaneutrale Zukunft sorgen können. Aber Fridays for Future hat seit 2019 vieles geändert, wir sind heute viel weiter als vor zwei Jahren. Die Akzeptanz ist höher, auch die technologischen Lösungen sind viel weiter. Das ist ein Grund für Optimismus.

Ist jetzt auch endlich die Wirtschaft so weit? Der 2020er-Hype der Erneuerbaren Energien an den Börsen deutet an, dass der Mainstream umdenkt.

Volker Quaschning: Die Technologien werden immer preiswerter, sowohl Solar als auch Windenergie. Die Dekade der Subventionen ist vorbei, inzwischen steigen auch Dubai und die Vereinigten Arabischen Emirate auf Erneuerbare um – einfach, weil es sich rechnet und günstiger wird als die fossilen Technologien. Das hilft natürlich enorm. Und bei Kohlekraftwerken sehen auch die Investoren immer mehr Stranded Investments, da werden Projekte fertiggestellt, die sich längst nicht mehr rechnen.

Bei Wind- und Solarkraft ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sich die Investition auch rechnet. Und natürlich haben auch Firmenunternehmer Kinder und müssen sich von denen fragen lassen, was sie eigentlich machen. Der gesellschaftliche Druck, nicht auf der „dunklen Seite der Macht“ zu stehen, ist groß. Zusammen mit den wirtschaftlichen Vorteilen bringt das einiges ins Rutschen.

Liegt das auch an der Wahl von US-Präsident Biden?

Volker Quaschning: Joe Biden verspricht bis 2035 eine klimaneutrale Stromversorgung der USA – das gibt natürlich einen enormen Schub. Selbst wenn es sich um ein paar Jahre verzögern sollte, treibt es die Technologien voran und wird einen Dominoeffekt provozieren. China könnte sich unter Druck gesetzt fühlen, seine Klimaneutralität auch schon früher und nicht erst 2060 zu erreichen, besonders, wenn die EU eine CO2-Steuer auf Importprodukte erheben würde.

Gerät Deutschlands Innovationsführerschaft in Sachen Erneuerbare da ins Hintertreffen?

Volker Quaschning: Wenn wir weiterhin so zögerlich sind, ja! Nach der nächsten Bundestagswahl werden wir eine ganz neue Energiepolitik sehen müssen, sonst riskieren wir den Wirtschaftsstandort Deutschland. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass sich auch die CDU bewegt. Die Technologieführerschaft haben wir eigentlich längst abgegeben. Bei der E-Mobilität ist es Tesla in den USA, bei vielen Erneuerbaren ist es China. Auch bei den installierten Kapazitäten liegen wir längst hinter China zurück. 2020 hatte China rund 50 Mal so viel Windkraftausbau wie wir. Wenn überhaupt, geht es also darum, diese Innovationsführerschaft zurückzuerlangen.

Die nationale Wasserstoffstrategie soll neben der Energiesicherheit auch industriepolitische Signale setzen. Ist das der Versuch, diese Vorreiterrolle zurückzubekommen?

Volker Quaschning: Ich denke nicht, dass Wasserstoff hier der richtige Weg ist. Power-To-Gas (P2G) hat zwar einen großen Hype, aber anders als bei den Erneuerbaren gibt es zumindest kurzfristig keinen kommerziellen Markt dafür. Sinnvoll ist die Technik vor allem zur Stromspeicherung und für die Industrie. Das Hochjazzen von Wasserstoff zum jetzigen Zeitpunkt hilft vor allem dabei, vom politischen Versagen beim Erneuerbaren-Ausbau abzulenken.

Sie halten den Elektrolyseur für überflüssig?

Volker Quaschning: Nein, da muss man zwischen der Wasserstofftankstelle und dem Elektrolyseur für die Nutzung von Überschussstrom differenzieren. Aber der dafür benötigte Überschuss an grünem Strom ist einfach noch nicht vorhanden, und beim derzeitigen Ausbautempo sind wir davon auch noch weit entfernt. Aktuell wird auch bei Forschungsmitteln das Schrotflintenprinzip angewendet: Alles wird rausgehauen, Hauptsache „Wasserstoff“. Natürlich ergibt es Sinn, diese Technologie für die Zukunft zu entwickeln, irgendwann werden wir sie brauchen.
Aber bevor wir rund 80 Prozent erneuerbaren Strom haben, ist das ein subventionierter Markt. Das geht über eine Anschubfinanzierung weit hinaus.

Also wird Wasserstoff nicht das Öl der Energiewende?

Volker Quaschning: Eher der Champagner. Öl zu fördern ist billig, da braucht es vereinfacht gesagt nur ein Loch im Boden. Wasserstoff aus eigens erzeugtem Grünstrom ist ein Produkt für Nischen, in denen es keine anderen Lösungen gibt. Für eine klimaneutrale Stahlproduktion zum Beispiel, die Langzeitspeicherung oder für konventionelle Flugzeuge, weil Batterieflugzeuge erst in 20 bis 30 Jahren Realität werden dürften. Champagner hat ja auch seine Berechtigung, aber nicht als Ersatz für Mineralwasser. Aber zum Heizen und Autofahren ist es schlicht die ineffizienteste Energienutzung. Das batterieelektrische Auto mit über 80 Prozent Wirkungsgrad wird die Wasserstofftankstelle immer schlagen. Und auch im Heizungsbereich wird die elektrische Wärmepumpe eher die Lösung sein als teures grünes Gas.

Nicht mal mit einem höheren CO2-Preis?

Volker Quaschning: Das hilft nur im Vergleich mit fossilen Technologien – nicht zum Beispiel im Wettbewerb mit E-Autos. Bei Flugzeugen zum Beispiel, wo Wasserstoff vorerst die einzige nicht-fossile Konkurrenz ist, ist ein höherer CO2-Preis natürlich sinnvoll. Da reichen aber die Preise, über die wir aktuell reden, nicht. Da bräuchte es deutlich über 100 Euro pro Tonne CO2, um konkurrenzfähig zu sein. Um Erdgas beim Heizen oder das Dieselauto zu verdrängen, bräuchte es wahrscheinlich sogar 500 Euro, zumindest für die Einführungsphase. Wenn Wasserstoff dann einmal etabliert ist, reichen möglicherweise 50 bis 100 Euro je Tonne.

Die nationale Wasserstrategie und Entwicklungsminister Gerd Müller wärmen jetzt die Desertec-Idee wieder auf. Ist importierter grüner Wasserstoff aus der Wüste eine Lösung?

Volker Quaschning: Dieser Energiekolonialismus klingt für Laien natürlich ganz gut, wenn man mit Abstandsregeln Windräder verhindert, aber trotzdem grüne Energie will. Aber diese Geschichte hat Lücken. Wären die Marokkaner bereit, so viel Anlagen dort aufzustellen, um unseren Strom zu produzieren – statt für sich selbst? Wo soll das ganze Süßwasser herkommen? Und Kostenfragen durch die niedrige Energieeffizienz sind ebenfalls ungeklärt. Sobald die Rechnung präsentiert wird, wird die CDU die Reißleine ziehen, um wieder einmal angeblich die Wirtschaft nicht zu überlasten.

Sektorkopplung in der Mobilität also eher über die Batterie und ein Smart Grid, das Stromverbrauch und -produktion ausgleicht – aber auch davon sind wir ja noch weit entfernt. Sind das Zukunftsträumereien?

Volker Quaschning: Technisch ist das schon jetzt recht problemlos machbar, das Problem sind die Rahmenbedingungen. Es muss einfach und nutzerfreundlich sein. Und wenn wir 20 Millionen E-Autos haben, wäre es fatal, diese Speicherkapazität nicht zu nutzen. Moderne Autobatterien halten inzwischen schon länger als die Autos, die Kosten wären überschaubar. Aber das erfordert eine Strategieänderung, für die die Politik noch zu mutlos ist.

Aktuell haben wir nur 136.000 E-Autos in Deutschland. Selbst bei einer jährlichen Verdopplung würde es über sieben Jahre dauern, um auf 20 Millionen zu kommen.

Volker Quaschning: Das wird schneller massiv ansteigen, als man heute glaubt. In fünf Jahren wird ein nicht subventioniertes E-Auto günstiger sein als ein Benziner. Und trotz aller Liebe zum Verbrenner kauft die Mehrheit das, was günstiger ist. Aber dafür braucht es eine flächendeckende Ladeinfrastruktur, damit man so unbedarft losfahren kann, wie man es vom Benziner gewohnt ist. Wenn der Markt hochfährt und die Autoanzahl sich verzehnfacht, müssen die Ladesäulen auch entsprechend zahlreicher werden. Das rechnet sich bisher durch die Stromverkaufspreise nicht immer, deshalb muss der Staat das übernehmen – Infrastruktur ist ja schließlich auch seine Aufgabe.

Thema Staatszuschüsse: Die EEGZuschüsse haben das Wachstum der Erneuerbaren finanziert, zuletzt ging es aber massiv herunter mit den Subventionen. Kommt bald die PostFörderungsära?

Volker Quaschning: Das kommt darauf an. Private PV-Anlagen auf Hausdächern werden immer etwas teurer sein, das geht schwer ohne Förderung. Auf Freiflächen ist das etwas anderes – da geht es jetzt schon. Aber auch hier gibt es Begrenzungen wie beispielsweise die Flächenverfügbarkeit. Sobald rare Flächen zu teuer in der Pacht werden, kommt das Finanzierungsproblem zurück. Hinzu kommt, dass gerade der Erfolg der Erneuerbaren die Börsenstrompreise weiter drücken wird, weil jeweils zu den produktiven Zeiten Wind mit Wind und Solar mit Solar konkurriert. Langfristig können wir das mit Speichern lösen, aber das braucht noch mehr Zeit.

Ohne das EEG können wir deshalb nicht das Ausbautempo erreichen, das wir für den Klimaschutz benötigen. Deshalb sind wir auf diese Rahmenbedingung angewiesen. Das muss nicht unbezahlbar teuer sein, aber stabil.

Also keine Perspektive ohne EEG?

Volker Quaschning: Wenn wir die Umweltschäden der Fossilen nicht mehr länger subventionieren würden, wäre die Lage anders. Bei 200 Euro pro Tonne CO2 bräuchte es keine EEG-Förderung. Bis dahin muss die Subvention von Kohle und Gas durch das EEG ausgeglichen werden.


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