Insbesondere die CO2-Minderungsziele 2030 für die Energiewirtschaft wurden spürbar angehoben. Der Energiesektor soll danach im Jahr 2030 nur noch 108 statt 175 Mio. t CO2 emittieren dürfen, die Industrie nunmehr 118 statt 140 Mio. t CO2. Die Verringerung des CO2-Budgets der Energiewirtschaft im Vergleich zur bisher vorgesehenen Emissionsmenge beträgt damit knapp 40 Prozent, die der Industrie etwa 16 Prozent. Die Verschärfung der Reduktionsziele für die anderen Sektoren fällt deutlich niedriger aus.
Der Energiewirtschaft im Allgemeinen und der Stromwirtschaft im Besonderen kommt demzufolge eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der Klimaschutzziele zu. Es ist absehbar, dass unter diesen Rahmenbedingungen der beschlossene Kohleausstieg 2038 Makulatur ist. Zum Leidwesen der Betreiber von Kohlekraftwerken notiert auch der EU ETS CO2-Preis seit geraumer Zeit stabil über 50 €/t CO2. Insgesamt also eher trübe Aussichten für Kohleverstromer. Doch wo Schatten ist, da ist auch Licht und es gibt gleichzeitig natürlich Profiteure dieser Entwicklungen.
Basierend auf aktuellen Einschätzungen zur Strommarktentwicklung in Kombination mit unterschiedlichen Erwartungswerten zum Kohleausstieg sowie zur Entwicklung des EU ETS CO2-Preises, haben die Energieökonomen der enervis energy advisors GmbH die langfristige Strompreis- und Strommarktentwicklung am deutschen Großhandelsmarkt prognostiziert und analysiert.
„Unsere Strommarktmodellierungen zeigen, dass ein Kohleausstieg bereits bis 2030 in Verbindung mit EU ETS CO2-Preisen größer 65 €/t CO2 in 2030 nicht nur das Strompreisniveau am Großhandelsmarkt unter fundamentalen Gesichtspunkten steigen lässt. Eine direkte Konsequenz sind zudem spürbar abnehmende CO2-Emissionen der Stromerzeugung. Der Ausstoß von Kohlendioxid des Kraftwerksparks reduziert sich auf deutlich unter 100 Mio. t CO2 in 2030.“ so Mirko Schlossarczyk, Partner und Strommarktexperte der enervis.
Gleichzeitig steigt allerdings die Stromnachfrage bis 2030 signifikant. Die voranschreitende Dekarbonisierung und Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors sowie der Industrie und der Markthochlauf von Wasserstoff resultiert in neuen Herausforderungen. Es folgt die Notwendigkeit eines zügigen Ausbaus der erneuerbaren Energien, der deutlich über die derzeitigen Ausbaupfade hinausgehen muss. Auch für Gaskraftwerke brechen neue Zeiten an. Ein Zubau neuer gasgefeuerter Erzeugungsanlagen rückt bereits deutlich vor 2030 ins Blickfeld.
Die skizzierten Annahmen führen schon in 2030 zu einem höheren Bedarf an Gaskraftwerken. „Die vielzitierte Brückentechnologie Gas könnte in diesem Umfeld eine Renaissance erleben.“ so Mirko Schlossarczyk weiter.
Erwartbar sind zudem höhere Marktwerte Wind Onshore und PV, da sich - bei ansonsten vergleichbaren Szenarioprämissen - ein höherer EU ETS CO2-Preis bei gleichzeitigem Kohleausstieg 2030 erhöhend auf den Strompreis und in der Konsequenz auch positiv auf die Erlösoptionen Erneuerbarer auswirkt. Für die Stützjahre um 2030 und 2035 lassen sich durchaus Steigerungen des Marktwertes von 15 bis 20 Prozent gegenüber einem Vergleichsszenario mit Kohleausstieg 2038 und moderaterem CO2-Preisniveau ableiten.
Demzufolge wird das Preislevel am EU ETS in den kommenden Jahren einer der zentralen Treiber des künftigen Strompreisniveaus sowie der strukturellen Veränderungen am Strommarkt sein und spielt demzufolge eine wesentliche Rolle bei der Profitabilität und Bewertung der verschiedenen Erzeugungstechnologien.
Insbesondere für Kohlekraftwerke, neue Gaskraftwerke und EE-Anlagen könnten sich bei einem dauerhaft hohen CO2-Preis und einem zunehmend kohleunfreundlichen regulatorischen Umfeld strategische Fragestellungen wie Weiterbetrieb, Investitionsstrategien und das Gebotsverhalten in den jeweiligen Auktionen (u.a. Stilllegung bei Steinkohle, Zubau bei EE) neu stellen.