„Windpark-Projektierer sehen sich immer wieder durch Klagen ausgebremst. In rund 70 Prozent der Fälle bringen die Kläger dabei Naturschutzbelange vor, etwa die Hälfte davon wegen Vögeln oder Fledermäusen. Mit unserem KI-gestützten System können die Unternehmen sehr effizient hochwertige, aussagekräftige Gutachten zur Artenpopulation erstellen. Das mindert nicht nur ihren Zeit- und Kostenaufwand, sondern steigert auch die Rechtssicherheit – ein großer Vorteil mit Blick auf die Genehmigungsverfahren wie auf mögliche Klagen“, erklärt Projektleiter Dr. Christoph Scholz vom Fraunhofer IEE, der zugleich auch für die Universität Kassel tätig ist.

Das Fraunhofer IEE arbeitet bei dem Vorhaben namens „Deep Bird Detect“ (DBD) neben der Universität Kassel auch mit der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, der TU Chemnitz sowie mehreren Partnern aus der Praxis zusammen. Das zu Jahresbeginn gestartete Forschungsprojekt hat eine Laufzeit von drei Jahren. Das Bundesumweltministerium (BMUV) fördert die Entwicklung des Systems mit knapp zwei Millionen Euro im Rahmen seiner Initiative "KI-Leuchttürme für Umwelt, Klima, Natur und Ressourcen", um mit Künstlicher Intelligenz ökologischen Herausforderungen zu begegnen.  

Manuelle Auswertung kostet sehr viel Zeit

Auch wenn die vom Naturschutzrecht geforderten Gutachten Aufwand verursachen, sind sie doch grundsätzlich sehr sinnvoll: Sie schützen windkraftsensible gefährdete Arten – und verschaffen den Projektierern eine rechtliche Absicherung.

Diese Gutachten werden heute üblicherweise von Ornithologie-Experten erstellt, die oftmals mit Tonaufzeichnungen aus dem Planungsgebiet arbeiten. Das Abhören der Aufnahmen kostet allerdings sehr viel Zeit, so dass die Ergebnisse nicht selten erst nach mehreren Monaten oder sogar Jahren vorliegen. Erschwerend kommt hinzu, dass es nur wenig Fachleute gibt, die diese Aufgabe übernehmen können. Damit werden die Artenschutzgutachten zu einem Flaschenhals der Genehmigungsverfahren.

Ein weiterer Nachteil der manuellen Analyse ist, dass sie nicht immer alle Audiosignale der Tiere erfasst – der Aufwand für eine lückenlose Auswertung wäre viel zu groß. Die Prüfung erfolgt nur stichpunktartig, so dass manche Arten möglicherweise verborgen bleiben. Das macht Gutachten rechtlich angreifbar.

Lückenlose Analyse der Audiosignale

Das vom Fraunhofer IEE und seinen Partnern zu entwickelnde automatisierte KI-System wertet die Signale dagegen vollständig aus. Damit liefert es quantitativ wie qualitativ ausreichende Daten, um die Auswirkungen der mit dem Bau eines Windparks verbundenen Eingriffe in die Natur fachgerecht beurteilen zu können. „Die Daten sind eindeutig nachvollziehbar, was für zusätzliche Rechtssicherheit sorgt“, betont Projektleiter Scholz.

Die einheitliche Erfassungsmethodik des „Deep Bird Detect“-Systems macht es zudem möglich, Vergleiche zu anderen Ökosystemen zu ziehen. Das gibt Aufschluss über langfristige Entwicklungen auf diesen Flächen. So wird es gar möglich, ein ganzes Monitoring-Netzwerk einzurichten, mit dem sich automatisiert und frühzeitig geografische artspezifische Veränderungen erkennen lassen.

Auch wollen die Forscher die DBD-Methodik so gestalten, dass es sich auf weitere Artengruppen wie Fledermäuse, Amphibien oder Insekten übertragen lässt, um die Inventur der Ökosysteme noch breiter anzulegen. Ebenso soll das System für andere Anwendungsfälle genutzt werden können, etwa für die Projektierung von großen Gebäuden oder Verkehrswegen.

Echtzeit-Verarbeitung auf den Erfassungsgeräten

Aufgezeichnet werden die Signale von kompakten, robusten Rekordern, die von Solarzellen mit Energie versorgt werden. Da sie autark arbeiten und sehr wartungsarm sind, bedeutet die Erfassung für die Vögel und andere Tiere auf den Flächen so gut wie keine Störung.

Auf diesen Geräten erfolgt auch die automatisierte Echtzeit-Auswertung der Signale. Dabei setzt das Projektteam Deep-Learning-Verfahren wie FewShot Learning, Contrastive Learning und Active Learning ein. Diese Methoden entwickeln die Forscher so weiter, dass sie die Anforderung der Edge-Computing-Geräte erfüllen. „Im Kern geht es in unserem Projekt aus technischer Sicht darum, existierende Technologien und Verfahren auf ein Feld zu übertragen, das bislang noch nicht mit KI adressiert wurde“, sagt Prof. Dr. Sven Tomforde von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Um den Einsatz der KI für alle an der Planung und Genehmigung beteiligten Akteure transparent und nachvollziehbar zu machen, wollen die Wissenschaftler zudem für die Darstellung der Ergebnisse eine leicht verständliche App entwickeln.

„Um die Energiewende- und Klimaschutzziele zu erreichen, muss der Ausbau der Windenergie deutlich beschleunigt werden. Dazu wollen wir mit unserem Forschungsprojekt beitragen: Wir machen das Erstellen der Gutachten deutlich effizienter, steigern die Rechtssicherheit – und bringen mit der besseren Erfassung zugleich auch den Naturschutz voran“, erklärt Scholz.

Quelle: Fraunhofer IEE

 


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