Der Hintergrund: Klage gegen immissionsschutzrechtliche Genehmigung von Windenergieanlagen
Dem Beschluss vom 28. Juli 2022 (BVerwG 7 B 15.21) lag die Klage eines Grundstückseigentümers zugrunde, der sich gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von drei 1000m bzw. 1250m entfernten Windenergieanlagen wendete.
Im Kern ging es um die Fragen, unter welchen Voraussetzungen das Tatsachengericht zur Einholung ergänzender Gutachten verpflichtet ist und welche Auswirkungen einer Veränderung der Sach- und Rechtslage nach der behördlichen Genehmigung zukommen.
BVerwG: Die wichtigsten Leitsätze im Überblick
Insgesamt hat das BVerwG überwiegend zugunsten der Windenergiebranche und damit pro Energiewende entschieden. Die wichtigsten Leitsätze:
- Nach Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage sind Änderungen der Sach- und Rechtslage zugunsten des Anlagenbetreibers - im Gegensatz zu solchen zu seinen Lasten - zu berücksichtigen.
- Die Auslegung einer raumordnenden Zielfestsetzung durch das Tatsachengericht, die in einem nach Landesplanungsrecht beschlossenen Landesentwicklungsplan enthalten ist und Begriffe der Baunutzungsverordnung verwendet, ist nicht revisibel.
- Eine entsprechende Anwendung von § 412 ZPO ist angezeigt, wenn ein Gutachten einem behördlich veranlassten Gutachten gleichzustellen ist. Dies ist insbesondere bei komplexen Verfahren mit umweltrechtlichem Einschlag der Fall.
Neu: Günstigkeitsprinzip im Immissionsschutzrecht allgemein anerkannt
Die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt zwei für Projektierer:innen und Betreiber:innen erfreuliche Rechtssätze. Zum einen finden nachträglichen Änderungen der Sach- und Rechtslage keine Berücksichtigung zu Lasten der Anlagenbetreiber:innen. Änderungen zugunsten der Betreiberinnen und Betreiber müssen jedoch beachtet werden. Dieses sog. Günstigkeitsprinzip fand zuvor im Rahmen des Immissionsschutzrechts nur in Einzelfällen wie dem Artenschutzrecht Anerkennung – beispielsweise im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.09.2019, 7 C 5.18. Die jetzt im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ausformulierte Allgemeingültigkeit des so wichtigen Rechtssatzes bringt somit Rechtsklarheit.
Gleiches gilt für die Bestätigung der hohen Maßstäbe für eine Verpflichtung von Gerichten zur ergänzenden Einholung zusätzlicher Gutachten. Diesbezüglich können sich Gerichte umfassend auf Gutachten aus dem behördlichen Verwaltungsverfahren stützen. Eine Verpflichtung, das hebt das Gericht ausdrücklich hervor, folgt nicht schon daraus, dass ein Beteiligter diese als Erkenntnisquelle für unzureichend hält.
Alles in allem bestätigt das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil wichtige Rechtssätze zugunsten von Projektierer:innen und Betreiber:innen von Windenergieanlagen. Im Fall der Bestätigung der hohen Hürden für eine ergänzende Einholung von Gutachten vor Gericht ist zu hoffen, dass dies nur zur Minderung von Verfahrenskosten führt, sondern auch einer Beschleunigung des Verfahrens zuträglich ist.