Klagen gegen Genehmigungen machen Branchenunternehmen das Leben schwer, der häufigste Klagegrund ist im Artenschutz verortet. Welche Erfahrungen machen Sie in Ihrer juristischen Beratungspraxis hinsichtlich Klagegründe, Erfolgschancen sowie Gesprächsbereitschaft der klagenden Parteien?

Christoph Brand: Klagen gegen Genehmigungen von Windenergieanlagen durch Anwohner, Gemeinden und auch Naturschutzverbände sind im Grunde genommen kein neues Phänomen. Seit Jahren werden immissionsschutzrechtliche Genehmigungen für Windenergieanlagen vor den Verwaltungsgerichten auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft. Bis vor wenigen Jahren war der Ausgang dieser Verfahren sehr gut vorherzusagen und damit das Risiko dieser Klageverfahren überschaubar. Aufgrund von Änderungen im Umweltrechtsbehelfsgesetz und der Abschaffung der Präklusionsregelungen als Folge der Rechtsprechung des EuGH sind die Risiken für den Bestand von erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen massiv gestiegen. Beispielsweise führte die Abschaffung der Präklusionsregelungen dazu, dass Umweltverbände nicht bereits während der öffentlichen Auslegung im Genehmigungsverfahren tätig werden müssen, um sich ein Klagerecht zu erhalten, sondern Klagen gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung sind auch dann zulässig, wenn sich der klagewillige Verband im gesamten Verfahren mit seinen Bedenken nicht geäußert hat. Die hieraus resultierenden Risiken für den Bestand der Genehmigung haben dazu geführt, dass beklagte Genehmigungen immer schwieriger umzusetzen sind, z. B. weil die Vorhabenträger das Risiko scheuen oder aber schon keine Finanzierung mehr zu erlangen ist.

Viele der eingeleiteten Klagen betreffen auch Fragen des Artenschutzrechts, obwohl etwa bei Klagen von Anwohnern oder Gemeinden regelmäßig andere Gründe als die Sorge um den Naturschutz den Widerstand gegen die Windkraftanlagen ausgelöst haben. Insoweit wird der Artenschutz häufig leider instrumentalisiert und dieses aufgrund der Änderungen, unter anderem im Umweltrechtsbehelfsgesetz, nicht selten ohne Erfolg. Zwar ist der Artenschutz nicht per se drittschützend, d.h. Nachbarn können sich hierauf eigentlich gar nicht berufen, doch können Nachbarn - genauso wie Umweltverbände - geltend machen, dass in einem Genehmigungsverfahren eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Behauptet wird in diesem Zusammenhang dann, dass die Kartierungen der Fledermaus- und Vogelwelt unzureichend erfolgt seien und dementsprechend das Vorliegen artenschutzrechtlicher Verbote nicht ausreichend ausgeschlossen werden können. Die Gerichte sind dann dazu berufen, zu prüfen, ob tatsächlich Fehler bei der Umweltverträglichkeitsprüfung oder den zugrundeliegenden Kartierungen gemacht wurden. Da gleichzeitig die Anforderungen an solche Prüfungen durch die Gerichte immer weiter erhöht wurden, erfüllen immer mehr - und vor allen Dingen ältere - Genehmigungen die neuen Anforderungen der Rechtsprechung nicht und werden von den Gerichten außer Vollzug gesetzt oder schlimmstenfalls sogar aufgehoben.

Ob tatsächlich artenschutzrechtliche Verbote verwirklicht sind oder nicht, wird in vielen Fällen gar nicht entschieden. Die Genehmigungen scheitern schon an formalen Anforderungen, z.B. bei den Kartierungsumfängen, d.h. der Anzahl der notwendigen Kartiertage und Stunden, und nicht an echten inhaltlichen Mängeln des Genehmigungsbescheides. Dass tatsächlich Windenergieanlagen im Hinblick auf den Schallschutz oder sonstige „echte“ nachbarschützende Vorschriften fehlerhaft erteilt werden, kommt praktisch nie vor. Die Genehmigungen werden also nicht wegen eines echten Verstoßes gegen nachbarschützende Vorschriften als rechtswidrig erkannt, sondern vielmehr wegen eines Verstoßes gegen reine Verfahrensvorschriften. Obwohl also ein Nachbar durch eine in der Nähe seines Wohnhauses genehmigte Windenergieanlage nicht unzulässig in seinen Rechten betroffen ist, kann er gleichwohl Erfolg vor den Verwaltungsgerichten haben. Dieses beruht auf dem Paradigmenwechsel, nach dem es für einen Klageerfolg eines Nachbarn nicht mehr darauf ankommt, ob die Rechtswidrigkeit einer Genehmigung auch in nachbarschützende Rechte eingreift, sondern vielmehr darauf, ob auf dem Weg zur Genehmigungserteilung alle formalen Vorgaben eingehalten worden sind oder nicht. Dieses Ergebnis ist für viele Projektierer verständlicherweise mehr als unbefriedigend. Wegen der durch die Gesetzgebung und der darauf basierenden Rechtsprechung immer größer gewordenen Risiken werden mittlerweile im vorauseilenden Gehorsam Genehmigungen z.B. mit massiven Abschaltzeiten zum Schutz von Feldlerchen, Mäusebussarden und anderen Allerwelts-Vogelarten versehen und mit den Umweltverbänden Vereinbarungen geschlossen, um ja den Rechtsweg nicht mehr beschreiten zu müssen. All das passiert, weil die Ergebnisse der Klageverfahren schlicht nicht mehr vorhersehbar sind. Die gesamte Entwicklung hat dazu geführt, dass gegen immer mehr Genehmigungen durch immer mehr Umweltverbände und Nachbarn vorgegangen wird und die Erfolgsaussichten für die Kläger immer größer geworden sind. Dieses wiederum führt dazu, dass Vorhabenträger sich dazu entschließen, mit den Umweltverbänden oder Nachbarn teure Vergleiche zu schließen, um Entscheidungen der Gerichte zu verhindern. Nur hierdurch lassen sich die Risiken in vielen Projekten noch begrenzen. Letztendlich haben die Änderungen in den Gesetzen und in der Rechtsprechung in den letzten 2 bis 3 Jahren zu einer erheblichen Verunsicherung bei Planern und Banken geführt. Kaum eine Genehmigung wird nicht angefochten. Jede angefochtene Genehmigung ist potentiell mit dem Risiko der Aufhebung behaftet. Dieses wiederum bremst massiv die Investitionsbereitschaft von Vorhabenträgern und Banken und damit den Ausbau insgesamt.

Immer wieder wird die artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung als Lösung für die Vereinbarkeit von Artenschutz und Windenergieausbau angeführt. Welche Bedeutung messen Sie der Ausnahmemöglichkeit in Zukunft bei und welche praktischen Hinweise haben Sie für Projektierer, die eine Ausnahmegenehmigung erlangen wollen?

Christoph Brand: Die artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 7 Satz 2 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) ist nach meiner Erfahrung bisher kein brauchbarer Ansatz für die Lösung artenschutzrechtlicher Probleme. Dieses ist unter anderem darin begründet, dass die Voraussetzungen für eine artenschutzrechtliche Ausnahme nur sehr unklar im Gesetz definiert sind. Zudem gibt es gewichtige Stimmen in der Literatur, die die Europarechtskonformität der Ausnahmevorschrift insgesamt bezweifeln. Auch die im Rahmen der Ausnahmeprüfung vorgeschriebene Prüfung auf das Nichtvorhandensein zumutbarer Alternativen ist schwierig - genauso wie der erforderliche Nachweis, dass sich auch nach Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme der Erhaltungszustand der Populationen einer Art nicht verschlechtert. Darüber hinaus sind die formalen Anforderungen an die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung sehr hoch. So hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht schon in mehreren Entscheidungen artenschutzrechtliche Ausnahmen alleine aus formalen Gründen für rechtswidrig gehalten. Die Erfüllung der Anforderungen an die artenschutzrechtliche Prüfung bei der Genehmigung von Windenergieanlagen ist derzeit damit kaum machbar. Eine rechtssichere Ausnahmegenehmigung zu erlangen, ist auf Basis der bisherigen Rechtsprechung und der Gesetzeslage kaum möglich. Entscheidend ist die artenschutzrechtliche Ausnahme regelmäßig in den Fällen, in denen sich bei einem geplanten Vorhaben das prognostizierte Tötungsrisiko für eine geschützte Art voraussichtlich nicht unter die Signifikanzschwelle bringen lässt.

Regelmäßig empfehlen wir im konkreten Genehmigungsverfahren dem Projektierer alles dafür zu tun, um bei der Ausgestaltung eines Vorhabens unterhalb der Signifikanzschwelle zu bleiben, um gar nicht in die Verlegenheit zu geraten, eine artenschutzrechtliche Ausnahme zu benötigen. Hierbei ist es ganz wichtig, die Genehmigungsbehörde davon zu überzeugen, dass nicht jegliches Risiko für eine Tierart als signifikant anzusehen ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat deutlich gemacht, dass die Existenz von Verkehrswegen, Hochspannungsleitungen und auch Windenergieanlagen, bereits zum Grundrisiko der häufig betroffenen Arten gehört. Eine signifikante Erhöhung muss also dieses Grundrisiko tatsächlich maßgeblich erhöhen, um von der Verwirklichung des Tötungstatbestandes ausgehen zu können. Hier wird aus meiner Erfahrung heraus viel zu früh das Tötungsverbot als gegeben angesehen, weil ja die Ausnahmemöglichkeit besteht. Ich kann nur davor warnen, vorschnell die Verwirklichung der artenschutzrechtlichen Verbote anzunehmen, weil ja vermeintlich die Ausnahmemöglichkeit besteht. Spätestens wenn ein Umweltverband die letztendlich auf Basis der Ausnahmegenehmigung erteilte Genehmigung gerichtlich überprüfen lässt, rächt sich dieses Vorgehen häufig, weil die artenschutzrechtlichen Genehmigungen den sehr hohen Anforderungen des Gesetzes und der europäischen Richtlinien und auch der Gerichtsbarkeit nicht entsprechen.

Ohne handhabbare Änderungen im Artenschutzrecht oder in den Leitfäden der Bundesländer zur Anwendung der Ausnahmegenehmigung oder auch durch eine allgemeine Rechtsverordnung gemäß § 45 Abs. 7 Satz 4 BNatSchG über generelle Ausnahmen zugunsten von Windenergieanlagen, ist das Risiko der Aufhebung von Genehmigungen kaum in den Griff zu bekommen.

In Deutschlands Windland Nummer 1 Niedersachsen hat der Prozess zur Überarbeitung und Evaluation des Windenergieerlasses und des Artenschutzleitfadens begonnen. Welche wichtigsten Neuerungen und Änderungen müssen aus Ihrer Sicht in den beiden Regelwerken festgeschrieben werden, damit diese eine gute Grundlage für einen starken Ausbau in den kommenden Jahren bilden?

Christoph Brand: Der Niedersächsische Umweltminister Olaf Lies hat angekündigt, dass durch die Fortschreibung des Windenergieerlasses und des Artenschutzleitfadens unnötige Genehmigungshemmnisse beseitigt bzw. entschärft werden sollen. Dieses ist sehr zu begrüßen und auch elementar notwendig. Die Ausgestaltung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren ist von Genehmigungsbehörde zu Genehmigungsbehörde sehr unterschiedlich und für Planer und Projektierer schwer vorhersehbar. Dementsprechend wären umsetzbare Anleitungen an die Genehmigungsbehörden durch den Erlass für alle Beteiligten von großem Wert. Insbesondere nach der Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 28.06.2019, das dem Erlass eine maßgebliche Bedeutung beigemessen hat, kann die Fortschreibung des Erlasses und des Artenschutzleitfadens in ihrer Wichtigkeit gar nicht überschätzt werden. Wenn Sie danach fragen, welche Änderungen ich für notwendig halte, kann ich nur betonen, dass es von herausragender Bedeutung ist, schon im Leitfaden - und bestmöglich auch im Naturschutzgesetz - klarzustellen, dass die Windenergie eine wesentliche Säule für das Klima und damit auch für den Artenschutz darstellt. Klimaschutz ist Artenschutz. Zudem sollten den Städten und Gemeinden klare Zielvorgaben für die Darstellung von Windvorrangflächen von mindestens 2,5 % der jeweiligen Gebietsfläche innerhalb von drei Jahren gemacht werden. Zudem sollte eine Zielvorgabe von 30 bis 50 GW formuliert und diese für verbindlich erklärt werden. Im Hinblick auf die oben genannte artenschutzrechtliche Ausnahme sollten ganz klare Vorgaben formuliert werden, unter welchen Voraussetzungen diese erteilt werden können. Zudem ist es wünschenswert, wenn der Niedersächsische Erlass und/oder der Gesetzgeber generelle artenschutzrechtliche Ausnahmen für alle Windenergieanlagen in ausgewiesenen Windvorrangzonen erteilt, um zu verhindern, dass schon in einem langwierigen Verfahren ermittelte Flächen im Ergebnis dann doch nicht mit Windkraftanlagen bebaut werden können. Weiterhin sollte ein Repowering auch außerhalb von Konzentrationszonen stehender Windkraftanlagen ermöglicht werden, z.B. in der Art und Weise, dass in einem Landkreis eine moderne Windenergieanlage drei ältere ersetzen darf, wenn insgesamt die elektrische Leistung dabei z.B. verdoppelt wird. Zudem sollte Nutzwald, insbesondere Nadelholzkulturen, uneingeschränkt für die Nutzung durch Windkraftanlagen freigegeben werden. Die Höhe der Ersatzgeldzahlungen sollte bei Windkraftanlagen wegen der vielfältigen positiven Wirkungen auf die Umwelt auf maximal 3 % der Investitionskosten begrenzt werden. Die im Gesetz vorgesehene Maximalgrenze von 7 % für etwa Fernstraßenprojekte etc. darf für Windkraftanlagen nicht zur Anwendung kommen.

Im Artenschutzleitfaden sollte die Liste der betroffenen Arten auf wirklich windkraftsensible und bedeutsame Arten beschränkt werden. Arten wie Ortolane, Feldlerchen oder Bussarde sind aus der Liste zu streichen. Zudem sollte klargestellt werden, dass nur die benannten Arten im konkreten Genehmigungsverfahren relevant sind. Die Öffnungsklausel für weitere Arten sollte gestrichen werden. Auch wünsche ich mir, dass zukünftig auf bodengestützte Kartierungen von Fledermäusen im Vorfeld von Genehmigungsverfahren verzichtet wird. Angesichts der mittlerweile erreichten Höhe der Rotoren ist die Aussagekraft von bodengestützten Kartierungen im Vorfeld von Genehmigungen sehr gering. Ohnehin werden Genehmigungen mittlerweile ausschließlich mit erheblichen Abschaltzeiten und einem mindestens zwei Jahre dauernden betriebsbegleitenden Fledermaus-Monitoring erteilt. Die zuvor durchgeführten bodengestützten Kartierungen sind demgegenüber lediglich zeitraubend und teuer, ohne dass hieraus für die konkreten Genehmigungsverfahren relevante Erkenntnisse abgeleitet werden könnten. Darüber hinaus sollte die Dauer der Kartierungen der Avifauna auf umsetzbare Zeiträume von z.B. einem Jahr beschränkt werden. Sofern in diesen Kartierungen bestimmte Arten nicht angetroffen wurden, muss im konkreten Genehmigungsverfahren gelten, dass diese nicht relevant sind. Im Zweifel und bei einem vertretbaren Ergebnis ist zu genehmigen. Darüber hinaus muss die artenschutzrechtliche Ausnahme handhabbar gemacht werden, sofern nicht ohnehin eine landesweite Regelung gemäß der oben genannten Vorgabe erfolgt. Weiterhin sollte im Falle der Verwirklichung des artenschutzrechtlichen Tötungsverbots der Einsatz kamera- und radargestützter Vogelerfassungssystemen nebst Anlagenabschaltung als wirksames Mittel zum Ausschluss des Tötungstatbestands anerkannt und zum regulären Instrumentarium zur Schaffung der Genehmigungsfähigkeit von Windenergieanlagen erklärt werden. Bei Anwendung solcher Systeme dürfen Raumnutzungsanalysen nicht noch gesondert gefordert werden. Mit diesen und einigen weiteren Maßnahmen könnte der Ausbau der Windenergie wieder gelingen.

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Vielen Dank für das Gespräch!