Die Windenergiebranche ist somit in einer noch ungewohnten Aufbruchstimmung. In der Eröffnungsbilanz des erweiterten und grün geführten Ministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) am 11. Januar hat Minister Habeck ehrgeizige Zahlen vorgestellt, bei denen sich manche die Augen rieben: Ein Zubau von knapp 70 Gigawatt brutto Wind an Land (s. Abb.) soll bis 2030 erreicht werden. Das ist mehr als eine Verdoppelung der Bestandskapazitäten in nur acht Jahren.

Schon im kommenden Jahr sollen fünf Gigawatt Zubau erreicht werden, um dann in großen Schritten 2027 und in den beiden Folgejahren bei einem jährlichen Zubau von zehn Gigawatt zu landen. Endlich hat sich auch im Ministerium die Einsicht durchgesetzt, dass der Stromsektor künftig auch wachsende Bedarfe aus dem Wärme- und Verkehrsbereich (E-Autos, Wärmepumpen) schultern muss und bis 2030 bei einem Brutto-strombedarf von 680 bis 750 TWh im Jahr landen wird (Koalitionsvertrag; zum Vergleich BEE-Szenario: 745 TWh).

 

Doch bevor Hersteller ihre Werke erweitern und Planungsbüros Überstunden schieben, müssen zahlreiche Bremsen und Blockaden der vergangenen Jahre gelöst werden. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Wir machen es zu unserer gemeinsamen Mission, den Ausbau der Erneuerbaren Energien drastisch zu beschleunigen und alle Hürden und Hemmnisse aus dem Weg zu räumen.“ Ein wichtiges Instrument, das den Erneuerbaren die Fesseln lösen soll, heißt: Vorrang bei der Schutzgüterabwägung. Das bedeutet zum Beispiel für den Denkmalschutz, dass sowohl auf Planungs- als auch Genehmigungsebene stärker zugunsten der Windenergie entschieden werden müsste. Auch beim Artenschutz könnte das Erleichterung bringen, was nicht heißen wird, dass Artenschutz nicht mehr wichtig ist. Im Gegen-teil: Es wird möglicherweise genauer hingeschaut, wo die eigentlichen Gefahren für Artenschutz liegen. Vielleicht birgt dies die Chance, dass mit den hartnäckigen Fake News, Windenergie würde den Artenschutz beein-trächtigen, endlich aufgeräumt werden kann.

Zwei Gesetzespakete sollen noch in diesem Jahr Grundlagen schaffen: Ein sogenanntes Osterpaket, das vor allem eine EEG-Novelle beinhaltet, soll noch vor Ostern im Kabinett beschlossen werden und bis zur Som-merpause abgeschlossen sein. Für das EEG hat der BWE bereits konkrete Vorschläge erarbeitet. Hier fordert der BWE die Anpassung des Ausschrei-bungsvolumens, die Streichung der endogenen Mengensteuerung und mehr Ausschreibungsrunden im Jahr. Das EU-Recht macht neuerdings für Projekte bis 18 Megawatt den Weg außerhalb von Ausschreibungen frei, was Bürgerenergie und Akzeptanz vor Ort zugutekommen soll. Dazu schlägt der BWE eine konkrete Definition für Bürgerenergie vor. Das ist ein sensibles Thema, damit man nicht mit Trickserei an die Vorteile kommt, sondern Bürgerenergie wirklich vor Ort verankert ist.

Das Paket für den Sommer

Ein sogenanntes Sommerpaket wird auch bereits vorbereitet, im Sommer in die Beratungen gehen und bis Jahresende beschlossen sein. Es wird für die Windenergiebranche noch deutlich wichtigere Schritte hinsichtlich Planung, Genehmigung und Artenschutz beinhalten. Letzteres erfordert eine enge Abstimmung mit dem Umweltministerium, das mit Ministerin Lemke ebenfalls in grünen Händen ist.

Noch ist nicht zu hundert Prozent klar, welche Gesetze (außer dem EEG) angepackt werden. Ausdrücklich genannt wird ein neues Wind-an-Land-Gesetz, das zwei Prozent des Landesfläche für Windenergie reservieren, zügigere Planungs- und Genehmigungsverfahren ermöglichen und den Umgang mit dem Artenschutz regeln soll. Es würde vermutlich Regelun-gen im Baugesetzbuch (Flächen und Abstände), Bundesimmissionsschutz-gesetz (Genehmigungen) und im Bundesnaturschutzgesetz (Artenschutz) bündeln. Repowering muss noch stärker als Möglichkeit gesehen werden, an akzeptierten Standorten die Windenergie zu boostern und neue Kapa-zitäten aufzubauen, gerade auch dafür sollten die Hürden schnell fallen.

Auch eine neue Gesprächskultur hat begonnen, die der BWE sehr begrüßt. Bereits im Januar hat das BMWK ein erstes Gespräch mit den Verbänden geführt. Es folgen Workshops im Vorfeld der Gesetzesvorha-ben zu einzelnen Themenblöcken. Im BWE wurden und werden auf der Grundlage des Aktionsplans für die 20. Legislaturperiode zusammen mit den Gremien Umsetzungsvorschläge erarbeitet, um der Bundesregierung detaillierte Empfehlungen oft mit konkreter gesetzlicher Ausgestaltung vorzulegen. Die Pandemie, die derzeit alle Treffen sowieso digital statt-finden lässt, hat hier fast ungewollt dazu geführt, dass permanent von einem Video-Meeting zum nächsten umgeschaltet werden muss: Vom Artenschutz zur Flächenbereitstellung, zu Tiefflugstrecken der Bundeswehr und wieder zurück. Auch das beschleunigt den Prozess und gewährleistet eine größtmögliche Anbindung der Gesetzesvorhaben an die Praxis.

Die große Transformation, die nun angegangen wird, ist nur zu schaffen, wenn dafür nicht Teile der Gesellschaft das Nachsehen haben. Es ist zum einen wichtig, dass Bund, Länder und Kommunen dieses Projekt als etwas Gemeinsames begreifen, bei dem bestmöglich zusammen gearbeitet werden sollte. Zum anderen ist dieser Umbau ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, bei dem es auch auf eine verantwortungsbewusste Vorgehenswei-se und eine sorgfältige und gute Kommunikation ankommt. Der BWE wird als starker Verband daran mitwirken, dass diese Aufgabe gelingt.

Überall werden also die Ärmel hochgekrempelt. Die Branche steht mehr als bisher in der Pflicht, zu liefern, was sie versprochen hat und von ihr erwartet wird. Über die dafür notwendigen Bedingungen steht der BWE nicht nur in einem regelmäßigen und partnerschaftlichen Austausch mit den zuständigen Ministerien, sondern auch dem Bundestag. Schnelle Erfolge sind gewünscht, denn jede Bundesregierung wird spätestens im Wahljahr mit der Bilanz ihrer Arbeit konfrontiert. Damit es dann heißt
„Mission accomplished“ (Mission erfüllt) ist es noch ein langer Weg. Aber die ersten Schritte sind getan.

Dieser Beitrag wurde erstmals im BetreiberBrief 1-2022 veröffentlicht. 


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