Um in größere Meerestiefen vordringen zu entwickeln immer mehr Hersteller Modelle für die schwimmende Windkraft. Das norddeutsche können, Ingenieurunternehmen Aerodyn und der Energieriese EnBW reihten sich 2020 mit einem neuen Design in die Floating-Entwicklung ein. Der ungewöhnliche Ansatz der „Nezzy2“: Die Anlage besteht aus zwei Rotoren, die an Y-förmig gespreizten Türmen auf einem gemeinsamen Fundament montiert sind. Das Fundament der für den Offshore-Einsatz geplanten Anlage liegt zum größten Teil unter Wasser. An einem Betonfundament in Form eines liegenden Y, das geflutet wird, sind drei Auftriebskörper sowie der Mast für die Rotoren angebracht. Stahlseile verankern die Konstruktion im Meeresboden. Die Vorteile des Designs: Das schwimmende Fundament richtet sich von selbst nach der Windrichtung aus. Dass die Anlagen
weniger hoch sind als herkömmliche Windräder, sehen die Konstrukteure als Vorteil. Das Modell liege somit stabiler im Wasser.

15 Megawatt, halb tauchend

Zunächst hatte Aerodyn ein 18 Meter hohes Modell der Anlage im Maßstab 1:10 in einem Baggersee bei Bremerhaven getestet. Die Ingenieure verglichen den Betrieb mit zwei- und dreiflügeligen Rotoren. Im vergangenen Herbst wurde die Anlage dann zwei Monate lang im Greifswalder Bodden erprobt, 650 Meter vor dem Hafen von Vierow. 180 Sensoren maßen, wie sich die Anlage bei Wind und Wellengang verhielt. Eine Sturmflut im Oktober kam wie bestellt: „Wir konnten eineinhalb Tage beobachten, wie Nezzy2 unter extremen Wetterbedingungen stabil im Wasser lag“, sagt Aerodyn-Geschäftsführer Sönke Siegfriedsen. Das Modell hielt Wellen stand, die umgerechnet auf die Originalgröße 30 Meter entsprachen. In diesem Jahr wollen Aerodyn und EnBW einen Prototypen in voller Größe bauen – mit 15 MW Leistung. „Wir wollen selbstschwimmende Windkraftanlagen bei unseren internationalen Offshore-Projekten einsetzen. Deshalb freuen wir uns, dass diese Technik jetzt mit unserer Unterstützung weiterentwickelt wird“, sagt Hannah König, Leiterin Wind- und Maritime Technik bei der EnBW. Die Unternehmen haben angekündigt, dass der Prototyp im Maßstab 1:1 bereits Ende 2021 oder Anfang 2022 in China getestet werden soll (mehr zum Thema Offshore siehe S. 121.).

Blitzschutzprüfung ohne Kletterer

Auch beim Blitzschutz gibt es spannende Fortschritte. Jedes Windrad wird aktuell im Schnitt 0,6–1,0 Mal im Jahr vom Blitz getroffen. Bei 300.000 Blitzeinschlägen, die im Jahr 2019 deutschlandweit registriert wurden (ein vergleichsweise blitzarmes Jahr), ist bei zusätzlichem Anlagen-Ausbau mit einer Häufung von Einschlägen zu rechnen. Um den Blitzschutz gleichzeitig schneller, sicherer und günstiger zu machen, entwickelt die Branche neue Lösungen: Aerones lässt Roboter die Rotorblätter entlangfahren und hat zudem Lückendetektoren entwickelt, Enertrag will Drohnen einsetzen, um elektrische Felder zu messen. Bislang ist vor allem ein Verfahren üblich, bei dem von der Wurzel des Rotorblatts bis zu seiner Spitze der elektrische Widerstand gemessen wird. Dazu muss das Windrad angehalten werden. Zwei Mitarbeiter bringen Mess-Equipment ins Maschinenhaus und teilen sich dann auf: Während ein ServiceMitarbeiter den Rotor in Y-Stellung bringt, seilt sich der andere am Flügel Stück für Stück bis zur Spitze ab, um an jedem Rezeptorpunkt die Leitfähigkeit zu messen. Liegt die Nabe der Anlage über 120 Meter hoch, ist eine dritte Person vorgeschrieben, die den Kletterer absichert – aus gutem Grund, denn je weiter sich der Kletterer abseilt, desto gefährlicher ist der Vorgang. Bereits heute sind viele Flügel 70 bis 80 Meter lang, und bald werden die ersten Anlagen mit 100 Meter langen Rotorblättern stehen. Die Prüfung des Blitzschutzes wird somit immer aufwändiger.

Mehrere Unternehmen haben daher Verfahren entwickelt, die ohne Kletterer auskommen. Die Rigaer Firma Aerones schickt stattdessen Roboter auf die Flügel, die nicht nur Blitzschutzprüfungen, sondern auch kleinere Wartungsarbeiten vornehmen können, etwa Schleif- und Malerarbeiten. Der Roboter wird über eine Winde am Maschinenhaus in die Höhe gezogen, drei am Boden installierte Winden halten ihn in Position. Gesteuert wird er von einem Fahrzeug am Boden aus. Nach Angaben des Herstellers sei das System in einer Stunde aufoder abgebaut. Drohneneinsatz an den Rotorblättern Auch Enertrag will den Kletterer ersetzen. Und zwar durch eine Drohne, die samt Messvorrichtungen an den Rotorblättern entlangfliegt. Auch hier erfolgt die Steuerung vom Boden aus, das aufwändige Abseilen entfällt. Dadurch lassen sich im gleichen Zeitraum mehr Anlagen prüfen und die Stillstandzeiten der Windräder verkürzen sich. Die Innovation, für die Enertrag im vergangenen Jahr ein Patent angemeldet hat, betrifft jedoch nicht die Drohne, sondern ein neues Messverfahren. Die sogenannte berührungslose Blitzschutzmessung macht den Drohneneinsatz erst möglich. „Die größte Veränderung im neuen Verfahren wird der Prüfgegenstand sein. Es wird nicht mehr der Widerstand im Blitzableiter gemessen, sondern ein zuvor erzeugtes elektrisches Feld“, lässt EnertragProkurist Konrad Iffarth verlautbaren. Hierzu wird ein Hochfrequenzsignal von der Wurzel zur Spitze des Rotorblatts gesendet. Das erzeugt entlang der Strecke des Blitzableiters ein elektrisches Feld. Die Drohne, die am Blatt entlangfliegt, misst die Feldstärke. Ist diese zu gering, liegt eine Unterbrechung vor. Durch das berührungslose Verfahren lässt sich sogar lokalisieren, wo der Blitzableiter unterbrochen ist.

Ein zweiter Vorteil besteht laut Enertrag hinsichtlich der genaueren Simulation von Blitzeinschlägen, denn sie verhindere womöglich unnötige und kostspielige Reparaturen. Das Problem bei herkömmlichen Messungen: Bei ihnen erscheinen auch kleine Unterbrechungen als Defekt, die den Blitzschutz aber nicht beeinträchtigen. Die Spannung eines Blitzes ist so stark, dass er viele kleine Lücken und Risse in den Kupferkabeln einfach überspringt. Bei den bisherigen Messungen wird am Blitzableiter eine Spannung von 24 Volt angelegt – zu gering, um die Spannung eines Blitzes zu simulieren. Mit diesem Prüfverfahren werden deshalb Blitzableiter als defekt ausgetauscht, die eigentlich noch Schutz bieten. Hierzu muss das Rotorblatt demontiert werden, was lange Stillstandzeiten mit sich bringt.

Der lettische Anbieter Aerones wiederum hat eine Methode entwickelt, wie sich die Größe kleinerer Unterbrechungen messen lässt. Dazu wird eine parallele Leitung gelegt, in die eine verstellbare Lücke eingebaut ist. Der Tester schickt nun Impulse mit einer Spannung von 100 kV auf die Leitungen.
Die Idee: Die Spannung sucht sich den kürzesten Weg für ihr Abfließen. Ist die künstliche Messlücke kleiner als eine tatsächliche Lücke im Blitzableiter, fließt der Strom über diese Lücke. Durch sukzessives Vergrößern des Abstandes wird irgendwann ein Punkt erreicht, an dem die Spannung nicht mehr in der Testeinheit, sondern über den Blitzableiter abfließt. Auf diese Weise kann der Techniker präzise ermitteln, wie groß die Unterbrechung im Blitzableiter ist.

Bremsen für den Rotmilan

Neue Entwicklungen zeichnen sich auch im Vogelschutz ab. Mittlerweile hat eine Reihe von Herstellern wirksame Systeme zur Erkennung von mittelgroßen und großen Vögeln entwickelt, die dann entweder die Rotoren bremsen (ereignisbezogene Abschaltung) oder die Vögel mit Lärm vertreiben (ereignisbezogene Vergrämung). Der Vorteil der systematischen Brems- und Störmanöver liegt auf der Hand: Mit ihrer Hilfe ließen sich naturschutzkonform neue Standortefür die Windenergie erschließen, die bislang aus Vogelschutzgründen nicht zur Verfügung stehen. Auch für bestehende Anlagen können Detektionssysteme sinnvoll sein – etwa dort, wo sonst während der Brutzeiten längere Komplettabschaltungen drohen.

Sobald sich gefährdete Vögel, beispielsweise Rotmilane oder Seeadler, den Rotorblättern nähern, werden sie vom Detektionssystem erkannt, das daraufhin einen Impuls an die Steuerung des Windrades weitergibt. Der Rotor wird in den Trudelbetrieb versetzt. Nach Angaben des Kompetenzzentrums Naturschutz und Energiewende (KNE) sei es innerhalb von 20 bis 40 Sekunden möglich, die Geschwindigkeit der Rotorblattspitzen so weit zu reduzieren, dass für die Vögel kein erhöhtes Tötungsrisiko mehr bestehe. Das Bundesamt für Naturschutz attestiert entsprechend: „Einzelne Detektionssysteme für Vögel haben einen Entwicklungsstand erreicht, der eine automatisierte, rechtzeitige Abschaltung (Versetzen in den Trudelbetrieb) zur Verminderung von Kollisionsrisiken ermöglicht.


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