Trotz schwieriger wirtschaftlicher Lage ist die Zuversicht in der deutschen Windenergiebranche zurückgekehrt: Europäischer Spitzenreiter beim Neuzubau mit fast drei Gigawatt (GW) im Jahr 2023, internationales Interesse an den großen deutschen Offshorewind-Ausschreibungen, ein Anstieg der Genehmigungen für neue Windenergieprojekte im Jahr 2023 um 80 Prozent auf acht GW – die Branche zeigt sich deutlich verbessert. Der Turnaround scheint geschafft.

Das liegt auch daran, dass die deutsche Regierung die EU-Notfallmaßnahmen zur Genehmigungsbeschleunigung schnell und konsequent umgesetzt hat. Windenergie ist jetzt im „überragenden öffentlichen Interesse“. Verfahren wurden massiv verkürzt. Parallel dazu wurden Zubaupfade nach oben korrigiert. Deutschland will ab 2025 jedes Jahr zehn GW neue Windenergieleistung bauen. Das entspricht einem Drittel der 30 GW, die die komplette EU bis 2030 jedes Jahr neu errichten will.

Wenn man den neuen Optimismus rund um die Windenergie seit dem Start der Ampelkoalition anschaut, könnte man glatt vergessen, dass die Windenergiebranche seit einigen Jahren in einer handfesten Krise steckt.

 

Selten war Ausbau politisch so gewollt

Es ist eine Krise der Hersteller und Zulieferer. Die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine machen ihnen zu schaffen. Zweistellige Inflationsraten, gestiegene Rohstoffkosten und ein zwischen- zeitlicher Rekordpreis für Stahl ließen die Kosten für die Herstellung einer Windenergieanlage in Europa um durchschnittlich 30 Prozent ansteigen. Das Resultat: 2022 schrieben alle großen europäischen Hersteller rote Zahlen.

Das ist paradox, denn selten war der Ausbau der Windenergie politisch so gewollt. Die Explosion der Nord Stream Pipeline und die dadurch ausgelöste Gaskrise sind noch nicht überwunden. Kaum ein Land leidet daran so sehr wie Deutschland. Durch den Krieg in der Ukraine wurde der Ausbau der Windenergie plötzlich zu einer Frage der nationalen Sicherheit. Die einhellige Einsicht: Deutschland und Europa dürfen nie mehr so abhängig vom Import ausländischer fossiler Energieträger sein. Stattdessen müssen wir unsere Energiesicherheit selbst in die Hand nehmen. Wir müssen unsere eigene Ener- gie erzeugen: erneuerbar und hier in Europa.

Die neuen Klima- und Energiesicherheitsziele der EU sehen einen jährlichen Neuzubau von 30 GW Windenergieleistung bis 2030 vor. Das Problem: die europäische Lieferkette ist heute nicht imstande, diese Mengen zu produzieren. Hersteller und Zulieferer müssen bestehende Fabriken ausbauen und neue errichten. Flankierend bedarf es erheblicher Investitionen in Stromnetze, Häfen, Schiffe und qualifizierte Arbeitskräfte. Es gilt keine Zeit zu verlieren, denn die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Europa ist in Gefahr.

Aber wer soll die dringend notwendigen Investitionen tätigen, wenn Hersteller und Zulieferer kaum Gewinn machen und Sparprogramme ausrufen? Diese Frage kommt zu einer Zeit, in der chinesische Windenergieanlagenhersteller erste Aufträge in Europa gewinnen. Auch in Deutschland haben sie große Investitionen angekündigt. Nahezu alle Windenergieanlagen, die sich heute in Europa drehen, wurden in Europa gefertigt. Aber chinesische Turbinen werden zu niedrigeren Preisen angeboten – mit Zahlungsbedingungen, die Unternehmen mit Hauptsitz in OECD-Ländern nicht anbieten dürfen. Droht der Branche jetzt ein ähnliches Schicksal wie der Solarindustrie?


Richtungsweisende EU-Entscheidungen

Die Branche braucht politische und finanzielle Unterstützung. Sonst droht Europa seine Rolle als Spitzenreiter für Windenergietechnologie zu verspielen und tausende Arbeitsplätze zu verlieren. Die EU ist sich dessen vollkommen bewusst – und hat 2023 richtungsweisende Entscheidungen zur Stärkung der europäischen Windindustrie getroffen. Mit dem Net-Zero Industry Act (NZIA) soll die europäische Produktion grüner Technologien gestärkt und ausgebaut werden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte:

„Die Zukunft unserer Cleantech-Industrie muss in Europa liegen.“

NZIA befindet sich auf der Zielgeraden und wird noch im ersten Halbjahr 2024 final verabschiedet werden. Zusätzlich hat die EU-Kommission das EU-Windenergiepaket vorgelegt. Es enthält 15 Direktmaßnahmen zur Stärkung der europäischen Windenergiebranche. Dazu gehören schnellere Genehmigungen, neue Finanzierungsmöglichkeiten und nicht zuletzt Änderungen für Windenergieausschreibungen.

In Zukunft sollen Zuschläge in Ausschreibungen verstärkt anhand von nichtpreislichen Kriterien vergeben werden. Zusätzlich sollen Mitgliedsstaaten die Präqualifizierungskriterien für Ausschreibungen nachschärfen, um die Hürden für den Bau neuer Turbinen in Europa zu erhöhen. Präqualifizierungskriterien legen fest, welche Projekte an Ausschreibungen teilnehmen können. Mitgliedsstaaten sollen dabei Kriterien wie Cybersicherheit, Umweltschutz und faire Arbeitsbedingungen vorschreiben. Sie sollen zudem sicherstellen, dass die Zuschlagspreise indexiert sind, um inflationsbedingte Kostenanstiege widerzuspiegeln.

Im Dezember 2023 haben 26 Mitgliedsstaaten die Europäische Wind Charter unterschrieben und sich damit zur raschen Umsetzung des EU-Windenergiepakets verpflichtet. Gleichzeitig hat die EU mit einer weitreichenden Einigung zum europäischen Strommarktdesign Planungssicherheit für Investoren und Projektentwickler geschaffen.

Der gesetzliche Rahmen ist gesteckt. Das EU-Windenergiepaket markiert einen Wendepunkt und bietet die Chance, die derzeitige Krise zu beenden. Jetzt geht es darum, das exzellente Paket in den Mitgliedsstaaten schnell und entschlossen umzusetzen. Zwei Zahlen geben dabei Grund für noch mehr Optimismus: Letztes Jahr errichtete die EU 17 GW neue Windenergieanlagen. Gleichzeitig trug die Windenergie 19 Prozent zur Stromerzeugung in der EU bei. Beides sind neue Rekorde, auf denen die Branche im Jahr 2024 aufbauen kann. Ein zentrales Datum wird dabei der 9. Juni sein. Dann werden bei den EU-Wahlen weitere richtungsweisende Rahmenbedingungen für die Zukunft der europäischen Windenergie gesetzt.

Quelle: Dieser Beitrag erschien am 29.01.2024 in Erneuerbare Energien.

 


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