Mit dem Forschungspark Windenergie WiValdi verfügt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) seit August 2023 im niedersächsischen Krummendeich über eine einzigartige Großforschungsanlage. Sie ermöglicht Wissenschaft im Originalmaßstab unter realen Bedingungen. Ziel ist es, die Windenergie mit all ihren Einflussfaktoren besser zu verstehen und so die Technologie effizienter, wirtschaftlicher und leiser zu machen. Dazu ist der Forschungspark mit mehr als 2.000 Sensoren ausgestattet. Diese befinden sich in den beiden Windenergieanlagen, auf Messmasten und im Gelände.
Eine wichtige Rolle spielen die Sensoren direkt in den Rotorblättern. Ein Team der DLR-Institute für Aeroelastik sowie für Systemleichtbau – gemeinsam mit Forschenden der zum Zentrum für Windenergieforschung ForWind gehörenden Leibniz Universität Hannover – hatte diese Sensoren bereits bei der Fertigung in den Rotorblättern angebracht. Zwischen Boden und luftiger Höhe haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im August 2024 nun diese Sensoren erstmals umfassend getestet und eingelernt. Unterstützt wurden sie dabei vom Hersteller der beiden Windenergieanlagen Enercon sowie der Enercon-Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft Wobben Research and Development (WRD).
Sensoren in den Rotorblättern: Daten sammeln, um Belastungen exakt zu berechnen
„Die Sensoren kann man sich wie das menschliche Nervensystem vorstellen. Sie sammeln Informationen und überwachen, welche Belastungen auf das Rotorblatt wirken“,
sagt Dr.-Ing. Yves Govers vom DLR-Institut für Aeroelastik. Trifft der Wind auf die Blätter, biegen sie sich. Je nach Windstärke und Position des Rotorblatts können das mehrere Meter sein. Gleichzeitig verdrehen sie sich.
Im Mittelpunkt des Tests standen sogenannte Dehnungssensoren. Sie sind an fünf Stellen über die circa 57 Meter langen und knapp 17 Tonnen schweren Rotorblätter verteilt. Vereinfacht funktionieren Dehnungssensoren wie Gummibänder, an denen man zieht und sie dann wieder loslässt.
„Beim Versuch haben wir an den Rotorblättern mit einer festgelegten Last gezogen und gemessen, wie sich die Dehnungsstreifen verformen. Erst mit diesen Daten können wir die Belastung im Betrieb exakt berechnen“, erklärt Yves Govers das Vorgehen. „Der Test war also eine wichtige Voraussetzung, um die permanent gemessenen Dehnungsdaten auszuwerten, zu verstehen und mit anderen Messgrößen in Verbindung zu bringen. In der Fachsprache nennen wir diesen Prozess Kalibrieren.“
Auch Sensoren müssen erst lernen: Am Rotorblatt ziehen für die Wissenschaft
Das Team um Govers untersuchte die Rotorblätter nacheinander. Zuerst hielten sie die Blätter in einer Stellung horizontal zum Boden an. Im Korb eines Krans ging es dann in rund 90 Meter Höhe, um ein Holzgerüst – die „Lastschere“ – am Rotorblatt zu montieren. An der Lastschere befestigte Seile wurden mit einem Seilzug nach unten gezogen. Schritt für Schritt steigerten die Forschenden die Belastung bis zu einem Maximum von rund einer Tonne – ungefähr dem Gewicht eines kleinen Autos. Für jedes Rotorblatt führten sie diesen Vorgang fünfmal aus. Dabei befestigten sie die Seile an unterschiedlichen Stellen der Lastschere, um so auch das Verdrehen der Blätter zu simulieren.
Weitere Messungen führte das Institut für Turbomaschinen und Fluiddynamik der Universität Hannover vom Boden aus durch. Mit speziellen Kameras beobachteten sie, wie sich das Blatt unter Belastung verformt. Dazu nutzten die Forschenden die vielen schwarzen Messpunkte auf der Oberfläche der Rotorblätter.
„Dieser Test war der erste seiner Art in einer derart hoch instrumentierten Forschungsanlage. Die Sensoren haben sehr gut funktioniert und Daten von hoher Qualität geliefert. Auch die Übertragung an die einige hundert Meter entfernte Leitstelle, wo alle Daten aus dem Forschungspark gespeichert und weiterverarbeitet werden, hat einwandfrei geklappt“,
bilanziert DLR-Experte Govers. In den nächsten Monaten steht das Auswerten der Daten im Vordergrund. Auf deren Grundlage entwickeln die Forschenden dann eine Kalibrierungsprozedur. Sie kann immer wieder angewendet werden, um die Sensoren einzustellen.
Mit den Informationen, die das Sensor-Nervensystem des Forschungsparks Windenergie im Betrieb liefert, entsteht eine einmalige und hochpräzise Datensammlung für Wissenschaft und Industrie. Sie soll es in Zukunft ermöglichen, leichtere, effizientere und langlebigere Rotorblätter zu entwickeln und Windenergieanlagen sowie Windparks besser zu planen und zu betreiben. Gleichzeitig lassen sich mit diesen Daten, Simulationsmodelle überprüfen und weiterentwickeln.
Besonders interessant ist dabei der sogenannte Nachlauf-Effekt: Darunter versteht man die Auswirkung einer Windenergieanlage auf die hinter ihr stehenden Anlagen. Denn die erste Anlage verwirbelt den Wind, bevor dieser auf nächsten Anlagen trifft. Auf Anlagen im Nachlauf wirken damit andere Belastungen, welche die Effizienz und den Materialverschleiß beeinflussen können. In Krummendeich stehen deshalb beide Windenergieanlagen direkt hintereinander.
Quelle: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
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