Wie viele Altanlagen werden 2021 in den Weiterbetrieb gehen?

Tobias Heyen: Grundsätzlich betroffen sind bekanntermaßen 20-jährige Windturbinen mit einer Erzeugungsleistung von rund vier Gigawatt. Gemäß kursierenden Zahlen sind 50 Prozent davon repowerbar – sie können an ihren Standorten durch neue leistungsstärkere Windturbinen ersetzt werden. Allerdings ist bei den meisten noch bis mindestens in einem halben Jahr kein Repowering absehbar, sodass diese Anlagen zumindest eine Brückenvermarktung von ein bis zwei Jahren benötigen. (vgl. dazu den Beitrag "5 Thesen zum Weiterbetrieb ohne EEG-Vergütung") Diese zwei Gigawatt müssen also in irgendeiner Form am Laufen bleiben – da die Regelungen sonst nach einem Jahr Stillstand zum ersatzlosen Abbau der Turbinen verpflichten.

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Über diese Repowering-Kapazität hinaus sind es dann grob gepeilt wohl drei Viertel des gesamten Altanlagenpotentials?

Tobias Heyen: Anlagentechnisch wäre das möglich. Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass es sich um sehr alte Anlagen handelt. Erst die gesetzliche Regelung von 2015 verpflichtete die Windparkbetreiber, ihre Anlagen für eine künftige Direktvermarktung mit einer Fernsteuerung zu versehen.

Nicht alle haben in diese Extra-Ausrüstung investiert. Besonders bei Negativpreisen ist diese Fernsteuerung aber relevant, um die Turbinen dann nicht einspeisen zu lassen. Weil derzeit auch kein gutes Preisniveau auf dem Strommarkt lockt, werden wir über die repoweringfähige Altanlagenkapazität hinaus nicht viel mehr Potential sehen können. Vielleicht möglich werden zwei Drittel des Gesamtpotentials sein.

Beim Energieunternehmen Engie möchten Sie am liebsten langfristige Stromlieferverträge für die Altwindparks abschließen, sogenannte PPA. Sind diese auch realistisch für die vielen kleinsten Anlagen mit unter einem Megawatt Nennleistung?

Tobias Heyen: Ja, auf jeden Fall. Häufig haben es Einzelanlagenbetreiber bei PPA zwar schon schwerer. Geht es doch beim Abschluss langfristiger Stromlieferverträge immer auch um die vertragliche Absicherung und Klärung technischer Ausfallrisiken. Und diese Risikoallokation können Mehranlagenbetreiber natürlich besser managen. Für eine Einzelanlage erhöht sich die Komplexität des PPA-Vertrags. Für diese Klein-PPA wäre dann auch der PPA-Fixpreis wohl nicht immer die richtige Lösung, sondern eher eine Epex-Indexierung: eine Bindung des Preisniveaus an Durchschnittswerte der Preisentwicklungen am internationalen Strommarkt Epex. Sinnvoll ist es für Einzelanlagenbetreiber, sich einem Pool anzuschließen ...

Müssen die das selbst organisieren?

Tobias Heyen: Müssen sie nicht. Aber die Altanlagenbetreiber sind oft sehr gut untereinander vernetzt. So gab es ja auch einmal Einkaufsgemeinschaften zur Strombeschaffung. Organisiert werden könnte das Pooling der Einzel-Altanlagen für den Weiterbetrieb z. B. über den Bundesverband WindEnergie oder über dessen Landesvertretung. Auch wir als Direktvermarkter könnten einen Pool in Form einer klassischen Portfoliobildung zusammenstellen. Doch müssen wir für ein Pooling auch die kritische Masse zusammenbekommen. Dies gelänge am schnellsten, wenn sich auf Betreiberseite Vermarktungsgemeinschaften gründeten.

Der Marktanalysedienst Deutsche WindGuard hatte 2017 noch festgestellt, dass es für den Altanlagenbetrieb je nach Wartungsverträgen 2,8 bis 3,2 Cent Vergütung pro Kilowattstunde brauche. Gilt das noch?

Tobias Heyen: Diese Größenordnung haben wir aus unseren Gesprächen mit Betreibern auch vernommen. An windschwachen Standorten kann es aber auch darüber liegen.

Lassen sich diese Preise durch PPA verwirklichen?

Tobias Heyen: Ja, durchaus – selbst angesichts des seit einem halben Jahr erneut sinkenden Strompreisniveaus. Allerdings bekommen Sie das an schlechten Standorten genau nicht, wo zum Ausgleich eine höhere Vergütung benötigt würde. Hier muss man Kompromisse finden und eine Vermarktung über den Spotmarkt anstreben (vgl. dazu den Beitrag "Herausforderung niedrige Strompreise").

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Altwindparkbetreiber warten in der Masse derzeit noch ab. Warum – und ist das sinnvoll?

Tobias Heyen: Letztlich sind die Abwartenden schon bestraft worden: Bis im Sommer garantierte der Strommarkt ein durchaus attraktives Preisniveau. Im August und im September 2019 waren vier Cent und mitunter sogar deutlich darüber erzielbar. Dann ist der Preis um rund 20 Prozent gefallen. Jetzt auf eine neuerliche Preiserhöhung auf dem Strommarkt zu warten, halte ich für gefährlich. Manche Altwindparkbetreiber mögen auch auf eine höhere Zahlungsbereitschaft  der Industriekunden hoffen. Diese sehe ich aber vorerst nicht kommen. Abgesehen von Abschlüssen durch Pioniere unter den Industrie-Unternehmen fehlt noch absehbar eine konkrete größere Nachfrage. Man darf zusätzlich nicht vergessen, dass der Abschluss von PPA komplexer Verträge bedarf, um die Risikoverteilung zwischen den Vertragspartnern zu regeln. Für Vertragsverhandlungen benötigt der Markt daher eine weitere Anlaufzeit.

Droht beim PPA-Weiterbetrieb nun eine Engpasssituation?

Tobias Heyen: Ich glaube nicht, dass wir große Probleme mit der Menge zu vermarktender Altanlagekapazitäten bekommen. Aber die erwähnten längeren Vertragsverhandlungen verlangen von uns Vermarktern eine größere Kapazität an spezialisierten Mitarbeitern. Zum Engpass werden daher vielleicht die Human Resources auf beiden Seiten des Verhandlungstischs.

Wann geht denn der Abschluss von PPA 2020 endlich richtig los?

Tobias Heyen: Ich hoffe, dass wir das bis Sommer angeschoben haben, ehe wir in dem heißen Herbst die Direktvermarktungsverträge für jüngere Windparks neu abschließen. Zum Jahresende laufen immer viele Direktvermarktungsverträge aus – und wir hätten nicht mehr genügend spezialisierte Mitarbeiter für die Altanlagen frei. Zumindest sollten bis Sommer die juristischen Arbeiten bei PPA-Verträgen für Altwindparks von beiden Seiten abgeschlossen sein. Dann kann es noch im Anschluss zu einer Preisfixierung kommen.

Das Interview führte Tilman Weber im Auftrag des BWE. Es erschien zunächst in der Fachzeitschrift „Erneuerbare Energien“.

Unser Experte:
Tobias Heyen ist als Senior Originator für erneuerbare Energien bei Engie zuständig für Kundengewinnung und Geschäftsfeldentwicklung. Er bereitet bei dem Energieunternehmen den Weiterbetrieb von Alt-Windenergieanlagen ab 2021 vor. Der gelernte Kaufmann war bis vor Kurzem beim Oldenburger Energieversorger EWE verantwortlich für Stromdirektvermarktung und Strom-Kurzfristhandel. Heyen ist Mitglied des Sprecherkreises des Arbeitskreises Direktvermarktung des BWE.


Weiterführende Information:


20190909_BWE-Checkliste_20_plus-Anlagen_Direktvermarktungsvertraege.pdf
Was müssen Windenergieanlagenbetreiber beim Abschluss eines Direktvermarktungsvertrages für Anlagen ohne EEG-Vergütung beachten und was ist ...