Herr Thies, die vier ÜNB haben in nur drei Monaten das Umsetzungskonzept des Paragraphen 13k EnWG erarbeitet. Damit sollen die EE-Abregelungen reduziert und die Redispatch-Kosten gesenkt werden. Haben Sie dafür einen geeigneten Rahmen schaffen können? Wird es eine spürbare Entlastung im Netz geben?
Johannes Thies: Der Gesetzgeber hat den vier ÜNB einen sehr „herausfordernden“ und „sportlichen“ Rahmen mit nur sehr geringer Konzeptions- und Umsetzungszeit gesetzt. Inhaltlich gibt es viele gesetzliche Restriktionen, um insbesondere Missbrauch zu vermeiden. Zudem wird der Rahmen noch durch weitere Festlegungen der Bundesnetzagentur für die Zusätzlichkeitskriterien des Stromverbrauchs konkretisiert werden. Gleichwohl wird an das neue Instrument eine hohe, vielfältige politische Erwartungshaltung geknüpft. In diesem „Korsett“ müssen wir als ÜNB nun arbeiten.
Es ist richtig, dass wir nur ca. drei Monate für die inhaltliche Erstellung und Abstimmung des Konzeptes hatten. Trotzdem haben wir versucht, die Branche bestmöglich über Informationsveranstaltungen und viele Gespräche mit potentiellen Teilnehmern und Interessenten einzubinden und parallel mit den Behörden den Rahmen abzustimmen. Eine große Herausforderung in der Koordination, die wir als Team mit den ÜNB-Kollegen gut gemeistert haben. Auch die Bundesnetzagentur hat intensiv mitgearbeitet und effizient unterstützt. Im Ergebnis haben wir ein vernünftiges Konzept für die zweijährige Erprobungsphase schaffen können, das die Teilnahme aus unterschiedlichen Segmenten zulässt. Für unser Konzept wurde uns sowohl von der BNetzA als auch durch ein externes Gutachten von Frontier Economics bestätigt, dass wir einen geeigneten und sinnvollen Rahmen für die neue Systemdienstleistung „Nutzen statt Abregeln“ geschaffen haben.
Durch die schrittweise Einführung, zunächst mit einer Erprobungsphase, wird die Teilnehmeranzahl mit der Zeit anwachsen. Daher wird auch die netzdienliche Entlastung, die mit der Systemdienstleistung intendiert ist, zunächst geringer ausfallen. Mit zunehmenden Teilnehmern kann der Beitrag zur Netzentlastung jedoch spürbar erhöht werden.
Nutzen statt Abregeln – so wird die Regelung paraphrasiert. Um dies zu erreichen, müssen ausreichend Anreize geschaffen werden, damit berechtigte Teilnehmer*innen die Abregelungsstrommengen als zuschaltbare Last abnehmen. Ist dies mit dem erarbeiteten Vergütungsrahmen gelungen? Und wie ist Ihre Prognose für die Zeit nach der Erprobungsphase, wenn der Grünstrom ab Oktober 2026 von den ÜNB täglich wettbewerblich ausgeschrieben wird?
Johannes Thies: Die Erarbeitung des Vergütungsrahmens erfolgte in einem großen Spannungsfeld. Wir mussten eine Optimierung verschiedener Nebenbedingungen vornehmen. Netzdienlichkeit, volkswirtschaftlicher Nutzen, Attraktivität für mögliche Teilnehmer, aber auch die Umsetzbarkeit sowohl auf Anbieterseite als auch durch die Netzbetreiber waren dabei wesentliche Kriterien. Zudem mussten wir eine Abwägung zwischen einer angemessenen Höhe vom 13k-Preis, einer Kompensation von möglichen Stromnebenkosten und auch Pönalen mit den im Energiewirtschaftsgesetz genannten Zielen zur Verringerung von EE-Abregelung, den gesamtwirtschaftlichen Nutzen und der Reduktion von Redispatch-Kosten vornehmen. Ich denke, wir haben ein attraktives Konzept abstimmen können, welches sowohl die Bundesnetzagentur unterstützt als auch wesentliche Anbieterbegehren abdeckt. Auch Frontier Economics hat uns in einem externen, unabhängigen Gutachten bestätigt, dass der abgestimmte Rahmen mit den gesetzlichen Vorgaben konform und geeignet ist, die Ziele aus dem Energiewirtschaftsgesetz zu erreichen.
Aufgrund des Stufenansatzes zunächst mit einer Erprobungsphase haben wir uns noch nicht intensiv mit dem Zielkonzept beschäftigt, um den Rahmen für eine wettbewerbliche Ausschreibung weiter auszugestalten. Dies wird Aufgabe der kommenden zwei Jahre sein, um – nach derzeitiger Planung – im Oktober 2026 auf das Zielkonzept umstellen zu können. Generell blicke ich sehr zuversichtlich nach vorne, da wir auch mit dem massiven EE-Zubau und noch bestehenden Netztransportrestriktionen mittelfristig mit dem neuen Instrument „Nutzen statt Abregeln“ EE-Abregelungen weiter verringern können.
Die Wirksamkeit des Instruments hängt auch vom Kreis der berechtigten Teilnehmer*innen ab, die den Abregelungsstrom als Letztverbraucher abnehmen. Die BNetzA hat kürzlich einen Entwurf zur Festlegung der Zusätzlichkeitskriterien zur Konsultation gestellt, in dem die Teilnahmemöglichkeiten von Elektrolyseuren stark eingeschränkt, Batteriespeicher gar mit einem temporären Erzeugungsverbot belegt werden. Durch diese restriktive Auslegung droht das Instrument jedoch ins Leere zu laufen, da sich nicht genug Teilnehmer*innen präqualifizieren können. Welche Kriterien wünschen Sie sich von der BNetzA?
Johannes Thies: Wir haben uns dafür starkgemacht, den Teilnehmerkreis diskriminierungsfrei und möglichst technologieneutral zu gestalten. Dabei sind die Startvoraussetzungen für einzelne Teilnehmergruppen sehr unterschiedlich, da z. B. für Speicher und Elektrolyseure finanzielle Erleichterungen durch gesetzliche Netzentgeltbefreiungen etc. bestehen. Eine Angleichung der Teilnahmevoraussetzungen für eine tatsächlich, wettbewerbliche Ausgestaltung ist dabei eine große Herausforderung. Sowohl Anlagen aus dem Neubausegment als auch Bestandsanlagen können teilnehmen. Anlagen mit der Substitution von fossiler durch elektrische Wärmeerzeugung (Wärmelasten), netzgekoppelte Speicheranlagen, Großwärmepumpen und auch Elektrolyseure sind u. a. im Fokus für eine mögliche Teilnahme.
Die neue Systemdienstleistung soll keine Subvention darstellen, sondern muss netzdienlich ausgestaltet werden. Mit dem Erzeugungsverbot für Speicher soll sichergestellt werden, dass Speicher die bestehenden Netzengpässe nicht verschärfen, sondern entlasten. Von der BNetzA wünschen wir uns ausgewogene Zusätzlichkeitskriterien, die Netzdienlichkeit unterstützen und einen „sowieso Stromverbrauch“ nicht finanziell fördern.
Wie funktioniert die Registrierung für berechtigte Teilnehmer*innen?
Johannes Thies: Die Registrierung für Teilnehmer startet am 1. September 2024. Ab diesem Zeitpunkt können vollständige Registrierungsunterlagen beim regelzonenverantwortlichen ÜNB der Entlastungsregion eingereicht werden. Die ÜNB prüfen dann innerhalb eines Monats die vorgelegten Unterlagen und können bei Vollständigkeit und Erfüllung der Rahmenbedingungen die Registrierung erfolgreich zum Start am 1. Oktober 2024 bescheinigen. Einhergehend muss ein Rahmenvertrag nach erfolgreicher Registrierung unterzeichnet werden, um die Teilnahmeberechtigung an der Zuteilung und den operativen Prozessen zu erlangen. Die ÜNB planen hierzu eine weitere Informationsveranstaltung am 8. August 2024, um die weiteren Rahmenbedingungen und auch den Prozess für die Registrierung zu erläutern. Wir laden Sie, liebe Leserinnen und Leser, herzlich zum weiteren Dialog auch im Rahmen dieser Informationsveranstaltung ein. Sollten Sie bereits jetzt ein konkretes Teilnahmeinteresse vorliegen haben, so bitten wir um möglichst frühzeitige Kontaktaufnahme mit dem zuständigen ÜNB.
Wie wurden die von Ihnen genannten Entlastungsregionen identifiziert und wieso sind diese so unterschiedlich ausgefallen? Insbesondere die Entlastungsregion H2 von 50Hertz bedeckt geographisch ein sehr großes Gebiet.
Johannes Thies: Der Zuschnitt der ÜNB-Entlastungsregionen hängt insbesondere von der Netztopologie, der EE-Einspeisesituation und bestehenden Engpässen maßgeblich ab. Es muss im Einzelfall für jede Region/Landkreis geprüft werden, ob eine sinnvolle Ausweisung als ÜNB-Entlastungsregion möglich ist, da in den einzelnen Landkreisen u. a. parallel Netzbau-Maßnahmen, aber auch oftmals EE-Zubau-Projekte erfolgen, die gemeinsam betrachtet werden müssen. Im Ergebnis hat dies zu einem diversen Zuschnitt der Regionen geführt. Die aktuelle Ausweisung ist befristet bis zum Ende der Erprobungsphase Ende September 2026. Die Weiterentwicklung der ÜNB-Entlastungsregionen ab Oktober 2026 kann aber zu einem veränderten Zuschnitt führen. Hierzu ist auch noch ein qualitativer ÜNB-Ausblick für bessere Planungssicherheit geplant.
Entscheidend für die Wirksamkeit von Paragraph 13k EnWG ist auch die Prognosegüte der Abregelungsstrommengen. Wie schätzen Sie die Güte der künftigen Prognosen ein?
Johannes Thies: Die Prognose der Abregelungsstrommengen ist eine große Herausforderung, da sie bereits bis zum Vortag 10:00 Uhr abgeschlossen sein muss. Die ÜNB haben aber über viele Jahre detaillierte Einspeise- und Netzprognoseprozesse aufgebaut. Diese Kompetenz wird nun genutzt, um mit entsprechenden Sicherheitsabschlägen auch die Prognoseerstellung zu diesem frühen Zeitpunkt zu ermöglichen. Die notwendigen Werkzeuge und Methodik sind bei den ÜNB vorhanden und werden für die neue Anwendung bei „Nutzen statt Abregeln“ angepasst. Trotzdem ist aufgrund der Vorlaufzeit mit notwendigen Sicherheitsabschlägen zu rechnen. Die Prognosegüte wird fortlaufend von den ÜNB geprüft und für den Prozess verbessert.
Vielen Dank für das Interview!
Danke für die Anfrage! Wir hoffen, mit möglichst großer Transparenz und Dialog für den Prozess möglichst viele Teilnehmer gewinnen zu können.
Dieser Beitrag erscheint im BWE-BetreiberBrief 2/2024. Das Interview führte Stephanie Wutzke, BWE-Service GmbH.
Über den Interviewten
Johannes Thies ist Experte für Energiemarkt, Engpassmanagement und Kooperationen bei Amprion GmbH. Seine Schwerpunkte umfassen unter anderem die Strategie- und Konzeptentwicklung für Engpassmanagement im Stromnetz sowie Prozessgestaltung, Systemdienstleistungen, Redispatch 2.0 und Kraftwerks-Reserven. Im Multiclientprojekt zur 4ÜNB-Umsetzung von „Nutzen statt Abregeln“ gem. § 13k EnWG als neue marktliche Systemdienstleistung übernimmt er die externe Koordination.
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