Woher stammt die Idee für den Windpark Heidenrod, der 2014/2015 mit zwölf GE-Anlagen und zusammen 30 Megawatt von der Gemeinde Heidenrod aufgestellt wurde?

Udo Zindel: Die Idee ist aus der Not geboren worden. Die Gemeinde Hei­denrod hatte 2010/11 einen Schuldenhöchststand von rund 48 Millionen Euro. Damit haben Sie keinen politischen Handlungsspielraum mehr. Die eigenständige kommunale Sicherstellung der Daseinsvorsorge kann nicht mehr organisiert werden und Sie sind somit dem Diktat der Aufsichtsbe­hörden ausgeliefert, sich ausschließlich auf die unabdingbaren Pflicht­aufgaben zu beschränken. Das Verwaltungshandeln ist vergleichbar mit einem Handeln in einem Wirtschaftsbetrieb, dem der Konkurs droht.

Hinzu kam der politische Stimmungswandel: 2011 gab es den ersten grünen Ministerpräsidenten. Die Stimmung ist durch den Unfall in Fukushima um­geschlagen. Man hat sich in Heidenrod Gedanken gemacht: Wo geht unsere Reise hin? Die politischen Bedingungen für die Windkraft waren positiv.

Aus der Mitte Bürgerschaft kam die Initiative, die gesagt hat: Wir müssen etwas tun, damit wir uns aus diesem Dilemma einer Hoffnungslosigkeit befreien können. Diese Initiative wurde durch die in der Gemeindevertre­tung vertretenen Fraktionen unterstützt und begleitet. Das Land Hessen hat für Kommunen eine sogenannte Schutzschirmvereinbarung organi­siert. Das heißt, man hat den Kommunen eine Übernahme eines Teils ihrer Schulden zugesagt, unter der Maßgabe, dass die Gemeinden Ein­nahmen neu generieren. Üblicherweise bleibt der Gemeinde nur die Er­höhung der Grundsteuer, um Einnahmen zu generieren. Ein Verkauf von Kommunalwald stand nicht zur Diskussion, da der Wald von besonderer Bedeutung für die Gemeinde Heidenrod und die Bürger der Gemeinde ist. Der Kommunalwald ist die Allmende der früher selbstständigen 19 Dörfer, die heute die Gemeinde Heidenrod bilden, und die Bürger haben hierzu eine spürbare emotionale Bindung. Ein Verkauf von Wald stand deshalb nicht zur Debatte. Wald wird in Heidenrod als wertvolles Allgemeineigentum begriffen. Nicht zuletzt durch die Tatsache, dass zahl­reiche Selbstwerber Jahr für Jahr ihr Brennholz dort selbst schlagen.

Wie kam es zu den Schulden?

Udo Zindel: Ursächlich für die finanzielle Misere ist die Tatsache, dass die Gemeinde in eigener Regie die Daseinsfürsorge sicherstellt. Die Gemeinde erledigt die Wasserversorgung, die Abwasserbeseitigung, die Kinderbe­treuung als Regieaufgabe und hat darüber hinaus eine eigene Sozialstation. Durch die dezentrale Struktur der Gemeinde sind die Menschen ohnehin benachteiligt, die Wasser­ und Abwassergebühr liegt derzeit bei 11,70 Euro pro m³. Zum Vergleich: In Wiesbaden sind es 4,77 Euro. Das war quasi der Auslöser, warum die bürgerliche Mitte gesagt hat, wir müssen etwas tun.

2011 waren in Hessen Kommunalwahlen. War der geplante Windpark Thema?

Udo Zindel: Nein. Die Parteien, die im Gemeindeparlament vertreten wa­ren, verständigten sich, dass das Thema Windkraft kein Wahlkampfthema sein sollte, da Windkraft polarisiert. Wer für Windkraft ist, verliert in der Regel die Wahl. Wer gegen Windkraft ist, gewinnt. So wurden im Rhein­gau­Taunus­Kreis in der Vergangenheit Bürgermeisterwahlen gewonnen.
Wir haben das Thema jedenfalls über die bürgerliche Mitte aus dem Wahlkampf heraushalten können, mit dem Ziel, mit allen gemeinsam ei­nen Bürgerentscheid zu organisieren. Das ist ein Instrument der direkten Bürgerbeteiligung. Das Besondere in unserem Fall, der Entscheid wurde positiv formuliert. Es wurden Unterschriften nicht gegen, sondern für etwas gesammelt. Wir haben gefragt: Sind Sie dafür, dass an der Bäder­straße bis zu zwölf Windenergieanlagen gebaut werden?

Der Anstoß kam also aus der Gemeinde heraus, von innen.

Udo Zindel: Ja, die Initiative wurde in der Gemeinde geboren. Es gibt einen Verein hier in Heidenrod, den Förderverein der Sozialstation. Das ist der größte Verein in Heidenrod mit über 1.000 Mitgliedern. Bei 8.000 Bürgern insgesamt in Heidenrod ist das beachtlich. Der Vorsitzende war Träger der Initiative zum Bürgerentscheid und stelle das Vorhaben auch über den Verein vor. Wir haben von kommunaler Seite aus ein Kon­zept geschrieben und es mit den Bürgern diskutiert. Da es sich um einen Waldwindpark handelt, haben wir im Wald auch die Stellen markiert, wo die Anlagen errichtet werden sollten. Die überwiegende Fläche des Waldes steht im Eigentum der Gemeinde Heidenrod.

Wie haben Sie das Projekt trotz Ihrer Schulden finanzieren können?

Udo Zindel: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Wir sind bei diesem Projekt immer davon ausgegangen, dass es sich hier um rentierliche Schulden han­deln wird. Durch die Einnahmen aus dem Windpark hat sich die Gemein­de nachhaltige Erlöse erhofft, auch durch die Tatsache, dass das eigene Grundvermögen, der Gemeindewald, in Wert gesetzt werden kann.


 


Wie haben Sie die Bürger überzeugt?

Udo Zindel: Wir haben gesagt, dass Klimaschutz nur ein Nebenprodukt ist. Wir wollen das für unsere Gemeinde machen. Sie soll Träger des Projektes sein, weil wir uns einen wirtschaftlichen Nutzen davon verspre­chen. Wir haben überlegt, wie man einen wirtschaftlichen Nutzen für die Bürger transparent darstellen kann. Wir haben ausgerechnet, dass wir mit dem Windpark 800.000 Euro im Jahr erwirtschaften können. Diese 800.000 Euro entsprachen damals dem Aufkommen der Grundsteuer. Wir haben den Bürgern gesagt, wenn wir den Windpark bauen, bleibt die Grundsteuer wie sie ist. Ohne den Bau eines Windparks müssten andere Einnahmenquellen erschlossen werden z. B. Erhöhung der Grundsteuer, bis zur Verdopplung dieser, um die nötigen Einnahmen zum Haushalts­ausgleich zu generieren. Die persönliche Rendite des Bürgers ist aus dem Grundsteuerbescheid ablesbar.

Sind Sie denn Eigentümer des Windparks?

Udo Zindel: Ja, die Gemeinde ist zu 45 Prozent Anteilseigner der Wind­energiepark Heidenrod. Die übrigen Anteile halten die Süwag Energie AG (45 %) und die eigens gegründete Bürgergenossenschaft mit zehn Prozent.

Inwiefern haben die Gemeindemitglieder profitiert, die kein Wohneigentum besitzen?

Udo Zindel: Wenn jemand Mieter ist, wird im Rahmen der Nebenkosten die Grundsteuer umgelegt. Durch die nicht gestiegene Grundsteuer pro­fitieren Mieter und Grundstückseigentümer der Gemeinde. Das wurde als mittelbare Beteiligung definiert. Das kommt jedem zugute. Entweder ist jemand Hauseigentümer, oder er ist Mieter. Aber es gab auch noch eine direkte Beteiligung. Mit unserem Partner, der Süwag, haben wir es umgesetzt, dass zehn Prozent der Anteile an eine Bürgergenossenschaft veräußert werden – diese direkte Beteiligung wurde bereits im Rahmen des Bürgerentscheid in Aussicht gestellt. Die Genossenschaft hat über 300 Mitglieder, die 2,4 Millionen Euro platziert haben. Wir reden immer noch von einer Gemeinde mit 8.000 Bürgern.

Haben Sie die Wirtschaftlichkeit Ihrer Kommune durch den Windpark nun auf bessere Beine gestellt?

Udo Zindel: Ja. Wir haben aktuell noch zwölf Millionen Euro Schulden, dank Rettungsschirm und Erlösen aus der Windkraft. Wir erwirtschaften derzeit einen kommunalen Überschuss von über einer Million Euro, der aktiv zum Schuldenabbau beiträgt.

Wenn wir Ihr selbst entwickeltes Beteiligungsmodell mit der Grundsteuer nehmen und es mit dem vergleichen, was der Bund jetzt gemacht hat mit §6 EEG. Sehen Sie da einen guten Ansatz?

Udo Zindel: Bei §6 EEG müssen noch viele weitere Schritte folgen. Privat­investoren bemühen sich, zwei weitere Anlagen in Heidenrod zu errich­ten. Dabei stellen wir fest, dass das Thema Beteiligung einfach schwer zu greifen ist, weil man den Bürgern zeigen muss, was dabei für die Gemein­schaft erwirtschaftet wird. Derzeit zahlt die regionale Vergütung nach EEG indirekt der Stromkunde. Bei unserem Modell ist es „echtes“ Geld, das die Gemeinde durch eine wirtschaftliche Betätigung verdient.

Das Interview führte Nicole Weinhold im Auftrag des BWE. Es wurde zu­nächst in der Fachzeitschrift Erneuerbare Energien veröffentlicht.


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