Grüner Wasserstoff und seine Derivate Ammoniak und Methanol spielen eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung und sind daher unverzichtbar für ein Energiesystem, das zunehmend auf erneuerbaren Energien basiert.
Durch die Elektrolyse von Wasser mit regenerativ erzeugtem Strom könnte kohlenstofffreier Wasserstoff zukünftig nicht nur die Stromerzeugung und -speicherung aus Wind- und Solarenergie ergänzen, sondern auch die Treibhausgasemissionen – vor allem in den energieintensiven Sektoren – deutlich reduzieren. Dies betrifft insbesondere die Stahl-, Chemie- und Zementindustrie sowie den Flug-, Schiffs- und Schwerlastverkehr, sogenannte Hard-to-abate-Sektoren, die sich nur schwer elektrifizieren lassen.
Die Nachfrage nach klimafreundlich erzeugtem Wasserstoff wird in Zukunft deutlich steigen. Die Bundesregierung geht in der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS, Juli 2023) davon aus, dass der nationale Bedarf an Wasserstoff und dessen Derivaten im Jahr 2030 bei 95 bis 130 TWh liegen wird. Dabei ist davon auszugehen, dass rund 50 bis 70 % (45 bis 90 TWh) davon aus dem Ausland importiert werden müssen. Eine nachhaltige Nachfrage soll durch die Wasserstoffimportstrategie (Juli 2024) gestärkt werden, die ein klares Signal für die Unterstützung des grenzüberschreitenden Transports von Wasserstoff und Wasserstoffderivaten setzt. Ein wichtiger Meilenstein für die Energiewende ist erreicht: Die Bundesnetzagentur hat am 22.10.2024 den Aufbau eines zweistufigen Wasserstoff-Kernnetzes genehmigt, das die künftigen Wasserstoff-Cluster deutschlandweit miteinander verbinden soll. Das genehmigte Kernnetz hat eine Gesamtlänge von 9.040 km und besteht mit etwa 60 % zum überwiegenden Teil aus umgerüsteten Erdgasleitungen. Bis 2032 soll so das größte Wasserstoffnetz Europas entstehen.
Herr Wilhelm, der DVGW sieht Wasserstoff als eine der entscheidenden Säulen der Energiewende in Deutschland. Wie treiben Sie den Markthochlauf voran?
Tilman Wilhelm: Der DVGW hat sich frühzeitig für die Integration von Wasserstoff in das bestehende Gasnetz und die Entwicklung von Standards und Normen eingesetzt. Wir sehen Wasserstoff als Schlüsseltechnologie für die Energiewende und arbeiten intensiv daran, die notwendigen technischen Rahmenbedingungen zu schaffen, um Wasserstoff als Energieträger der Zukunft zu etablieren. Deshalb forschen unsere Institute intensiv zu Erzeugung, Transport und Anwendung von Wasserstoff. Zudem entwickeln wir als staatlich anerkannter Regelsetzer technische Regelwerke und fördern die Zusammenarbeit von Netzbetreibern, um die Wasserstoffwirtschaft in Deutschland voranzutreiben.
Wie unterstützt der DVGW die deutsche Energiewende konkret?
Tilman Wilhelm: Wir leisten einen wichtigen Beitrag durch die Erforschung von Technologien, die eine klimafreundliche und nachhaltige Energieversorgung ermöglichen. Wasserstoff spielt dabei neben anderen grünen Gasen eine zentrale Rolle, da er als Speichermedium und Energieträger vielseitig einsetzbar ist. Der DVGW arbeitet daran, die technische Basis für eine Wasserstoffinfrastruktur zu schaffen und sicherzustellen, dass die Integration in das bestehende Energiesystem reibungsarm verläuft. Zudem setzen wir uns für die Errichtung eines rechtlichen Rahmens ein, der die Nutzung von Wasserstoff fördert. Nur so können wir die nationalen und europäischen Klimaziele in Deutschland erreichen.
Der DVGW und die Verbände der Erneuerbaren Energien setzen sich beide für eine nachhaltige Energieversorgung ein. Welche gemeinsamen Ziele verfolgen Sie noch?
Tilman Wilhelm: Unser gemeinsames Ziel ist eine klimaneutrale Energiewirtschaft in Deutschland. Wasserstoff braucht Erneuerbare Energien – und Erneuerbare Energien brauchen Wasserstoff. Er kann als Bindeglied zwischen den verschiedenen Erneuerbaren Energien dienen und deren Integration in das Energiesystem unterstützen. Im Ziel mit den Erneuerbaren Verbänden eint uns, dass wir die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern wollen, um den Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Nutzung von Wasserstoff voranzutreiben. Wo die Erneuerbaren seit Jahren und Jahrzehnten bereits in der Gesetzgebung stark etabliert sind, braucht Wasserstoff noch stärkere Unterstützung von der Politik. Die Energiewende kann aber nur gelingen, wenn beide Seiten – Erneuerbare und Wasserstoff – zusammenwirken können.
Beim Energiedialog 2025 wird der DVGW-Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. Gerald Linke im Panel „Im Dialog mit der Energiepolitik“ aktuelle Einblicke in die aktuellen Entwicklungen geben. Welche Schwerpunkte werden dort gesetzt?
Tilman Wilhelm: Die Rolle von Wasserstoff in der Energiewende und die notwendigen Schritte hin zu einer Wasserstoffwirtschaft werden Thema des Energiedialogs 2025 sein. Zentral dafür ist die Nutzung der heute schon vorhandenen Gasinfrastruktur in Deutschland für einen zukünftigen Betrieb mit Wasserstoff. Dass dies mit geringen Anpassungen und relativ geringen Kosten möglich ist, zeigen die DVGW-Studien der vergangenen Jahre. Wir haben also im Gasbereich einen Infrastrukturvorteil: Das Netz für die zukünftige Versorgung mit Wasserstoff ist bereits da und rund 1,8 Mio. Unternehmen in Deutschland sind daran angeschlossen. Das bedeutet: kein jahrelanger Ausbau neuer Netze, keine übermäßigen Kosten für Betreiber und Kunden. Aber: Wir müssen gemeinsam mit der Politik, der Wirtschaft und den Verbänden daran arbeiten, diesen Vorteil jetzt auch zu nutzen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Hintergrund zum DVGW:
Der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) setzt sich seit über 165 Jahren für die sichere und zuverlässige Gas- und Wasserversorgung in Deutschland. Er entwickelt als staatlich anerkannter Regelsetzer technische Regelwerke und Standards für Gas- und Wasserinfrastrukturen und deren Anwendungen. Ein besonderer Fokus liegt seit über 10 Jahren auf der Förderung und Erforschung nachhaltiger Energiequellen, einschließlich der Nutzung von Wasserstoff. Durch Forschungsprojekte und Pilotvorhaben treibt der DVGW die technische Integration von Wasserstoff in das Energiesystem voran.
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Die zukünftigen Aufgaben und Herausforderungen in der Energiewende wird der BEE gemeinsam mit Vertreter*innen aus Politik, Wirtschaft und Verbänden beim ENERGIEDIALOG 2025, am 16. Januar 2025 besprechen. Die Online-Teilnahme ist kostenlos. Anmeldung und weitere Informationen unter folgendem Link.
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