Das deutsche Energiesystem ist derzeit noch massiv von den Importen fossiler Energieträger abhängig. Diese starke Abhängigkeit beschränkt den politischen Handlungsspielraum. Was, wenn Russland die Gaslieferungen einstellet? Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine steht diese Abhängigkeit nun verstärkt im Fokus und lenkt den Blick auf die Wertschöpfung aus Erneuerbaren Energien im eigenen Land. Bundesfinanzminister Christian Lindner sprach in dem Zusammenhang von „Freiheitsenergien“. Für mich ein Zeugnis des Willens der Bundesregierung, die Energiewende schnellstmöglich voranzutreiben. Um den Freiheitsenergien den schnellen Durchbruch zu organisieren, braucht es jetzt tatsächlich die versprochene Zeitenwende.

Nur Erneuerbare Energien bieten wirkliche Unabhängigkeit

Mit dem russischen Angriffskrieg hat sich die Brückentechno-logie Erdgas als Illusion erwiesen. Diese Brücke trägt nicht. Gleichzeitig behält der Ausstieg aus fossilen Abhängigkeiten höchste Priorität. Es wäre fatal, eine Abhängigkeit durch neue auszutauschen. Auch die aufflammende Debatte über eine Laufzeitverlängerung für die letzten drei deutschen Atomkraft-werke oder die Verzögerung des Kohleausstiegs ist eine Nebel-kerze, die von der eigentlichen Lösung ablenkt: Deutschlands Energiepolitik muss noch viel stärker – und vor allem schneller – auf 100 Prozent Erneuerbare Energien ausgerichtet werden.

EEG als Fahrplan für eine neue Energiepolitik

Jetzt gilt es den Ausbau der Erneuerbaren Energien, insbesondere von Wind- und Solarenergie, neu zu organisieren. Beschleunigung ist unumgänglich. Dazu gehören gestraffte Genehmigungsverfahren ebenso wie die Bereitstellung verfügbarer Flächen für Solar- und Windenergie, die Auflösung von Konflikten im Artenschutz und eine bessere Beteiligung der Standortkommunen. Noch bietet sich in der EEG-Novelle die Chance, die Weichen richtig zu stellen. Der Text ist noch vor dem Ukrainekrieg entstanden; er hält den seither gewachsenen Herausforderungen nicht mehr stand und muss überarbeitet werden.

 

Repowering

  • Als Repowering bezeichnet man das Ersetzen älterer Windenergieanlagen, die aus der EEG-Förderung fallen, durch neue Modelle. Diese sind mit 20 Jahren technolo-gischem Abstand deutlich leistungsfähiger. Somit kann die erzeugte Leistung in bestehenden Flächen verdrei- oder sogar vervierfacht werden.

 

P2H

  • Als Power to Heat (P2H oder PtH) bezeichnet man die Erzeugung von Wärme unter Einsatz elektrischer Ener-gie, beispielsweise durch Elektrokessel oder Wärme-pumpen. Elektrische Überschüsse aus der Erzeugung Erneuerbarer Energien können dadurch für die Bereit-stellung von Wärme verwendet werden und somit zu einer Dekarbonisierung des Wärmesektors beitragen.

 

Daher muss zunächst geprüft werden, wie kurzfristig aus dem bereits bestehenden Anlagenpark mehr Leistung herausgeholt werden kann. Wir müssen über nachträgliche Leistungsup-grades sprechen, über die Aussetzung pauschaler Abschaltun-gen und Betriebseinschränkungen. Und es braucht jetzt ein Go für das Repowering, mit dem sich in der Windenergie kurzfris-tig ein schneller Zubau mobilisieren lässt.

Industrie und Wärme sind die beiden Sektoren, die bei einem Ende der fossilen Energieerzeugung unter dem stärksten Druck stehen. Auch hier können die Erneuerbaren Energien Abhilfe schaffen: Windenergieanlagen beispielswiese können mittels P2H-Technologie die Wärmeversorgung stützen. Elektrolyse könnte im Norden schon heute nicht genutzte Energie er-schließen und ins System bringen. Ein beschleunigter Hochlauf der Geothermie kann eine nachhaltige, erneuerbare Wärme-quelle erschließen. Die Potenziale der Bioenergie sind stark und Solarthermie lässt sich anreizen.

Die Abhängigkeit von russischem Gas macht vielen Angst. Je-doch ist Angst jetzt kein guter Ratgeber. Es braucht Mut: Für den schnellen Ausstieg aus dem russischen Gas, das den Krieg finanziert, und den Einstieg in Wertschöpfung im eigenen Land. Technisch stehen die Lösungen bereit. Legen wir das Korsett von Bürokratie und Beschränkungen ab und starten durch. Es wird Zeit, dass die Bundesregierung die Potenziale endlich entfesselt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der e|m|w 2|22