Der 4. Senat entschied, dass dem immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid zumindest hinsichtlich der Frage von Turbulenzabständen eine Rangsicherungsqualität zukommt. Deshalb wies der Senat in der Sache 4 C 3/19 die Revision gegen das Urteil des OVG Münster vom 18.09.2018 (8 A 1886/16) zurück und ebenso die Revision in der Sache 4 C 4/19 gegen das Urteil des OVG Münster vom 18.09.2018 (8 A 1884/16) ab.
Sachverhalt
Der 4. Senat des Bundesverwaltungsgericht hatte die Frage zu beantworten, welche von zwei sich gegenseitigen (potentiell) beeinträchtigten Windenergieanlagen auf die benachbarte Anlage Rücksicht zu nehmen hat.
Grundsätzlich wird angenommen, dass soweit mehrere Vorhaben derart miteinander konkurrieren, dass nicht alle (uneingeschränkt) genehmigungsfähig sind, nach dem Prioritätsprinzip dem früheren Vorhaben der Vorzug zu geben sei.
Angesicht des Fehlens genereller Regelungen im Immissionsschutzrecht zu der Frage des Vorranges wird ganz überwiegend vertreten, dass die Auswahl oder Rangfolgebestimmung nach dem Prioritätsprinzip einen verlässlichen Maßstab für die Verteilungsentscheidung darstellt, der dem Willkürverbot und dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) Rechnung trägt. Danach hat, vorbehaltlich besonderer Einzelfallumstände, grundsätzlich derjenige Rücksicht zu nehmen und Nachteile – wie etwa Abschaltverpflichtungen und damit einhergehender geringerer Energieausbeute – zu tragen, der mit seinem Vorhaben an eine bereits bestehende oder genehmigte Anlage heranrückt bzw. auf eine hinreichend verfestigte Planung trifft.
Die Genehmigungsbehörde hat bei der Abgrenzung der Verantwortung für die Bewältigung des Konflikts der durch den Betrieb zweier unverträglich naher Windenergieanlagen entsteht, für eine sachgerechte Lastenverteilung, den Vorrang zugunsten des älteren Vorhabens zu beachten. Zur Bestimmung der Prioritäten wird dabei auf den Zeitpunkt der Einreichung eines prüffähigen Genehmigungsantrags abgestellt. Der Zeitpunkt der Vollständigkeit der Antragsunterlagen ist der letzte Zeitpunkt, der allein in der Einflusssphäre des Antragsstellers liegt, bevor der weitere Verfahrensablauf von anderen behördlichen Handlungen abhängig wird. Dieser Zeitpunkt sei für die Verteilungsentscheidung ein sachgerechtes Kriterium, weil sich der Gegenstand des Verfahrens dann in einer Weise konkretisiert hat, dass der Antrag Gegenstand einer fachlichen Prüfung sein kann; es lässt sich ab diesem Zeitpunkt absehen, ob die Verwirklichung des Vorhabens nicht von vornherein ausscheidet. Ab diesem Zeitpunkt darf der Vorhabenträger berechtigterweise darauf vertrauen, dass der Aufwand zur Erstellung prüffähiger Unterlagen als hinreichend verfestigte Planung anerkannt und nicht durch Planungen eines Konkurrenten nachträglich entwertet wird.
Danach hat der Betreiber derjenigen Anlagen die Verantwortung zur Konfliktbewältigung und die damit verbundenen Lasten zu tragen, der durch die Realisierung seines Projekts die letzte Ursache für die Entstehung des Konfliktes setzt.
Der 4. Senat stellte zunächst fest, dass nach seiner Auffassung die Frage, wie sich gegenseitig ausschließende Anträge mittels des „Prioritätsprinzips“ zueinander verhielten, nicht dazu geeignet sei, jedwede Konflikte zu lösen, wie es offensichtlich die Vorinstanz in ständiger Rechtsprechung annimmt.
Sodann erörterte der Senat die Frage – die im Zentrum der Entscheidung und sicherlich auch der verwaltungsrechtlichen Praxis steht – in welchem Verhältnis ein BImSch-Vorbescheid zu einem BimSch-„Voll“-Bescheid stehe; soweit gleichrangige Anträge in einer echten Konkurrenz stehen und die Antragsteller jeweils nur eine von beiden Anlagen wirtschaftlich realisieren könne. Unter Rückgriff auf § 10 S. 2 VwVfG und ebenfalls unter Rückgriff auf das Willkürverbot nach Art. 3 GG stellte der Senat zunächst fest, dass zügig und letztlich nach Eingang entschieden werden müsse. Bei Fragen von Turbulenzen sei dabei das Prioritätsprinzip auch ein geeignetes Auswahlkriterium.
Hinsichtlich der Frage von Turbulenzabständen, räumte der 4. Senat dem BImSch-Vorbehalt rangsichernde Funktion gegenüber dem späteren Vollbescheid ein, immer unter Bezugnahme auf einen möglichen Realisierungsanspruch bzw. aufgrund zu gewährleistender Planungssicherheit, die dem BImSch-Vorbescheid als Rechtswirkung innenwohne.
Wann der Zeitpunkt der „rangsichernden Funktion“ eintrete, sei nach der „Güte“ des Antrages zu entscheiden:
Nach dem Senat sei die bloße Antragsstellung zu wenig, die volle Entscheidungsreife sei jedoch nicht nötig. Er schließt sich insoweit dem OVG Münster an und rekurrierte auf § 23 der 9. BImSchV. Das Gericht vertritt demnach die Auffassung, dass der Zeitpunkt der Prüffähigkeit aller Voraussetzungen entscheidend sei, um festzustellen, welcher Zeitpunkt für den Beginn der Priorität maßgeblich sei. Dazu nahm der Senat dann auch Rückgriff auf Beispiele aus anderen Materien etwa § 12 Abs. 2 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz und § 3 SeeAnlG.
Kommentar
Für die Windkraftbranche steht damit fest, dass die Geschwindigkeit der Antragstellung einen materiellen Wert hat. Zwar haben und werden wir dieser generellen Meinung entsprechend ergebnisorientiert in der Rechtsprechung und Literaturfolgend praktisch beraten.
Indes: Richtig ist allein das Verständnis, dass das Prioritätsprinzip keinerlei materielle Auswirkung hat, haben kann, geschweige denn brauch. Denn die Zivilrechtsordnung regelt bzw. verteilt wirtschaftlichen Risiken während, das „öffentliche Recht“ (hier) lediglich fragt, ob die Schutzgüter des BImSchG beachtet werden oder nicht.
Leider hat der 4. Senat dieses simple Prinzip ebenso verkannt wie die herrschende Meinung und die gängige Verwaltungspraxis; statt dem einfachen Grundzuordnungsmodell verschiedener Rechtsmaterien zur Wiederherstellung zu verhelfen und so das „schlichte“ verwaltungsrechtliche Ordnungsprinzip (Prioritätsgrundsatz) abschließend einzufangen, verfängt man sich (unnötig) in „Einzelfallgestaltungen“ (hier Turbulenzabständen von Windenergieanlagen ). Nicht zuletzt wegen dieser Entscheidung wird es zu einer unendlichen Menge an „Prioritätsfallen“ kommen.