Die Auseinandersetzung zwischen Denkmalschutz und erneuerbaren Energien ist längst zu einer Systemfrage geworden. Während die Gesellschaft eine schnelle Transformation hin zu Klimaneutralität verlangt, klammern sich Denkmalbehörden an überkommene Vorstellungen eines „Umgebungsschutzes“, die weder juristisch noch kunsthistorisch tragfähig sind.
Der klassische Denkmalschutz, wie er im 19. Jahrhundert entwickelt wurde, diente zunächst dem Schutz einzelner Bauwerke („Substanzschutz“). Erst später konstruierte man den sogenannten „Umgebungsschutz“: Blickachsen, Raumwirkungen und angebliche ästhetische Zusammenhänge, die bis heute in Genehmigungsverfahren gegen Windräder und Photovoltaikanlagen ins Feld geführt werden. Dieses Konstrukt ist rechtlich unscharf und kunsthistorisch kaum begründbar. Kaum ein Gericht hat je ernsthaft versucht, die Idee des Umgebungsschutzes aus den Quellen der Architekturtheorie oder der Kunstgeschichte herzuleiten – und doch wird er wie ein Dogma behandelt.
Die Folge: Notwendige Projekte zur Energie- und Wärmewende scheitern an Nebenbestimmungen der Denkmalpflege. Photovoltaikanlagen auf Dächern historischer Gebäude werden untersagt oder nur unter so restriktiven Auflagen zugelassen, dass Wirtschaftlichkeit und Klimanutzen verloren gehen. Dabei ist genau das Gegenteil geboten: Der Gesetzgeber hat erneuerbare Energien längst im überragenden öffentlichen Interesse verankert (§ 2 EEG 2023). Die Gewichtung in der Abwägung ist eindeutig – Denkmalschutz kann nur in seltenen Ausnahmefällen Vorrang beanspruchen.
Hinzu kommt die historische Relativität: Jede Generation definiert neu, was als erhaltenswert gilt. Im 19. Jahrhundert wurden mittelalterliche Bauten abgerissen, um den Blick auf Dome „freizulegen“. Heute berufen sich dieselben Institutionen auf die angebliche Unantastbarkeit von Sichtachsen. Morgen wird man feststellen, dass auch Solaranlagen Teil des kulturellen Erbes sind. Photovoltaikmodule auf Dächern sind keine „ewige“ Veränderung, sondern im Vergleich zu Jahrhunderten Baugeschichte nur eine Episode. Das gilt erst recht für Windkraftanlagen mit ihrer auf 20 bis 25 Jahre begrenzten Lebensdauer.
Die junge Generation steht vor einer existenziellen Herausforderung: dem Klimawandel. Er gefährdet nicht nur unsere Lebensgrundlagen, sondern auch die Bausubstanz historischer Denkmale selbst. Stürme, Starkregen, Trockenheit und Brände bedrohen Kirchen, Burgen und Altstädte weit mehr als eine Photovoltaikanlage auf dem Dach. Wer den materiellen Denkmalschutz absolut setzt, verkennt diese Realität.
Deshalb darf man sich auf das Spiel der Nebenbestimmungen nicht einlassen. Unzählige Projekte der erneuerbaren Energien sind durch kleinteilige Vorgaben – Dachfarbe, Modulneigung, Reflexionsgrad – künstlich verteuert oder blockiert worden. Das ist nicht Denkmalschutz, sondern Klimaschaden.
Die Botschaft lautet klar: Die junge Generation muss den Mut haben, falschen Denkmalschutz zurückzudrängen. Das übersteigerte Festhalten an einer ästhetischen Chimäre darf nicht länger als Vorwand dienen, die Energiewende zu bremsen. Klimaschutz ist Verfassungsauftrag – Denkmalschutz bleibt wichtig, aber er darf sich nicht gegen die Zukunft richten.
Oder um es mit Adorno zu sagen: „Bedeutende Kunstwerke der Vergangenheit arten in dem Augenblick, indem das Bewusstsein sie als Reliquien anbetet, in Bestandsstücke einer Ideologie aus, die am Vergangenen sich labt, damit am gegenwärtigen nichts sich ändere.“ (W. Adorno Traditionsaufsatz, Darmstadt 1998, S.312)
Autor: Prof. Dr. Martin Maslaton
Auch interessant:
- Pressemitteilung, Expertenwissen08.10.2025Eine Studie der Prognos AG zeigt: Brandenburg hat sich seit 1990 zu einem starken Wirtschaftsstandort entwickelt. Besonders der Ausbau der Erneuerbaren ...
- Pressemitteilung, Expertenwissen29.09.2025Die Bundesnetzagentur hat die Zuschläge der Ausschreibung für Windenergie an Land vom 1. August 2025 veröffentlicht. Mit 5,7 GW eingereichten Geboten war der ...
- Interview, Expertenwissen23.09.2025Kürzere Genehmigungsverfahren, steigende Antragszahlen: Die Windenergie in Baden-Württemberg erlebt einen Aufschwung. Umweltministerin Thekla Walker über ...






