Die Windbranche sah sich im vergangenen Jahr einer ganzen Reihe von Herausforderungen ge genüber, die die Verantwortlichen intensiv beschäftigten. Während in den Jahren zuvor meist wenige Top-Favoriten die „wichtigen Themen“ dominierten, zeigt sich für 2020 ein breites Mittelfeld: Immerhin zehn Themen weisen 15 bis 40 Prozent der Nennungen auf – im Vorjahr waren es nur fünf gewesen. Zur Erklärung: Bei der jährlichen Umfrage können Branchenvertreter jeweils fünf Themen auswählen, die ihrer Meinung nach aktuell besonders wichtig sind. 2020/21 nahmen 149 Experten teil.

Als Einzel-Thema führt wie in den Vorjahren Power-to-X (P2X). „Windenergie hat sich von einem marginalen Status hin zur Systemrelevanz entwickelt. Bei dieser Entwicklung muss man immer mehr die komplette Wertschöpfungskette mitdenken“, kommentiert Marcus Graebig vom SINTEG-Schaufensterprojekt WindNODE. P2X und Sektorkopplung seien maßgebliche Bausteine zur Systemintegration. „Das sehen natürlich auch die Akteure der Windbranche.“

Trendthemen Bürgerbeteiligung und Artenschutz

Starken Zuspruch finden insbesondere Themen aus dem Spektrum Bürger- und Naturthemen, wie etwa die Automatische Abschaltung bei Großvogel- und Fledermausflug (28 Prozent). „Die Großvogel-Detektionssysteme scheinen großes Potential zu besitzen, den Konflikt zwischen Naturschutz und Erneuerbaren an vielen Standorten beizulegen“, bestätigt auch Marie-Luise Plappert vom Fachgebiet Erneuerbare Energien am Umweltbundesamt (UBA) die Bedeutung des Themas für die Branche. Auch wenn das nicht auf alle Situationen und Standorte zutreffe, ließe sich damit vielerorts das Tötungsrisiko verringern und die Akzeptanz erhöhen – als eine Maß- nahme unter vielen. „Eine pauschale Verpflichtung wäre hier allerdings der falsche Weg: Dafür sind die Bedingungen vor Ort zu unterschiedlich“, erläutert Plappert. „Auch wenn die Windenergie nur für einen kleinen Teil des Vogelschlags verantwortlich ist: Von der Öffentlichkeit und den Naturschutzverbänden wird das sehr präsent wahrgenommen“, ergänzt BWE-Geschäftsführer Carlo Reeker. „Da müssen wir als Branche lösungsorientiert arbeiten, und solche Detektionssysteme wecken natürlich die Hoffnung auf weniger gerichtliche Auseinandersetzungen.“
Als ähnlich relevant wird die Themengruppe
Marktinnovationen wahrgenommen, hier insbesondere Stromvermarktungsmodelle außerhalb des EEG/PPAs (40 Prozent) und Serviceangebote nach 20 Jahren (20 Prozent): Beide zählen zu den fünf beliebtesten Themen der Umfrage.

Große Bandbreite der Themen

Im Vergleich zum Vorjahr fällt vor allem der Bereich Projektkommunikation auf: Letztes Jahr mit 18 Prozent noch als wichtiges Thema gehandelt, fällt es in diesem Jahr auf 5,5 Prozent zurück. „Das Thema ist ein Opfer des eigenen Erfolgs“, erklärt BWE-Geschäftsführer Reeker. Das schlechte Abschneiden liege nicht an einer verringerten Wichtigkeit, „sondern daran, dass wir es jetzt vielerorts als Branche besser beherrschen.“

In das untere Mittelfeld ordnet sich derweil die Freiflächennutzung durch Photovoltaik (14 Prozent) neu ein: Das Wachstum der Windplayer in den Solarmarkt insbesondere durch die Freiflächennutzung wird in Zukunft noch wichtiger werden, glaubt Carlo Reeker. „Die Betreiber lösen sich zunehmend von dem Gedanken, nur an Windenergie und klassische Einspeisung zu denken, sie denken stattdessen eben auch in Richtung Power to X, Wasserstoff, Speicher sowie andere dezentrale und erneuerbare Energiequellen“, sagt Reeker. „Der Weg geht weg vom Einspeiser und hin zum Energieversorger.“

„Sowohl Projektierer als auch Entwickler aus der Windbranche müssen jetzt die Wertschöpfungskette verstehen, um ihre eigene Rolle zu finden“, ergänzt WindNODE-Projektleiter Graebig. Ob und für wen es sinnvoll ist, in P2X oder Solar hineinzuwachsen, sei dann eine sehr individuelle Frage.

Technischer Erfolg bedingt Akzeptanz für Sektorkopplung

Die meisten technischen Innovationen wecken indes wenig Begeisterung. Ob 3D-Druck, MultiRotor-Modelle, Polyurethanharz oder Slip-Joint-Verbindungen: Von der Fachzeitschrift Erneuerbare Energien als Innovationen des Jahres gekürt, stecken sie den Branchenkennern offenbar noch zu sehr in den Kinderschuhen: Sie bleiben sämtlich in einstelligen Prozentbereichen. Gleichzeitig warten die Ingenieure der Windbranche durchaus mit vielen Innovationen auf. 2019 wurden 639 Patente zu Windanlagen in Deutschland angemeldet – ein Anstieg von 16,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

„Power-to-X und Bürgerbeteiligung sind zwar selbst keine technischen Themen, sie hängen aber damit zusammen“, äußert sich Carlo Reeker zur scheinbar geringen Wichtigkeit der Technikthemen. „Unsere technischen Entwicklungen im Sinne einer höheren Effizienz führen zu immer größeren Anlagen. Die sind gleichzeitig natürlich sichtbarer und fordern deshalb verstärkte Akzeptanzmaßnahmen. Und je effizienter wir Strom produzieren, desto wichtiger werden Fragen der Sektorkopplung und Speicherung. Dass die Branche hierauf achtet, beweist ihr Gespür für den Abschnitt der Entwicklung, in dem wir uns befinden.“

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass die Umfrageteilnehmer weitere Themen genannt haben, die sie ebenfalls für brennend halten. Dies sind „Vereinheitlichung des Artenschutzes“, „Rechtliche Rahmen für Ausbau und Speichern von Elektrolyseuren“, „Verbesserte Vermarktung von Kleinwindanlagen“, „Nachhaltige WEA-Produktion und Recycling“ sowie „Vertikale Windkraftanlagen in der Megawatt-Klasse“ (zu diesem Thema siehe Artikel auf Seite 90).


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